Reden

Regierungserklärung zur Lage der DG 2013


Regierungserklärung zur Lage der Deutschsprachigen Gemeinschaft

17/09/2013

PDF 20130917 (150.9 KiB)

 

Sehr geehrter Herr Präsident,

werte Kolleginnen und Kollegen,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

wie seit 1999 üblich gibt die Regierung auch zu Beginn dieses Sitzungsjahres eine Erklärung ab, um die politische Lage der Deutschsprachigen Gemeinschaft aus ihrer Sicht darzulegen und die Schwerpunkte ihrer Arbeit für das kommende Jahr zu erläutern. So wird im Parlament eine Grundsatzdebatte über die in der Deutschsprachigen Gemeinschaft geführte Politik ermöglicht.

Erfolgreich regieren in finanziell schwierigen Zeiten: so ließe sich die auslaufende Legislaturperiode wohl am besten umschreiben. Politikgestaltung ist in diesen Krisenzeiten keine einfache Aufgabe. Seit Beginn der weltweiten Finanzkrise, die sich später zur Wirtschafts- und Schuldenkrise ausgeweitet hat, mussten wir als Deutschsprachige Gemeinschaft im Zeitraum 2009-2013 kumulierte Einnahmenverluste in Höhe von 47 Millionen Euro verkraften. Bis 2019 werden diese Mindereinnahmen nach bisherigen Schätzungen auf mindestens 172 Millionen Euro anlaufen. Der genaue Betrag wird nach den laufenden Haushaltsberatungen sehr wahrscheinlich noch höher sein.  Die Regierung hat sich dieser Herausforderung gestellt und gemeinsam mit der sie tragenden Mehrheit die nötigen Sparmaßnahmen beschlossen. Funktionskosten wurden systematisch durchforstet und zum Teil eingefroren, Dotationen und Funktionssubventionen stiegen langsamer oder gar nicht, die Personalkostensteigerung wurde gebremst, jedoch ohne insgesamt Stellen abzubauen, das ehrgeizige Investitionsprogramm wurde gestreckt. Auf diese Weise ist es uns gelungen, die mit dem Föderalstaat vereinbarten Haushaltsziele zu erreichen und gleichzeitig die Dienstleistungen der Gemeinschaft für die Einrichtungen, Betriebe und Bürger auf hohem Niveau aufrechtzuerhalten und sogar teilweise auszubauen.

Hervorheben möchte ich an dieser Stelle, dass auch in diesen schwierigen Zeiten von Sparmaßnahmen und Haushaltskürzungen der Sozialdialog in der Deutschsprachigen Gemeinschaft nicht abgerissen ist. Alle personalrelevanten Maßnahmen wurden in der bewährten Form mit den Gewerkschaften verhandelt und es ist uns gelungen, trotz der angespannten Haushaltslage ein Rahmenabkommen für den nicht-kommerziellen Sektor und ein Sektorenabkommen für den öffentlichen Dienst zu unterzeichnen. Im Wirtschafts- und Sozialrat wurden Arbeitgeber- und Arbeitnehmer­organisationen regelmäßig über die Entwicklung der Gemeinschafts­finanzen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen informiert. Naturgemäß konnte in diesen schwierigen Fragen nicht immer Konsens erreicht werden. Wichtig ist jedoch, dass die Instrumente des Sozialdialogs, die wir uns gegeben haben, auch in Krisenzeiten funktionieren. Die Regierung bedankt sich ausdrücklich bei den Sozialpartnern für den offenen und konstruktiven Dialog und die meist verantwortungsvolle Haltung im Angesicht der Krise.

Hervorheben möchte ich ebenfalls, dass die Regierung in dieser schwierigen Finanzlage an ihrer langfristigen Zukunftsplanung fest­gehalten hat und nicht in blinden kurzfristigen Aktionismus verfallen ist. Wir haben ein erstes Umsetzungsprogramm für das am Ende der vorigen Legislaturperiode ausgearbeitete Regionale Entwicklungskonzept vorgelegt und in weiten Teilen verwirklicht. Gerade in Krisenzeiten war es wichtig, die Richtung zu kennen und unser Handeln an nachhaltigen Strategien auszurichten.

Die DG wird auch in den kommenden Jahren ihren Beitrag zum Gleichgewicht des konsolidierten belgischen Haushalts leisten müssen.  Dabei werden übrigens die Gemeinden aufgrund europäischer Vorgaben in Zukunft enger als bisher einzubeziehen sein.  Die Regierung wird an dem eingeschlagenen Kurs der wirtschaftlich und sozial verantwortbaren Haus­halts­konsolidierung fest­halten. Sollten sich die Wirtschaftsparameter jedoch erneut verschlechtern und von den bisherigen Prognosen des Föderalen Planbüros abweichen, dann können wir weitere dekretal zu verankernde Sparmaßnahmen nicht ausschließen.  Aufgrund der aktuellen Parameter erweist sich übrigens die Ausarbeitung der Haushalte 2014 und 2015 als eine äußerst schwierige Aufgabe, was die Regierung jedoch nicht daran hindern wird, Mitte Oktober einen nach der Norm des Hohen Finanzrates ausgeglichenen Haushaltsentwurf für das Jahr 2015 gemeinsam mit der 2. Haushaltsanpassung 2013 und dem Ursprungshaushalt 2014 in diesem Hause zu hinterlegen.

Die alleinige Haushaltssanierung und –konsolidierung ist allerdings kein Allheilmittel gegen die Krise. Die Deutschsprachige Gemeinschaft muss sich einschreiben in die Wachstumsstrategie 2020 der Europäischen Union sowie in den Pakt für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung, der zwischen dem Föderalstaat und den Gemeinschaften und Regionen vereinbart werden wird. Die Regierung wird sich aktiv an diesen Arbeiten beteiligen und eigene Vorstellungen für die Beteiligung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Rahmen ihrer Zuständigkeiten entwickeln.

Dabei werden wir auch bei der Jugendgarantie mitwirken. Die EU hat Mittel bereitgestellt für Initiativen, die jungen Menschen den Einstieg ins Berufsleben erleichtern. Mit der Jugendgarantie soll jeder EU-Bürger unter 25 Jahren innerhalb von vier Monaten nach Abschluss einer formellen Ausbildung oder bei Arbeitslosigkeit ein Angebot für eine neue Stelle, eine Weiterbildung oder einen Ausbildungsplatz erhalten. Mit Hilfe dieses Programms und insbesondere mit den verbleibenden Miteln aus dem ESF für 2007-2013 können wir unsere bisherigen Anstrengungen in diesem Bereich noch verstärken.

Für unser strategisches Handeln wird das Regionale Entwicklungskonzept weiterhin die Richtschnur sein. Wir werden gemeinsamen mit allen, die an der Erarbeitung des Konzeptes beteiligt waren, ein Thesenpapier mit konkreten Vorschlägen für ein zweites Umsetzungsprogramm entwickeln und der kommenden Regierung als Empfehlung mit auf den Weg geben.

