Reden

Schlusswort von Karl-Heinz Lambertz beim Politischen Aschermittwoch der SP


Schlusswort von Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft, anlässlich des „politischen Aschermittwochs“ der SP zum Start des Wahlkampfes zu den Europa-, Föderal-, Regional- und Gemeinschaftswahlen

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05/03/2014

Liebe Gäste,

Liebe Freundinnen und Freunde,

ein „politischer Aschermittwoch“ in Ostbelgien – eine Weltpremiere. Diese Idee haben wir aus Bayern übernommen. Mit Bayern verbinden uns viele Gemeinsamkeiten. Ein kleiner Unterschied besteht allerdings. Hier kommt der Ministerpräsident nicht aus den Reihen der CSU, sondern aus der SP. Die Idee des politischen Aschermittwochs war gut, hat aber bei dem Einen oder Anderen, im Zuge der Karnevalsfeierlichkeiten, hörbare Spuren in der Stimme hinterlassen.

Jetzt geht es darum, politische „Duftnoten“ zu setzen. Wo ginge das besser, als in der Ortschaft Walhorn, jener Ortschaft, deren Postleitzahl „4711“ lautet – identisch mit einem der ältesten Parfüms, das es überhaupt gibt. Ich muss allerdings zugeben, dass ich dieses Parfüm seit Altweiberdonnerstag nicht mehr so mag wie früher. Mir hat nämlich eine der sehr ausgelassenen Damen eine halbe Flasche Kölnisch Wasser übers Kostüm gegossen. Daraufhin bin ich rasch ins Büro gegangen und habe mich umgezogen. Den „politischen Aschermittwoch“ hier in Walhorn zu organisieren, vor allem aber diesen wunderbaren Saal mit „Duftnoten“ der SP in Verbindung zu bringen, ist eine tolle Idee. Man könnte es wie die kölsche Kultband Klüngelköpp sagen: „Mir sin jedäuf met 4711“. Wir könnten für uns sagen: „Wir sind getauft mit sozialdemokratischem Gedankengut!“

Heute möchte ich zum Abschluss dieses äußerst interessanten Abends auf zwei Fragen antworten. „Wofür steht die SP in der DG?“ und, „Wie stellt sich die SP die Zukunft Ostbelgiens vor?“. Das sind zwei einfache Fragen, auf die man klare Antworten geben kann. Je nach Laune und Veranlagung können diese kurz oder lang ausfallen. Ich werde mich heute Abend, zur großen Überraschung aller, für die zumindest für meine Verhältnisse kurze Variante entscheiden.

Wir stehen als SP für Grundwerte in Ostbelgien, in Flandern, in der Wallonie, in Brüssel, in Europa und überall auf der Welt. Diese Grundwerte lauten: Freiheit, Gleichheit und Solidarität. Darüber lässt sich sehr viel sagen und es wurde heute bereits sehr Wichtiges besprochen. Wer für diese Grundfreiheiten eintritt, der ist auch dafür, dass niemand irgendwo auf der Welt für seine Meinung ins Gefängnis gehen muss; dass die Lebenschancen eines Menschen nicht davon abhängen, wie reich seine Eltern sind; dass man nicht mehr Geld mit Geld als mit redlicher Arbeit und engagiertem Unternehmertum verdienen kann und dass jemand, der von morgens bis abends arbeitet, sich selbst und seine Familie zu ernähren im Stande sein sollte. Es handelt sich eigentlich um einfache Dinge, die jedoch noch längst nicht überall auf der Welt Wirklichkeit sind. Das liegt zum Teil daran, dass wir das Gleichgewicht zwischen den freien Kräften des Marktes – für die auch wir sind – und einer wirklich sozialen, gerechten Demokratie wiederherstellen müssen. Die deutsche Bundeskanzlerin, Frau Angela Merkel, hat einmal gesagt: Sie will eine marktgerechte Demokratie. Nein, das wollen wir nicht! Wir wollen einen Markt, der der Demokratie untergeordnet ist, also einen demokratiegerechten Markt. Das ist etwas grundlegend anders!