 

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen,

der 21. Juli 2013 war ein wichtiger Tag für Belgien. Nach einer zwanzigjährigen Amtszeit legte König Albert II sein Amt nieder und sein Sohn Philippe leistete seinen Eid als neuer König der Belgier. Wir deutschsprachigen Belgier haben allen Grund, König Albert dankbar zu sein. Er hat die Entwicklung der Deutschsprachigen Gemeinschaft wohlwollend begleitet und gefördert. Er hatte stets ein offenes Ohr für unsere Belange. Danke, Sire.

König Philippe wünschen wir von Herzen alles Gute. Seine Aufgabe als König eines föderalen Belgien wird nicht immer einfach sein. Mit den Bürgerinnen und Bürgern unserer Heimat freuen wir uns auf seinen Besuch am 23. Oktober anlässlich der akademischen Sitzung zum Jubiläum des Parlaments. Wir Deutschsprachigen werden dann erneut unsere Verbundenheit mit dem belgischen Königshaus bezeugen können.

Noch vor der Sommerpause einigten sich acht Parteien auf die definitive Form der sechsten Staatsreform und hinterlegten die Vorschläge der Verfassungs- und Gesetzesänderungen im föderalen Parlament. Diese Reform stellt auch die Deutschsprachige Gemeinschaft vor große Herausforderungen.

Diese Staatsreform festigt die Position der Deutschsprachigen Gemeinschaft innerhalb des belgischen Bundesstaates. Die konkreten Details unserer zukünftigen Entwicklung bleiben sicher noch ungewiss, aber die Richtung verdichtet sich. Das Belgien zu viert, mit einer Deutschsprachigen Gemeinschaft als gleichwertigem Gliedstaat mit voller Autonomie, ist eine logische Weiterentwicklung dieser Reform. Auch die äußeren Zeichen für diese Entwicklung nehmen zu. Bei der Eidesleistung unseres neuen Königs Philippe zum Beispiel waren vier Wappen links und rechts des Königsthrons angebracht. Bei den Verhandlungen zur Staatsreform und zur Haushaltssanierung fanden regelmäßig Arbeitstreffen zwischen dem Premierminister und den vier Ministerpräsidenten statt. Diese Symbole sind wichtig. Sie machen deutlich, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft mehr und mehr im Selbstverständnis des föderalen Belgien verankert ist.

Die Vorbereitungen auf die Übernahme neuer Zuständigkeiten im Zuge der sechsten Staatsreform haben frühzeitig begonnen. Seit anderthalb Jahren tagen Arbeitsgruppen zu den großen Kompetenz­blöcken, die übertragen werden. Hier werden die nötigen Informationen zusammengetragen, offene Fragen diskutiert und Ideen für die künftige Gestaltung der neuen Zuständigkeiten entwickelt. Das Parlament hat einen ständigen Unterausschuss zu Fragen der sechsten Staatsreform ins Leben gerufen, der sich in zahlreichen Expertenanhörungen ein Bild der zukünftigen Herausforderungen machen konnte. Auf föderaler Ebene hat der Konzertierungsausschuss beim Premierminister eine Taskforce ein­ge­richtet, in der die Gemeinschaften und Regionen durch ihre Verwaltungs­­­spitzen vertreten sind. Aufgabe dieser Taskforce ist es, die Übernahme der Zuständigkeiten praktisch vorzubereiten und die für die Übergangs­perioden notwendigen Vereinbarungen zwischen dem Föderalstaat und den einzelnen Gliedstaaten zu entwerfen.  Die im Föderalen Parlament hinterlegten Gesetzesvorschläge zur Staatsreform liegen dem Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft derzeit zur Begutachtung vor.  Wir erwarten in Kürze einen Gesetzesvorschlag bezüglich der neuen Zuständigkeiten und der künftigen Finanzierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Parlament, Regierung und Ministerien werden in den kommenden Monaten besonders gefordert sein, damit die Vorbereitungen zur Übernahme der neuen Zuständigkeiten in der erforderlichen Frist abgeschlossen werden können.

Die Forderungen der Deutschsprachigen Gemeinschaft bezüglich der institutionellen Entwicklung Belgiens können immer dann erfolgreich vertreten werden, wenn wir nach außen Geschlossenheit zwischen den ostbelgischen Parteien demonstrieren und unsere Interessen im Konsens vertreten. Auch bei der Ausgestaltung der neuen Zuständigkeiten können wir die anstehenden Herausforderungen besser meistern, wenn nach innen Einigung über die grundlegende Ausrichtung herrscht. Diesem Zweck dienen Gespräche zwischen den fünf ostbelgischen Parteien, die hinter der Grundsatzresolution vom 27. Juni 2011 stehen. In einer von CSP, SP, PFF, ProDG und ECOLO am 29. August 2013 unterschriebenen Grundsatzerklärung wird festgehalten, dass diese Parteien zu einigen konkret festgelegten Punkten einen Konsens aller Beteiligten anstreben. Dieser Konsens soll zum einen die Inhalte der Parlaments­stellungnahmen zur sechsten Staatsreform sowie die Verhandlungs­position für die Verhandlungen mit der Wallonischen Region umfassen. Gemeinsam wollen wir unsere Anmerkungen zu den Gesetzesentwürfen zur Umsetzung der föderalen Staatsreform formulieren, gemeinsam wollen wir festlegen, in welchem Umfang, in welchem Zeitrahmen und mit welchen Mitteln unserer Meinung nach die vom Parlament geforderten Zuständigkeiten von der Wallonischen Region an die Deutschsprachige Gemeinschaft übertragen werden sollen. Zum anderen soll der Konsens zwischen den fünf Parteien einige Eckpunkte für die Gestaltung der erweiterten Autonomie festlegen. Dazu gehören das Management der Übernahme der neuen Zuständigkeiten, die Ausarbeitung maßgeschneiderter Konzepte, der Zusammenhang und die Synergien mit den bisherigen Zuständigkeiten, die Einbindung der Gemeinden, die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern, die Zusammenarbeit mit Einrichtungen der Zivilgesellschaft, die Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Körperschaften sowie die Finanzierungsmodalitäten.

Die Regierung begrüßt ausdrücklich diese Vereinbarung und den Willen zur Zusammenarbeit in fundamentalen Fragen für die Gemeinschaft, den die verantwortungsbewussten und –bereiten Mitglieder dieses Hauses zeigen. Sie wird ihren politischen Verpflichtungen, die sich aus diesem Fünf-Parteien-Abkommen ergeben, loyal und zuverlässig nachkommen.

Welche neuen Zuständigkeiten kommen nun im Einzelnen auf die Deutschsprachige Gemeinschaft zu? Ich erlaube mir, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, einige Aspekte aus den großen Blöcken kurz zu skizzieren.

Ein erster Block umfasst weite Bereiche der Gesundheits- und Seniorenpolitik. Teilweise sind diese neuen Zuständigkeiten mit einer Übertragung finanzieller Mittel verbunden, teilweise handelt es sich um Aspekte, die lediglich zusätzlichen inhaltlichen Gestaltungsspielraum für die Gemeinschaft bieten. In vielen Teilbereichen werden der Föderalstaat und die Gliedstaaten Abkommen zur Verwaltung gemeinsam auszuübender Kompetenzen abschließen müssen.

In der Krankenhauspolitik wird die Gemeinschaft zusätzlich zu ihren bisherigen Zuständigkeiten verantwortlich für die Anerkennungsnormen der Krankenhäuser und Krankenhausdienste, das heißt sie wird die Mindestansprüche qua Infrastruktur, Funktionsweise, Personal und Qualität festlegen. Zudem wird sie vollständig für die Finanzierung aller Infrastrukturvorhaben der Krankenhäuser, ob Neubau, Umbau oder Renovierung, zuständig sein.

In der Langzeitpflege und –betreuung wird die Gemeinschaft in Zukunft zuständig sein für die inhaltliche Gestaltung, die Kontrolle der Preispolitik und die Finanzierung der Pflege und Betreuung von Senioren in Alten- und Pflegewohnheimen und teilstationären Angeboten, für die Gestaltung der Mobilitätshilfen und der Beihilfe für betagte Personen, für die Finanzierung des psychiatrischen Pflegewohnheimes und des Begleiteten Wohnens sowie für die Betreuung der Palliativpatienten zu Hause. Auch für die Revalidationskonventionen, zum Beispiel mit dem Kindertherapiezentrum (KITZ), wird die Gemeinschaft verantwortlich sein. Bisher war die Gemeinschaft in vielen dieser Bereiche bereits teilweise zuständig. Durch die Erweiterung der Kompetenzen tragen wir zukünftig eine hohe Verantwortung für eine bedarfs- und qualitätsorientierte Unterstützung der Menschen mit Hilfebedarf. Wir erhalten die Möglichkeit, dabei auf unsere Bedürfnisse zugeschnittene Angebote zu entwickeln.

Durch die sechste Staatsreform wird der Gemeinschaft die alleinige Zuständigkeit in der Gesundheitsförderung und Prävention übertragen. Der Föderalstaat war bisher noch in der Präventionspolitik aktiv, so durch die Finanzierung von Projekten der Drogen- und Tabakprävention, durch den föderalen Ernährungsplan und bestimmte Kampagnen wie z Bsp. zu Ozon und Hitzewellen, oder zum Salzkonsum. Die bisher verausgabten Mittel werden der Gemeinschaft übertragen. Wir werden dadurch in die Lage versetzt, unsere bisherige Aufgabe der Gesundheitsvorsorge besser und umfassender wahrzunehmen. Zudem wird die Gemeinschaft allein zuständig für die Finanzierung der Impf- und Früherkennungsprogramme. Durch die Übertragung weiterer Finanzierungs- und Steuerungsmittel können wir außerdem die niedergelassenen Ärzte direkt als Partner in unsere Gesundheits- und Präventionspolitik einbinden. Auch die Übernahme der administrativen Berufszulassung und Kontrolle der Gesundheitsdienstleister im Rahmen des KE N°78 vom 10. November 1967 wird die Beziehung zu diesen Berufsgruppen stärken.

Der zweite Block neuer Zuständigkeiten betrifft die Familienzulagen. Zum 1. Juli 2014 wird der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Bereich der Familienpolitik die vollständige Zuständigkeit zur Regelung und Verwaltung der Familienzulagen, einschließlich der Geburts- und Adoptionsprämie, übertragen. Der an die DG übertragene Betrag zur Finanzierung dieser neuen Zuständigkeit erfolgt auf Grundlage der am 1. Januar 2015 in der DG wohnhaften Bürger im Alter von 0-18 Jahren. Der Basisbetrag, der im Rahmen der Übertragung der Familienzulagen unter den Gemeinschaften aufgeteilt wird, entspricht im Haushaltsjahr 2013 einer Summe von rund 6,4 Milliarden Euro.

Entsprechend der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat die Gewährung der Familienzulagen die Beteiligung an den Unterhalts- und Erziehungskosten der Kinder zum Ziel und ermöglicht somit, die durch einen Familienzuwachs bedingten Zusatzkosten eines Haushaltes teilweise auszugleichen.

Einzige Einschränkungen bei der Ausübung dieser neuen Zuständigkeit sind zwingende Bestimmungen des internationalen und europäischen Rechts, insbesondere in Bezug auf die Grenzgänger sowie die vorgesehene Ergänzung von Artikel 23 der Verfassung, wodurch das Recht auf Familienzulagen zu einem der sozialen Rechte wird, welche die Gemeinschaften im Rahmen des Rechtes auf ein menschenwürdiges Leben gewährleisten müssen.

Um die Kontinuität der Zahlung der Familienzulagen zu gewährleisten, sieht das Übertragungsgesetz eine verpflichtende Übergangsperiode bis zum 1. Januar 2016 und eine fakultative Übergangsperiode bis zum 1. Januar 2020 vor. Während dieser Übergangsperiode werden die Familienzulagen gegen Entgelt über die derzeitigen Strukturen ausgezahlt. Darüber hinaus dürfen während dieser Zeitspanne wesentliche Änderungen an der Regelung der Familienzulagen nur im Rahmen eines Kooperationsabkommens zwischen der föderalen Behörde und der jeweilig zuständigen Gemeinschaft vorgenommen werden.

Neben den Familienzulagen werden ebenfalls die finanziellen Mittel und die Verwaltung des FESC, des Fonds für Ausrüstung und Kollektivdienstleistungen, an die DG übertragen. Die finanziellen Mittel werden zwischen den Gemeinschaften unter Berücksichtigung der in der jeweiligen Gemeinschaft wohnenden 0-17jährigen verteilt. Dieser Fonds ist Teil der Gesetzgebung der Familienzulagen und finanziert Strukturen der Kleinkindbetreuung. Der Fonds wird derzeit durch die Zentralanstalt für Familienzulagen verwaltet und durch einen Arbeitgeberbeitrag von 0,05 % auf die Lohnmasse der Angestellten, Arbeiter und Beamten gespeist. In der DG werden derzeit ausschließlich die Projekte der außerschulischen Betreuung über Mittel dieses Fonds bezuschusst.  Ab dem 1. Januar 2014 können die Gemeinschaften die Reglementierung zur Verteilung der FESC Gelder abändern. Erfolgt dies nicht bis zum 1. Januar 2015, wird die derzeitige Regelung erneut für ein Jahr angewandt.

Ein dritter Block neuer Zuständigkeiten umfasst Teile des Justizwesens, und zwar in den Bereichen des Jugendschutzes und der Justizhäuser.