Wir stehen als SP vor allem für das europäische Sozialstaatsmodell. Dieses Modell ist im weltweiten Vergleich einzigartig und außergewöhnlich. Ja, dieses System weist weiterhin Schwächen und Lücken auf. Ja, es wurde zu einer Zeit erdacht, als das Durchschnittsalter bedeutend geringer war als heute und als die gesamte Situation anders war. Auch die demographischen Verhältnisse waren nicht so, wie wir sie heute kennen. Das ändert jedoch nichts daran, dass es sich weiterhin lohnt, für den Erhalt dieses europäischen Sozialstaatsmodells zu kämpfen.

Werft einen Blick nach China oder nach Asien. Schaut nach Amerika und vergleicht die dortigen Verhältnisse mit den unseren. Sehr schnell werdet Ihr merken, was hier besser läuft. Ich werde nie vergessen, wie im Verlauf des vorletzten Obama-Wahlkampfs seine angestrebte Sozialversicherung, auch Obamacare genannt, in einer TV-Sendung erläutert wurde. Von den Rechten wurde sie als eine Geburt des Teufels angeprangert und verschrien. Vergleicht man sie allerdings mit unseren Sozialversicherungen, dann ist sie eher harmlos, ja sogar schwach. Ein gestandener amerikanischer Mittelständler sprach davon, dass er sich hätte entscheiden müssen, ob er sich eine Krankenversicherung leisten oder das Studium seiner Kinder finanzieren sollte. Das muss man sich im 21. Jahrhundert einmal vor Augen führen. In Europa ist so etwas undenkbar und das ist gut so. Aus diesem Grund müssen wir für den Erhalt der Sozialsicherheit und das Sozialstaatsmodells energisch, resolut und mit allen Kräften kämpfen. Wir müssen aber auch einsehen, dass es am erfolgversprechendsten ist, selbst dafür Sorge zu tragen, dass die für den Erhalt dieses Systems nötigen Reformen erfolgen, damit es zukunftstüchtig bleibt. Wenn wir anderen für diese Aufgabe das Feld überlassen, wird das Ganze ganz anders aussehen.

 Als SP stehen wir auch ein für Pluralismus, für die Vielfalt von Meinungen und politischen Anschauungen. Das ist gerade hier – da sind wir Bayern erneut sehr ähnlich– für die Sozialisten und Sozialdemokraten nicht immer einfach gewesen. Vor noch nicht allzu langer Zeit weigerte sich die hiesige Tageszeitung, die Todesanzeige des führenden Eupener Sozialisten Karl Weiß zu veröffentlichen. Daraufhin mussten die Totenzettel von den Genossinnen und Genossen in alle Häuser getragen werden. Das liegt noch keine hundert Jahre zurück, ist heute aber – Gott sei Dank – nicht mehr vorstellbar. Dass die „Roten“ als suspekt galten, habe ich noch in meiner Jugend erlebt und höre es hin und wieder noch an dem einen oder anderen Thekenplatz. Wir wollen hierzulande eine echte, pluralistische Demokratie. Dafür müssen wir uns immer wieder einsetzen.

Letztlich stehen wir ganz resolut – und das war kein Selbstläufer – für eine „Ostbelgien-Autonomie“, wonach die Deutschsprachige Gemeinschaft ein gleichberechtigter Bestandteil eines starken belgischen Bundesstaates in einem starken Europa ist. Dafür treten wir ohne Wenn und Aber ein. In diesem Zusammenhang haben unsere Vorgänger Hervorragendes geleistet. Es war der sozialistische Abgeordnete Marc Sommerhausen aus dem Bezirk Verviers, der sich nach dem Ersten Weltkrieg, nach der umstrittenen Angliederung unserer Region an Belgien durch den Versailler Vertrag und nach der Farce der Volksbefragung für die Rechte der Deutschsprachigen starkgemacht hat. Ich kann nur jedem, der glaubt, die Sozialisten seien keine Verteidiger der deutschsprachigen Belgier gewesen, den guten Rat geben, einmal die Parlamentsannalen aus dem Jahre 1927 nachzulesen. Damals hatte es eine große Interpellation zum Thema Ostbelgien im belgischen Parlament gegeben und Marc Sommerhausen durfte anderthalb Stunden im Parlament reden. Die Debatte dauerte übrigens sogar einen ganzen Tag. Im Vergleich dazu sind die manchmal etwas längeren PDG-Sitzungen noch durchaus erträglich.