Komplementär zu ihren Zuständigkeiten in der Jugendhilfe hat die Deutschsprachige Gemeinschaft im Jugendschutz bislang die Befugnis, föderal festgelegte Jugendschutzmaßnahmen gegenüber straffälligen Jugendlichen umzusetzen. Durch die sechste Staatsreform werden wir dafür verantwortlich sein, diese Maßnahmen eigenständig weiter­zuentwickeln und neue zu definieren. Die Jugendschutzmaßnahmen können dadurch noch besser unserem Bedarf  und unserer Problemlage angepasst werden und es können spezifische Angebote mit Kooperations­partnern in- und außerhalb der Deutschsprachigen Gemeinschaft erarbeitet werden. Die präventiven Handlungsmöglichkeiten und die Effizienz der Maßnahmen im Umgang mit Jugendkriminalität werden erweitert, die Möglichkeiten der Synergie mit der Jugendhilfe ausgebaut.

Die Gemeinschaften werden außerdem dafür zuständig sein, die Zugangsmodalitäten zu geschlossenen Zentren zu definieren und deren Organisation zu regeln. In Kooperation mit anderen Gemeinschaften wird es daher in Zukunft besser möglich sein, flexibel auf unsere Bedürfnisse zu reagieren. Aktuell stehen in Saint Hubert zwei Plätze für straffällige Jugendliche aus der Deutschsprachigen Gemeinschaft zur Verfügung.

Die sechste Staatsreform sieht ebenfalls vor, dass die Gemeinschaften für das Jugendstrafrecht zuständig werden. Die Deutschsprachige Gemein­schaft kann dann das Regelwerk zur Verweisung Jugendlicher zwischen 16 und 18 Jahren an das Strafgericht an die Besonderheiten des Gerichtsbezirks Eupen anpassen.

Zum 1. Juli 2014 wird der Deutschsprachigen Gemeinschaft die Zuständigkeit zur Regelung der Organisation und der Funktionsweise der Justizhäuser übertragen. In Ausübung dieser Zuständigkeit kann die Gemeinschaft autonom entscheiden, in welcher Struktur die derzeitigen Aufgaben des Justizhauses des Gerichtsbezirks Eupen wahrgenommen werden. Dies umfasst ebenfalls die Möglichkeit, dem Justizhaus neue Aufgaben im Rahmen der Gemeinschaftszuständigkeiten zu übertragen. Somit besteht die Möglichkeit, bestehende Dienste der Gemeinschaft mit Diensten des Justizhauses zu fusionieren.

Der Föderalstaat bleibt weiterhin zuständig für die Regeln zum Gerichtsverfahren sowie für jene zur Ausführung der Gerichtsentscheide und der verhängten Strafen. Die Bestimmung des zuständigen Justizhauses zur Ausführung von Gerichtsentscheiden oder verhängten Strafen obliegen somit weiterhin der föderalen Behörde. Auch wenn die Gemeinschaften nach der Zuständigkeitsübertragung die Justizhäuser neu strukturieren können, muss gewährleistet bleiben, dass die Aufträge, die die Dienste der Justizhäuser derzeit und in Zukunft seitens der Justizbehörden erhalten, weiterhin ausgeführt werden.

Dieser gemeinsame Zugriff auf die Dienstleistungen der Justizhäuser erfordert deutliche Absprachen zwischen den zuständigen Behörden. Aus diesem Grund sieht das Übertragungsgesetz vor, dass ein Kooperationsabkommen zwischen den Gemeinschaften und dem Föderalstaat abgeschlossen werden muss. In diesem Abkommen müssen die Rahmenbedingungen für die erforderliche Übermittelung von Informationen zwischen den Diensten, für den Umgang mit Konflikten zwischen beiden Behörden sowie für die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Justizhäusern verschiedener Gemeinschaften geregelt werden.

Neben den Justizhäusern wird auch die Regelung der Rechtshilfe der ersten Linie  den Gemeinschaften übertragen. Die Rechtshilfe der ersten Linie ist eine Anlaufstelle für den Rechtssuchenden für eine erste Einschätzung der Rechtslage.  Bei komplexeren Sachverhalten empfiehlt der beratende Anwalt entweder beim Büro für Rechtshilfe, der Rechtshilfe der zweiten Linie,  einen kostenlosen Rechtsbeistand zu beantragen, oder einen Anwalt aufzusuchen, der sich entgeltlich mit dem Fall befasst. Sowohl die Reglementierung als auch die Finanzierung der Rechtshilfe der zweiten Linie bleiben weiterhin im Zuständigkeitsbereich des Föderalstaates.

Da die Gemeinschaften im Zuge der 6. Staatsreform ebenfalls im Rahmen ihrer materiellen Zuständigkeiten mehr Einfluss auf die Verfolgungspolitik der Strafbehörden erhalten, sieht das Übertragungsgesetz den Abschluss eines Zusammenarbeitsabkommens vor, um die entsprechenden Rahmenbedingungen festzulegen. Dadurch wird noch einmal deutlich, wie bedeutsam der eigene Gerichtsbezirk für die Deutschsprachige Gemeinschaft ist und wie wichtig es war, bei der Justizreform für den Erhalt dieses Gerichtsbezirks zu kämpfen.

Ein vierter Block neuer Zuständigkeiten umfasst zusätzliche Bereiche der bisher föderalen Beschäftigungspolitik, die an die Regionen übertragen werden. Die Zuständigkeit für das Arbeitsrecht und die soziale Sicherheit bleibt in föderaler Hand. Die Industrielehre wird hingegen direkt an die Gemeinschaften übertragen.

Die Deutschsprachige Gemeinschaft ist seit dem Jahr 2000 zuständig für die Arbeitsvermittlung, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und die Gewährung von Arbeitserlaubnissen für ausländische Arbeitnehmer. Für den Bereich der Berufsumschulung und Ausbildung ist sie bereits seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zuständig.

Im Zuge der sechsten Staatsreform werden u.a. folgende Bereiche an die Regionen übertragen: die Kontrolle und Bestrafung der Arbeit Suchenden hinsichtlich ihrer Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt, die Ermäßigungen der Sozialabgaben für bestimmte Zielgruppen und die Aktivierung der Arbeitslosenunterstützung, die Dienst­leistungsschecks und die lokalen Beschäftigungsagenturen, die föderalen Programme  zur Eingliederung von Empfängern des Eingliederungs­einkommens, die Globalprojekte im Rahmen der Erstbeschäftigungs­abkommen, die Programme im Bereich der Sozialökonomie, um nur die wichtigsten zu nennen.

Die weitere Übertragung der zusätzlich zu den bisherigen neu regionalisierten Beschäftigungs­zuständig­keiten an die Deutschsprachige Gemeinschaft muss auf Grundlage von Artikel 139 der Verfassung mit der Wallonischen Region verhandelt werden. Da wir schon jetzt für Teile der Beschäftigungspolitik zuständig sind, gehen wir davon aus, dass die Wallonische Region uns diese neuen Zuständigkeiten weiterüberträgt, da ansonsten drei Körperschaften und knapp zwanzig Behörden für die Gestaltung und Ausführung der Beschäftigungs­politik auf dem Territorium der Deutschsprachigen Gemeinschaft zuständig wären.

Neben diesen vier großen Blöcken gibt es weitere Zuständigkeiten, die der Gemeinschaft übertragen werden und die unsere bisherigen Zuständigkeiten abrunden, wie etwa zusätzliche Bereiche der Telekommunikationspolitik und der Filmkontrolle, zusätzliche Bereiche des Empfangs und der Integration von Einwanderern oder die Beteiligung an bisher allein föderalen Einrichtungen wie dem Nationalen Statistikamt oder dem Institut der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung.

Eine letzte Zuständigkeit, die von der sechsten Staatsreform betroffen ist, möchte ich getrennt erwähnen. Der Tourismus wird von den Gemein­schaften an die Regionen übertragen. Allerdings weist der föderale Sondergesetzgeber ausdrücklich darauf hin, dass diese Zuständigkeit im Falle der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Anwendung von Artikel 139 der Verfassung an die Gemeinschaft zurückübertragen werden soll. Diese Umwandlung des Tourismus von einer Gemeinschaftsmaterie in eine regionale Materie wird im Übrigen vorgenommen, damit die Region Brüssel-Hauptstadt selbst für den Tourismus auf ihrem Gebiet zuständig wird. Dies ist übrigens wiederum ein deutlicher und einschlägiger Hinweis darauf, dass Belgien sich zu einem Bundesstaat mit vier Gliedstaaten entwickelt.

Die seit Beginn dieser Legislaturperiode laufenden Verhandlungen mit der Regierung der Wallonischen Region zur Übertragung weiterer regionaler Zuständigkeiten an die Deutschsprachige Gemeinschaft haben bisher zu keinem annehmbaren Ergebnis geführt. Die wallonische Regierung ist zwar bereit, in den Bereichen Tourismus, Beschäftigung und untergeordnete Behörden Verhandlungen aufzun­ehmen, zeigt jedoch keine Bereitschaft zu Verhandlungen über die Provinz­­zuständigkeiten, das Wohnungswesen und die Raumordnung. Innerhalb der wallonischen Regierung besteht in diesen Fragen bislang kein Konsens. Auf der gemeinsamen Regierungssitzung vom 12. Juli 2012 konnte lediglich erreicht werden, dass die Frage der Aufnahme von Verhandlungen zur Übertragung der von uns geforderten Zuständigkeiten bei der kommenden gemeinsamen Regierungssitzung erneut zur Tagesordnung steht. Ich kann deshalb heute nur meine Aussagen des vorigen Jahres wiederholen. In den kommenden Wochen und Monaten wird sich zeigen, ob Artikel 139 der Verfassung, der einen Autonomieausbau der Deutschsprachigen Gemeinschaft über bilaterale Verhandlungen mit der Wallonie ermöglicht, ob dieser Verfassungsartikel für uns Deutsch­sprachige weiterhin einen gangbaren Weg zum notwendigen Ausbau unserer Autonomie darstellt. Die Regierung hofft, dass dieses Instrument der Autonomieentwicklung im bilateralen Dialog sich als zukunftsfähig erweist, umso mehr als es sich in der Vergangenheit so hervorragend bewährt hat. Ich fordere deshalb alle Fraktionen dieses Hauses auf, ihre wallonischen Partner verstärkt für die Belange der Deutschsprachigen zu sensibilisieren und auf die fundamentale Bedeutung der anstehenden Gespräche für die Beziehungen zwischen der Wallonischen Region und der Deutschsprachigen Gemeinschaft hinzuweisen. 

 

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen,

in diesen Zeiten des Wandels gehört es zu unseren  vorrangigen Aufgaben, die Gemeinschaft auf kommende Heraus­forderungen vorzubereiten.  Die tägliche Arbeit der Institutionen unserer Gemeinschaft trägt auf vielfältige Weise zur Zukunftstüchtigkeit der Deutschsprachigen Gemeinschaft bei.

Ein erster Beitrag zur Zukunftstüchtigkeit unserer Gemeinschaft sind die Anstrengungen zur Stärkung der regionalen Verwurzelung und zum Ausbau der Vernetzung.

Erfolgreiche Regionen sind tief verwurzelt und breit vernetzt. Nur ein Gemeinwesen, in dem sich die Menschen ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Traditionen bewusst sind und darauf ein Zusammen­gehörig­keits­gefühl aufbauen, kann auf Dauer bestehen. Nur die nach außen sichtbare Verwurzelung der Menschen in Geschichte, Kultur und Tradition macht eine Region einzigartig und unverwechselbar und erlaubt ihr, sich als Standort und Marke zu positionieren.

Diese Verwurzelung alleine ist jedoch nicht ausreichend.  Sie könnte ohne Impulse von außen, ohne eine Öffnung für neue Entwicklungen, sogar zur Erstarrung und zur Isolation des Gemeinwesens führen, zu einer Abkapselung von der allgemeinen Entwicklung. Die Netzwerkfähigkeit einer Region ist deshalb der zweite entscheidende Erfolgsfaktor. Netzwerke und Kontakte ermöglichen es, Informationen rasch auszu­tauschen, neue Entwicklungen zeitig zu erkennen, auf Erfahrungen anderer aufzubauen und Aufgaben mit anderen gemeinsam wahrzunehmen.

Die Regierung unternimmt vieles, um die Verwurzelung der Region in Geschichte, Kultur und Tradition zu stärken. Unser Bildungswesen trägt wesentlich zu dieser Verwurzelung bei. An erster Stelle sind der Muttersprachen- und der Zweitsprachenunterricht zu erwähnen. Hier werden sowohl die Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis als auch die besondere Nähe zur französischen Kultur vermittelt. Dies eröffnet unseren jungen Menschen die Perspektive, in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft als Bindeglied zwischen den beiden Kulturräumen zu dienen.  Auch der Geschichtsunterricht trägt zur Verwurzelung bei und wird es in Zukunft noch stärker tun, wenn die neuen Rahmenpläne Geschichte in der zweiten und dritten Stufe des Sekundarunterrichts mit Hilfe eines ostbelgischen Geschichtsbuchs in elektronischer Form angewandt werden.

Zu erwähnen sind hier auch unsere besonderen Anstrengungen im Denkmal- und Landschaftsschutz, wie die hohe Bezuschussung von Restaurierungsarbeiten an geschützten Gebäuden, die eigene Bautätigkeit der Regierung in geschützten Denkmälern, aber auch die Unterstützung lokaler Initiativen beim Erhalt von Kleindenkmälern.

Die Regierung hat im Rahmen des Regionalen Entwicklungskonzeptes der geschichtlichen Forschungsarbeit sowie der Vermittlung der eigenen Geschichte einen hohen Stellenwert eingeräumt. Geleitet von dem Gedanken, dass regionale Identität nicht einfach geschaffen werden kann, sondern sich entwickeln muss, wurden und werden durch gezielte Initiativen identitätsstiftende Prozesse in Gang gesetzt.