Auch in der Nachkriegszeit haben die Sozialisten einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass es überhaupt zur Autonomie gekommen ist. Allerdings musste dies erkämpft werden. Die Wahrheit gebietet auch darauf hinzuweisen, dass die Mehrheit der sozialistischen Politiker bis zu den 70er Jahren eher Gegner der Autonomie waren. Das kann ich persönlich sehr genau bezeugen, denn ich gehörte damals zu den „jungen Wilden“, zu den Revoluzzern, die man sogar aus der Partei schmeißen wollte, ohne zu merken, dass sie noch gar nicht drin waren – so geschehen, in Brüssel, in der Rue de la Loi 16. Es waren jene „jungen Wilden“ von damals, die dafür gesorgt haben, dass die SP sich als progressive Kraft hier in Ostbelgien zur Autonomie bekannt hat. Damals haben wir wichtige Weichen gestellt. Menschen wie u.a. Walter Mölter haben dabei eine große Rolle gespielt. Wir sind heute da, wo wir sind, weil Anfang der 70er Jahre der richtige Kurswandel eingeleitet wurde.

Heute stehen wir in Sachen Autonomie – ohne Wenn und Aber – für das, was heute schon mehrmals angesprochen wurde: Für eine gleichberechtigte Rolle der Deutschsprachigen im belgischen Bundesstaat und für das famose „Belgien zu viert“, wobei es da selbstredend viele Nuancen gibt. Es hat mir heute Abend sehr gut gefallen, wie Robert Collignon die, selbst für seine Verhältnisse, mutigen Aussagen von 1988 hier in Erinnerung gerufen hat. Mir hat ebenfalls gefallen, wie Bert Anciaux aus seiner spezifischen Sicht den Begriff Autonomie definiert hat. Ihm zufolge grenzt Autonomie nicht ab und ist auch kein Selbstzweck. Ihr eigentliches Ziel besteht darin, stark zu machen, zu verbinden und zur Zusammenarbeit zu befähigen. Letztlich ist sie eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Lebensbedingungen und die Zukunftsperspektive der Menschen vor Ort verbessert werden können.

Wofür steht die SP noch? In Ostbelgien steht sie – und das nicht erst seit ein paar Wochen , sondern seit vielen Jahrzehnten – nachweisbar für eine solide Politikgestaltung. Dazu lässt sich vieles sagen. Wir haben vor wenigen Tagen zurecht 30 Jahre Autonomie gefeiert. Während dieser 30 Jahre war die Sozialistische Partei Ostbelgiens 26 Jahre in der Verantwortung und hat 15 Jahre lang an der Spitze der Regierung der DG Belgiens gestanden. Auf die Erfolge dieser 30 Jahre, die wir gemeinsam mit unseren jeweiligen Koalitionspartnern erreicht haben, sind wir zurecht stolz und wir lassen sie uns von niemandem kaputtreden. Wer dazu mehr lesen möchte, den verweise ich auf das Dokument „Beispiele aus 30 Jahren DG mit Dekretbefugnis und eigener Regierung“. Hier werden im Detail 70 Beispiele dargestellt, die es in dieser Form ohne die Autonomie der Deutschsprachigen Gemeinschaft und damit verbunden auch ohne unser Engagement hierzulande nicht gäbe.