In einem sechsbändigen Werk, das nach und nach veröffentlicht wird,  werden zum einen der bisherige Wissensstand zusammengefasst und zum anderen neue Fragen an die Geschichte unseres Gebietes gestellt. An diesem auf mehrere Jahre angelegten Projekt sind Historiker aus der DG sowie Forscher in- und ausländischer Universitäten beteiligt. In jedem Band werden zuerst – als Einleitung und verbindendes Element – der Raum und der Mensch zur jeweiligen Zeit beschrieben. Danach folgen als Hauptkapitel jeweils die politische Geschichte, die Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie die Alltagsgeschichte. Im Zuge der Forschungsarbeiten werden weitere Anstrengungen zur Sicherung von Bild-, Ton- und Filmquellen unternommen sowie Zeitzeugeninterviews durchgeführt.

Als Teil des Jubiläumsprogramms “40 Jahre Autonomie der Deutschsprachigen Gemeinschaft” wird zum Jahreswechsel der erste Band der Regionalgeschichte des Gebietes der heutigen Deutschsprachigen Gemeinschaft veröffentlicht, der sich mit dem Zeitraum 1945-1973 befasst und unter anderem der Frage nachgeht, welche die Entwicklungslinien hin zur Autonomie der Deutschsprachigen Gemeinschaft waren.

Ebenso wichtig wie die wissenschaftliche Befassung mit der eigenen Geschichte ist die Vermittlung. In diesem Kontext ist das bereits vorher erwähnte gemeinsam mit der Katholischen Universität Eichstätt erarbeitete multimediale Geschichtsbuch hervorzuheben, das ab diesem Schuljahr in den Sekundarschulen der Deutschsprachigen Gemeinschaft als Unterrichtsmedium genutzt wird.  Die DG wird damit die erste Region Europas sein, in der flächendeckend mit multimedialen Schulbüchern gearbeitet wird.

Auch wurden im Rahmen des REK die Wahrung und die Förderung des immateriellen Kulturerbes der DG in Angriff genommen. Mit Hilfe von Experten der Universität Lüttich und mehr als 1000 Bürgerinnen und Bürger wurde der Dialektatlas für die DG erstellt. Ab diesem Jahr werden gemeinsam mit der Bevölkerung die zahleichen Brauchtümer Ostbelgiens erfasst. Dieser Prozess wird von regionalen Historikern begleitet.

Ortsnahe soziale Dienstleistungen im ländlichen Raum tragen ebenfalls zur Verwurzelung in unserer Region bei. Die Aufrechterhaltung der beiden Krankenhäuser in Eupen und St. Vith ist deshalb ein Anliegen der Regierung, für das wir uns ständig einsetzen. Eine einfache Anwendung übergeordneter Planungsnormen auf die Deutschsprachige Gemeinschaft würde den Verlust dieser Häuser bedeuten und eine regionale Gesund­heits­versorgung in deutscher Sprache erheblich erschweren. Deshalb unser Engagement für spezifische Lösungen, deshalb unsere finanzielle Unterstützung, dort wo es möglich ist. Wir erwarten allerdings auch von den Verantwortlichen der Kliniken und ihrer Träger, dass sie den Blick weniger auf ihre eigenen Häuser und mehr auf das Gesamte richten. Hier gilt eindeutig: Wer will, dass die Krankenhäuser der DG so bleiben wie sie sind, der verhindert in Wirklichkeit, dass sie bleiben und bringt ihre Existenz ernsthaft in Gefahr.

Um ortsnahe Dienstleistungen aufrecht zu erhalten, unterstützt die Gemeinschaft ein breites Netz an Sozialdiensten, vom Dienst für Kind und Familie über die Kinderbetreuung und die außerschulischen Betreuung bis hin zu Familienhilfsdiensten und Heimpflegediensten. Dies alles trägt zur Verbundenheit der Menschen mit ihrer Heimat bei.

Auch in ihrer täglichen Arbeit trägt die Regierung den lokalen Gegebenheiten Rechnung. Die Zusammenarbeit mit den Gemeinden hat sich mit den Jahren zu einem festen Bestandteil der Regierungsarbeit entwickelt. Bürgerinnen und Bürgern werden darüber hinaus regelmäßig einbezogen, sei es bei globalen strategischen Entwicklungen wie dem Regionalen Entwicklungskonzept oder bei Initiativen zu Dekreten in spezifischen Bereichen. Bei den verschiedenen Runden durch die Gemeinden, die die Regierung in den letzten Jahren durchgeführt hat, standen nicht nur Arbeitsgespräche mit den Kollegien und Gemeinderäten auf dem Programm, sondern immer auch der Austausch mit der lokalen Bevölkerung.

Unter dem Titel „Erzählte Heimat“ findet von September bis Dezember 2013 eine Reihe von Veranstaltungen in den 25 Altgemeinden der Deutschsprachigen Gemeinschaft statt. Im Mittelpunkt dieser Reihe stehen die Dorf- und Gemeindechroniken, die in den letzten Jahren verstärkt veröffentlicht worden sind und die ein starkes Zeichen der Verwurzelung mit der eigenen Heimat setzen.

Bei der zukünftigen Ausgestaltung unserer Autonomie sollten wir die Ortschaften nicht aus den Augen verlieren. Sobald die Zuständigkeit für die lokalen Behörden, inklusive der Zuständigkeit für das Gemeindegesetz, uns komplett übertragen worden ist, können wir die Gemeindeordnung in der Deutschsprachigen Gemeinden vollkommen autonom gestalten. Dabei können wir den Ortschaften die Möglichkeit geben, sich politisch zu artikulieren und bestimmte Aufgaben mit Unterstützung der Gemeinde­verwaltung zu übernehmen. Ich bin davon überzeugt, dass wir dadurch mehr Bürgernähe erreichen können und vor Ort vorhandene kreative Kräfte noch besser als bisher zum Erblühen bringen.

Die Gestaltungs- und Beteiligungsprozesse auf Dorfebene sind gerade vor dem Hintergrund einer von der Regierung gewollten aktiven und erfolgreichen Land- und Regionalentwicklung unerlässlich. Aus diesem Grund initiiert und unterstützt die DG seit vielen Jahren Projekte, wie bspw. den Dorfwettbewerb „Unser Dorf soll Zukunft haben“ ebenso wie die Projekte, die aus dem Leaderprogramm „100 Dörfer – eine Zukunft“ entwickelt wurden.

Die Regierung unternimmt ebenfalls sehr vieles, um die Gemeinschaft in Europa, in Belgien und im Grenzraum zu vernetzen. Diese Arbeit wird von einigen in diesem Parlament sehr kritisch gesehen und sie ist schon häufig Gegenstand von Debatten gewesen. Dennoch wiederhole ich an dieser Stelle, dass wir ohne Außenbeziehungen, ohne eine breite Vernetzung zu vielfältigen Partnern als Gemeinschaft nicht zukunftstüchtig sein werden.

Deshalb haben wir Kooperationsabkommen mit allen Gemeinschaften und Regionen in Belgien mit den Nachbarländern Luxemburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Frankreich abgeschlossen. Deshalb betreiben wir mit großem Erfolg eine Vertretung in Brüssel und in Berlin. Deshalb beteiligen wir uns aktiv an den Arbeiten des Ausschusses der Regionen der Europäischen Union, an den Arbeiten des Kongresses der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften des Europarates, an den Arbeiten des Zusammenschlusses der Gebietskörperschaften mit Gesetzgebungshoheit und an den Arbeiten der Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen.

Weil diese breite Vernetzung so wichtig ist, streben wir eine starke Positionierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Grenzraum an. Wir sind gleichberechtigter Partner in der Großregion und haben uns schon vor Jahren dem damaligen deutsch-luxemburgischen Interreg-Programm anschließen können. In der Euregio Maas-Rhein spielt die Deutschsprachige Gemeinschaft eine wichtige Rolle, da wir unter den Partnern als einzige Gesetzgebungshoheit besitzen und unseren Status als belgisches Bundesland in die Zusammenarbeit einbringen können. Die Euregio-Geschäftsstelle ist in Eupen angesiedelt.  In den kommenden drei Jahren hat die Deutschsprachige Gemeinschaft turnusmäßig den Vorsitz der Euregio Maas-Rhein inne. Wir werden in dieser Zeit unser breites Netzwerk für die Partner nutzbar machen und uns mit aller Kraft darum bemühen, die Euregio Maas-Rhein als eine erfolgreiche Grenzregion der dritten Generation weiterzuentwickeln.

Wie in der Grundsatzerklärung des Parlamentes im Hinblick auf die Gestaltung und Behandlung der Außenbeziehungen vom 19. November 2012 festgehalten, wird die Regierung in Zukunft jährlich einen Bericht über ihre Auslandskontakte hinterlegen. Der erste Bericht wird dem Parlament im Oktober zugestellt.

Ein zweiter Beitrag zur Zukunftstüchtigkeit unserer Gemeinschaft, auf den ich hier eingehen möchte, ist das Regionale Entwicklungskonzept, das uns auch in finanziell schwierigen Zeiten unsere mittel- und langfristigen Ziele vor Augen hält und uns ständig die mit einer Vielzahl von Akteuren erarbeitete globale Ausrichtung der Gemeinschaftspolitik aufzeigt.

Die erste Umsetzungsphase des Regionalen Entwicklungskonzeptes liegt beinahe hinter uns. In der Anlage dieser Regierungserklärung finden Sie den dritten Fortschrittsbericht zu den Arbeitsschritten und den Best Practices. Erstmals gibt es darüber hinaus einen Bericht zu Wirkungsindikatoren und Messgrößen. Zu allen drei Themenbereichen wird dem Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft Ende März 2014 ein Abschlussbericht vorgelegt. Für die Angaben zur Finanzierung der Maßnahmen des Regionalen Entwicklungskonzeptes verweise ich auf die Haushaltsdebatte.

Aus dem Fortschrittsbericht über die Arbeitsschritte geht hervor, dass wir schon heute eine positive Bilanz ziehen können. 418 von insgesamt 469 Arbeitsschritten, also fast 90 Prozent, wurden bereits oder werden noch bis zum Abschluss der ersten Umsetzungsphase umgesetzt. Bei den Arbeitsschritten unterscheiden wir mehrere Kategorien:

  • 376 Arbeitsschritte sind definitiv abgeschlossen oder werden vor Ablauf der ersten Umsetzungsphase abgeschlossen sein;
  • 42 Arbeitsschritte haben Prozesse in Gang gesetzt, die auch über die erste Umsetzungsphase hinaus weiter laufen werden. Meist handelt es sich hierbei um Kommunikationsaktivitäten oder Veranstaltungen, die sich bewährt haben und auch in Zukunft noch stattfinden sollen;
  • 30 Arbeitsschritte werden nicht mehr bis zum Ende der Legislatur­periode umgesetzt, das Enddatum liegt jedoch jetzt schon fest und ist auch als solches im Fortschrittsbericht erwähnt.
  • 21 Arbeitsschritte wurden ganz aus der Liste der Arbeitsschritte gestrichen, meist weil sie in neue Maßnahmenpakete der zweiten REK-Umsetzungsphase einfließen sollen. Sie tauchen im Fortschritts­bericht nicht mehr in der Liste der Arbeitsschritte auf.

Zu allen Arbeitsschritten, die erst zu einem späteren Zeitpunkt umgesetzt werden oder verschoben wurden, finden Sie in der Einleitung des Fortschrittsberichtes die entsprechenden Erklärungen.

Im Fortschrittsbericht zu den Best Practices wurden über die letzten Jahre hinweg zahlreiche gute Beispiele aus anderen Regionen gesammelt, die uns zu Maßnahmen inspiriert haben oder in Zukunft als Vorbild dienen können. Der Austausch, manchmal auch die konkrete Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen dieser Initiativen war und ist sehr hilfreich für die zuständigen Minister und die Projektleiter der Zukunftsprojekte. Aus den Erfahrungen, den Erfolgen und den Misserfolgen anderer zu lernen kann die Dinge oft vereinfachen und beschleunigen – wir müssen das Rad nicht immer neu erfinden. Vor allem für eine kleine Gemeinschaft wie die DG ist ein Austausch über ihre Grenzen hinweg sehr wichtig und gewinnbringend für die tägliche Arbeit.

Ein solcher Austausch in regionalen und überregionalen europäischen Netzwerken bedingt jedoch, dass wir über ein funktionierendes System der Außenbeziehungen verfügen, das zu jedem Zeitpunkt möglichst schnell die nötigen Kontakte vermitteln kann. Die Regierung hat die dazu nötige Verwaltung in den letzten Jahren aufgebaut, und die Regierungs­mit­glieder selbst beteiligen sich aktiv an Aufbau und Pflege der verschiedenen Netzwerke. Die Regierung wird diese Arbeit konsequent fortführen und in dem mit dem Parlament festgelegten Rahmen regelmäßig darüber berichten. Durch ein sogenanntes Botschafter-Kit, das Betrieben, Einrichtungen, Organisationen und Vereinen zur Verfügung gestellt wird, werden auch die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit erhalten, in ihren jeweiligen Netzwerken für die Deutschsprachige Gemeinschaft zu werben, bei Auslandsbesuchen, aber auch beim Empfang auswärtiger Gäste. 

Dieses Jahr erscheint zum ersten Mal ein Fortschrittsbericht zu den Wirkungsindikatoren und Messgrößen, die in Band 3 des REK veröffentlicht wurden. Dabei haben sich einige Wirkungsindikatoren inzwischen als  ungeeignet herausgestellt. Einige waren falsch ausgewählt, unpräzise oder wenig aussagekräftig. Andere wiederum waren nur schwer messbar und der Messaufwand stand in keinem Verhältnis zu den mit dem Indikator verbundenen Informationen.  Obschon sich seit der Anerkennung des deutschen Sprachgebietes als NUTS-3-Gebiet vieles verbessert hat, erlaubt die Struktur der Statistiken häufig noch nicht, auf die DG bezogene Daten in den Bereichen zu ermitteln, für die wir noch nicht zuständig sind.