Ebenso wichtig ist die inhaltliche Perspektive, die wir für die Zukunft ausgearbeitet haben. Vor wenigen Tagen haben viele Bürgerinnen und Bürger, Einrichtungen und Institutionen ein Thesenpapier für die nächste Phase des Regionalen Entwicklungskonzeptes (REK) erhalten. Darin werden Ideen formuliert und Fragen aufgeworfen, wie die Politikgestaltung in den nächsten fünf Jahren aussehen sollte. Dazu findet am 5. April, ein sehr breiter Bürgerdialog statt. Dabei wird ebenfalls ganz deutlich, dass es unsere Handschrift, die Handschrift der SP, trägt.

Als SP stehen wir für eine solide Gemeinschaftspolitik, die auf 3 Säulen fußt: Die erste Säule sind die Dienstleistungen. Der bereits mehrfach erwähnte Dienstleistungskatalog, mit seinen 600 Dienstleistungen kann jeder im Internet unter www.dgdienstleistung.be hervorragend interaktiv nutzen. Die zweite Säule bilden die Infrastrukturen, die wir in den letzten 15 Jahren hierzulande durch einen Investitionsstauabbau in Ordnung gebracht haben. In der nächsten Phase legt die DG den Schwerpunkt auf das nachhaltige Bauen mit mehr Energieeffizienz und Einsatz erneuerbarer Energien. Das ist ebenfalls eine wichtige Dimension dieser soliden Politikgestaltung. Ebenso bedeutsam ist die dritte Säule, die Netzwerke, die Zusammenarbeit. Insbesondere wenn man klein ist, ist man auf Zusammenarbeit angewiesen. Dies ist nur möglich, wenn man über zahlreiche Partner und Freunde verfügt. Autonom sein bedeutet keineswegs, alles selbst zu erledigen. Ganz im Gegenteil, viele Vorhaben sollte man auf Kooperationsebene angehen. Denn dabei kommen bessere Ergebnisse zu besseren Bedingungen, zustande. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft in einer so interessanten Grenzregion lebt, mit den innerbelgischen Sprachgrenzen und den Staatsgrenzen, die uns mit Luxemburg, Deutschland und den Niederlanden verbinden.

Bisher habe ich mich eingehend der Beantwortung der ersten Frage gewidmet. Kommen wir nun zur zweiten: Wie stellen wir uns die Zukunft der Deutschsprachigen Gemeinschaft vor? Wir müssen die Chancen unserer Kleinheit resolut nutzen. Wir haben keine andere Wahl. Ich prophezeie es allen Anwesenden: Von Euch wird in den nächsten Jahren keiner größer werden, gleiches gilt auch für die Deutschsprachige Gemeinschaft. Sie ist so groß, wie die Geschichte sie geschaffen hat… vom Wiener Kongress, über den Versailler Vertrag bis hin zur Ziehung der Sprachgrenzen in den Gesetzen von 1963.

Diese Kleinheit, die viele Herausforderungen in sich birgt, ist vor allem eine Chance, maßgeschneiderte Lösungen in allen Politikbereichen zu finden. Es geht dabei nicht darum, ausschließlich das nachzumachen, was andere vorher geleistet haben. Wir sollten uns von anderen inspirieren lassen und dann wirklich alles – wie einen schönen Maßanzug – hier vor Ort den Gegebenheiten anpassen.  Das können wir vor allem, indem wir mit möglichst vielen Partnern zusammenarbeiten. Hier rede ich weniger von der Zusammenarbeit nach außen, sondern von der nach innen.

Wir brauchen Menschen, die hier vor Ort die Ärmel hochkrempeln und mitanpacken. Das kann man in einer kleiner Region wie der unseren unvergleichbar besser als in einer großen. Hier sind die Wege kurz. Hier sind die Chancen vorhanden. Hier kennt man sich. Hier kann man gemeinsam etwas bewegen. Hier kann man sich um den besten Weg streiten. Hier kann man vor allem schnell zu einem handlungs- und ergebnisorientierten Dialog kommen.