Diese untauglichen Indikatoren wurden auf Vorschlag der Projekt­verant­wortlichen aus den Fortschrittsberichten gestrichen. Etwa die gleiche Anzahl Indikatoren ist neu hinzugekommen, um die weniger tauglichen Indikatoren durch neue Messgrößen zu ersetzen.

In der ersten Umsetzungsphase haben wir viel im Umgang mit Wirkungsindikatoren gelernt. Diese Erfahrung wird sicher in das zweite Umsetzungsprogramm einfließen. Es wurde jedoch auch deutlich, dass die Gemeinschaft mit ihrem bisherigen statistischen und demoskopischen Apparat schnell an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stößt. Deshalb sollen diese Instrumente weiterentwickelt werden. Es ist aber auch wichtig, schon bei der Erarbeitung von Zukunftsprojekten deren statistische Erfassung und Messbarkeit im Blick zu haben. Dies soll bei zukünftigen Projekten berücksichtigt werden.

Die erste Umsetzungsphase wurde von regelmäßigen Konzertierungen begleitet. Das REK und einzelne Zukunftsprojekte standen wiederholt in den Ausschüssen des Parlamentes zur Diskussion, Beratungsgremien setzen die Zukunftsprojekte in ihren Versammlungen auf die Tagesordnung und luden Projektverantwortliche zu Vortrag und Diskussion ein, verschiedenste Workshops und Konferenzen fanden zu den Themen des  Regionalen Entwicklungskonzeptes statt und Arbeitsgruppen wurden gebildet, um Konzepte und Strategien auszuarbeiten. Neben den internen Projektleitertreffen, die alle zwei Monate zum Austausch zwischen den Verantwortlichen stattfinden, gibt es seit Oktober 2012 auch einen externen Begleitausschuss mit Experten aus verschiedenen europäischen Ländern, der sich zweimal im Jahr trifft, um die Umsetzung mit einem Blick von außen kritisch zu begleiten.

Das Regionale Entwicklungskonzept ist langfristig angelegt mit dem Zeithorizont 2025. Wir haben bisher ein erstes Maßnahmenprogramm erfolgreich umgesetzt, weitere Programme müssen folgen. Die Regierung arbeitet deshalb seit fast einem Jahr an einem Thesenpapier zum zweiten Umsetzungsprogramm, das sich aus mehreren Quellen speisen wird.

Eine erste Quelle sind die Ideenworkshops, die Anfang 2013 stattgefunden haben. Zwischen Januar und März 2013 wurden fünf Expertengespräche mit Fachleuten aus der Deutschsprachigen Gemeinschaft und den Nachbarregionen zu den großen Themenbereichen Grenzregion, Wirt­schafts­region, Bildungsregion, Solidarregion und Lebensregion durch­geführt. Dabei ging es vor allem darum, das bisher Geleistete kritisch zu hinterfragen, die allgemeine Ausrichtung zu überprüfen und Ideen für die Zukunft zu sammeln. Fest steht dabei schon, dass die fünf großen Themenbereiche beibehalten werden sollen, weil sie sich als sinnvoll erwiesen haben und mittlerweile die Arbeitsmethode bestimmen. Es wurde außerdem empfohlen, das zweite Umsetzungsprogramm stärker zu bündeln,  nicht mehr in Zukunftsprojekte und Teilprojekte zu unterteilen und noch klarere Ziel vorzugeben, was auch den Umgang mit den Wirkungs­indikatoren erleichtert. Der Bericht dieser Treffen steht allen Interessierten als Vorbereitungsdokument für die Erarbeitung des zweiten Umsetzungsprogramms im Internet zur Verfügung.

Eine zweite Quelle des REK II ist der Bericht über den Besuch der Regierung in den neun Gemeinden. Für diese Besuchsreihe, die von April bis Juni 2013 stattfand, wurde ein Film zum Regionalen Entwicklungs­konzept erstellt, der es den Menschen erleichtern sollte, diesen manchmal komplexen Strategieplan zu verstehen. Mit lebendigen Bildern wurde dargestellt, wie sich das REK auf den Alltag eines jeden Bürgers der Deutschsprachigen Gemeinschaft auswirkt. Anschließend wurde in kleinen Diskussionsrunden zu vier Zukunftsprojekten ausgetauscht – den sogenannten Leuchtturmprojekten, die von der Regierung in ihrer Erklärung im Herbst 2012 an dieser Stelle vorgestellt wurden. An diesen Diskussionen haben rund 380 Menschen teilgenommen. Ein Bericht zu diesen Diskussionsrunden steht ebenfalls als Vorbereitungsdokument für die Erarbeitung des zweiten Umsetzungs­programms im Internet zur Verfügung.

Eine weitere Quelle für das Thesenpapier zum zweiten Umsetzungsprogramm wird das kommende Gesamtforum sein. Zum Ende der ersten Umsetzungsphase wird am 12. Oktober 2013 das Gesamtforum des Regionalen Entwicklungskonzeptes tagen, zu dem wiederum alle interessierten Bürger eingeladen sind. Auf Basis der vorliegenden Fortschrittsberichte sowie der Berichte aus den Ideenworkshops und der Runde durch die Gemeinden soll die erste Umsetzungsphase kritisch bewertet werden. All diejenigen, die in den Jahren 2008 und 2009 in 19 thematischen Foren und im Gesamtforum an der Erarbeitung des Regionalen Entwicklungskonzeptes mitgewirkt haben, werden zum einen die Bilanz der bisherigen Umsetzung ziehen und zum anderen konkrete Anregungen für die Fortschreibung des REK geben können. Die Vorschläge dieses Gesamtforums werden in das Thesenpapier einfließen.

Dieses Dokument wird die Regierung im November 2013 vorlegen und allen betroffenen Beratungsgremien der DG mit der Bitte um ein offizielles Gutachten zustellen. Auch der externe Begleitausschuss des REK, der im Dezember 2013 erneut tagt, wird diesen Entwurf analysieren und kritisch beleuchten.

Ende März 2014 wird die Regierung dem Parlament  den definitiven Abschlussbericht der ersten Umsetzungsphase vorgelegen. Am 5. April 2014 wird es dann ein abschließendes Forum geben, bei dem die in der DG bestehenden Beratungsgremien und weitere interessierte Kreise ihre Stellungnahmen zum Thesenpapier der Regierung vortragen und zur Diskussion stellen. Die Ergebnisse aus allen Konzertierungen und Beratungen werden der neuen Regierung dann gebündelt als Vorschlag und Inspiration für das zweite REK-Umsetzungsprogramm 2014 -2019 übergeben.

Ein dritter Beitrag zur Zukunftstüchtigkeit der Gemeinschaft ist der Paradigmenwechsel in der Infrastruktur: wir beenden zur Zeit den Abbau des Infrastrukturstaus und richten unsere Anstrengungen auf die Entwicklung hin zur Modellregion Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