Deshalb spreche ich immer gerne von dem spezifischen DG-Demokratie-Modell. Dieses Modell trägt einen Namen: „Erfolgreiche Regionen sind tief verwurzelt und breit vernetzt“. Das ist inzwischen bekannt. Ich habe es schon sehr oft gesagt, weil ich daran glaube. Die Verwurzelung, die Verankerung vor Ort, das Identitätsstiftende, was hier geschieht, ist sehr wichtig. Ebenso bedeutend ist die Zusammenarbeit nach außen, die Öffnung, das Einatmen dessen, was die Nachbarn in Belgien, in den Grenzregionen und anderswo in Europa uns alles bringen können. Dieses Demokratiemodell setzt voraus, dass wir die Arbeit im Parlament und in der Regierung zukunftsorientiert fortführen und den Verwaltungsunterbau weiterentwickeln, indem wir ihn ständig an die neuen Herausforderungen anpassen.

Beim Verwaltungsunterbau haben wir die Möglichkeit, in einer Reihe von Einrichtungen mit unseren Partnern zusammenzuarbeiten und sie an der Gestaltung zu beteiligen. Dies geschieht im Arbeitsamt, in der Dienststelle für Personen mit Behinderung, in der WFG, in der TAO, im IAWM und in vielen anderen Bereichen. Dort können wir die hiesigen Sozialpartner, die Organisationen, die Gemeinden miteinbeziehen und gemeinsam die Dinge anpacken. Das ist von allergrößter Bedeutung.

Zwei Partnerschaften sind in dieser Hinsicht besonders erwähnenswert. Mit neun Kommunen zusammenzuarbeiten ist etwas völlig anders als mit über 3.000 Kommunen in der NRW oder mit 262 Gemeinden in der Wallonie.  Mit den Sozialpartnern können wir ebenfalls vieles gemeinsam gestalten.  Zwar sind Interessenkonflikte und Meinungsverschiedenheiten nicht ausgeschlossen, aber wir suchen permanent nach Lösungen. Das kann durchaus so weit gehen, dass in Zukunft bei der Wahrnehmung von Aufgaben noch mehr zusammengearbeitet wird als das bisher schon der Fall war. Niemand kann behaupten, die Weisheit für sich gepachtet zu haben. Alle, die einen Beitrag zum Wohl der Gemeinschaft leisten wollen, sollen die Möglichkeit haben, sich konkret einzubringen.

Den Ortschaften kommt hierbei meines Erachtens eine besonders große Bedeutung zu. Gemeinsam mit unserem Präsidenten Antonios Antoniadis bin ich im Sommer 2013 durch die rund 140 Dörfer, Weiler und Stadtteile unserer Region gewandert und gefahren. Wir haben mit Hunderten Menschen gesprochen und dabei erneut feststellen können, dass der eigentliche Lebenspunkt der Menschen – wenngleich sie sehr viel unterwegs sind – nach wie vor die Heimatortschaft bleibt. Für deren Belange engagieren sie sich ganz besonders gerne, sei es für den Erhalt der Kirche, sei es für die Vereine oder für die Frage, wie ihr Dorf in 10, 15, oder 20 Jahren aussehen soll.

Deshalb müssen wir, nach meiner Vorstellung, diesen Ortschaften unbedingt wieder mehr Eigenverantwortung und mehr Selbstgestaltungsmöglichkeiten verleihen. Dies ist nicht durch eine Abschaffung der Gemeinden zu bewerkstelligen. Keineswegs. Die Gemeinde bleibt selbstverständlich die eigentliche Behörde auf örtlicher Ebene. Aber wir können uns durchaus an dem inspirieren, was anderswo geschieht und unseren Ortschaften wieder mehr eigene Verantwortung übertragen. Das ist, wie ich finde, eine tolle Sache! Das funktioniert bereits konkret in vielfältiger Weise, z.B. beim zum „Dorfhaus“ umfunktionierten ehemaligen Schulgebäude der Ortschaft Bracht oder bei der Pflege des Berings der Kirche Wirtzfeld, wo heute Nachmittag die Pressekonferenz über die Erfahrungen der letzten fünf Jahre mit dem neuen Kirchenfabrikdekret stattfand.

All das sind Chancen, unser eigenes Demokratiemodell aufzubauen. Da ist Platz für jeden, der aktiv mitwirken möchte.  Diese Zukunftsperspektiven müssen wir natürlich inhaltlich ausfüllen. Dies kann meines Erachtens am besten in Form einer breitangelegten und wohldurchdachten Standortinitiative geschehen. Es muss interessant, angenehm und vorteilhaft sein, in Ostbelgien zu leben, zu lernen, zu arbeiten, zu wohnen, zu feiern und was man sonst noch gerne zu Hause tut. Darauf kommt es an. Mit der derzeitigen Autonomie können wir schon eine Menge Voraussetzungen schaffen und das wird mit der Autonomie, die wir in einigen Jahren haben werden, noch besser möglich sein.

Initiativen im Bereich der Wirtschaft sind notwendig. Zwar können wir als DG nicht die allgemeinen Rahmenbedingen festlegen, aber wir können durchaus für regionale Kreislaufwirtschaften einiges erreichen, zum Beispiel durch eine Förderung der „regionalen Produkte“.

Wir können uns außerdem darum bemühen, dass unsere 1.800 Kleinstbetriebe die ein oder andere zusätzliche Arbeitskraft einstellen. Bei diesen Themen können wir sehr ortsnah und konkret etwas bewirken.

Darüber hinaus sollten wir darauf achten, dass nicht nur die klassische Wirtschaft sich entwickelt. Es ist auch entscheidend, dass die Sozialökonomie sich hierzulande festigen und weiterausbauen kann. Wir haben bereits schöne Verwirklichungen. In Zukunft besteht bei der Beschaffung von mehr Arbeitsplätzen in sozialnützlich aktiven Betrieben noch enormes Potential. Es geht darum, Menschen zu helfen, die es nicht so leicht haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt einen Platz zu finden. Das ist eine durchaus lohnenswerte Aufgabe.

In Bildung und Ausbildung geht es nach unserer Vorstellung vor allem um hohe Qualität und Bildungsgerechtigkeit. Der Zugang zur starken Trumpfkarte Bildung und zur Mehrsprachigkeit muss Jugendlichen und Erwachsenen unabhängig von ihren jeweiligen finanziellen Mitteln im Rahmen des „lebenslangen Lernens“ geboten werden.

Auch bei der Raumordnung und beim Wohnungsbau herrscht grundlegender Verbesserungsbedarf. Darüber haben Edmund Stoffels und die Kollegen aus der Fraktion, gesprochen. Das von ihnen Erwähnte werde ich an dieser Stelle nicht wiederholen.

Wir tragen eine wesentliche Verantwortung für das Gesundheits- und Sozialwesen und im Zuge der 6. Staatsreform wird diese Verantwortung noch viel größer. Wir müssen die Rahmenbedingungen schaffen, um hervorragende Dienstleistungen anbieten zu können, für die Kleinkindbetreuung ebenso wie für die Betreuung älterer Menschen daheim oder in Pflegeeinrichtungen.

Wir müssen darüber hinaus eine reibungslose Krankenhausversorgung gewährleisten. Das ist eine ganz große, gegenwärtige Herausforderung. Es ist eine derart wichtige Herausforderung, dass ich nur noch eines sagen möchte: Es handelt sich hierbei um eine politische Aufgabe, der sich vor allem die Kommunen in den nächsten Monaten und Jahren werden annehmen müssen, in Zusammenarbeit mit der Gemeinschaft und mit soliden, in diesem Bereich tätigen Partnern. Dazu gehören in allererster Linie die Krankenkassen. Wir stehen vor fundamentalen Weichenstellungen, die über die Grenzen unserer Gemeinschaft hinaus Auswirkungen haben.

Auch bei der Energieeffizienz und beim Einsatz erneuerbarer Energien können wir eine Menge tun. Demnächst findet eine Veranstaltung zum Leitbild in Sachen Energieeffizienz für die nächsten Jahre statt. Für uns Sozialdemokraten ist entscheidend, dass alles für die Verbraucher finanzierbar bleibt.

Tourismus und Umwelt sind ein weiterer großer Bereich. Wir haben uns mit der RaVEL-Strecke auf der Vennbahn in den letzten Jahren eine starke Trumpfkarte aufgebaut.  Auch die DG selbst ist Anbieter hochwertiger Dienstleistungen.  Fast hundert Menschen arbeiten demnächst in allen Gemeinschaftszentren: Im Sport- und Freizeitzentrum Worriken/Bütgenbach, im KUZ Burg-Reuland, an mehreren Standorten in Eupen und zwar auf Ternell und an der Wesertalsperre und natürlich im neuen „Kloster Heidberg“, dank dessen Eupen zum ersten Mal  für den zukunftsträchtigsten Sektor des Tourismus, dem Tagungstourismus, über eine attraktive Infrastruktur verfügt.  Aufgrund unzureichender Infrastrukturen konnten in der Vergangenheit zahlreiche Veranstaltungen nicht in Ostbelgien stattfinden.  Mit der Eröffnung des Klosters Heidberg wird sich dies grundlegend ändern. Am Ostermontag, den 21. April, können Sie sich beim „Tag der Offenen Tür“ selbst ein Bild von diesem neuen Angebot machen.

Sport, Freizeit, Kultur und Sprache… sind weiter wichtige Politikbereiche. Dabei dürfen wir insbesondere die Sprache nie aus den Augen verlieren. Sie hat mehrere Dimensionen.  Die Qualität der Muttersprache, die Mehrsprachigkeit, aber auch das Recht der Menschen in Ostbelgien, Gesetzestexte und andere Texte aus der Wallonie und Belgien in deutscher Sprache zu erhalten. Gesetzlich ist dies zwar einigermaßen geregelt, in der Praxis aber herrschen noch erhebliche Mängel. An deren Behebung müssen wir in Zukunft verstärkt arbeiten.

All dies setzt natürlich eine solide Finanzpolitik voraus. Dazu möchte ich ein paar Worte sagen. Wir haben in den letzten Jahren – aller teilweise sehr demagogischen Kritik zum Trotz – eine sehr vernünftige Finanzpolitik betrieben. Es ist uns gelungen, die 2009 zu befürchtende krisenbedingte Neuverschuldung von rund 230 Millionen Euro auf null zu reduzieren. Wir mussten jedoch zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen Schulden machen, wie dies übrigens jede Person oder Familie tut, die ein Haus zu bauen beabsichtigt.

Wir haben rund 430 Millionen Euro in 2.200 Bauprojekten investiert.  Der Nachholbedarf in den Bereichen Kultur, Schulen, Sport und Soziales war enorm. Logischerweise kann man das nicht aus der Portokasse bezahlen. Eine Kreditfinanzierung ist demnach unumgänglich. Wir haben allerdings eine Regel eingehalten: Die maximale Belastung für Infrastrukturausgaben in der DG liegt zum jetzigen Zeitpunkt bei 15%. Ich spreche von „jetzigen Zeitpunkt“, dann durch die neuen Kompetenzen u.a. in Sachen Kinderzulagen, wird dieser Prozentsatz sinken, da diese bedeutende Mittel keine Infrastrukturrelevanz haben. Das war der richtige Weg, den wir auch in Zukunft weiter beschreiten werden.

Liebe Gäste,

Wir möchten – das möchte ich ganz klar sagen – auch nach dem 25. Mai 2014 die erfolgreiche Arbeit in der Regierung fortführen. Neben dem sportlichen Anreiz des Sprungs über die 20% ist es unser erklärtes Ziel, auch in der nächsten Legislaturperiode Regierungsverantwortung in der DG zu tragen.  Dafür werden wir mit aller Kraft kämpfen. Und all denen, die der Auffassung sind, dass der jetzige Ministerpräsident der richtige Kapitän für die nächste Fahrt auf der stürmischen See der zukünftigen Autonomiegestaltung und –erweiterung sei, werde ich sicherlich nicht widersprechen.

Ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit!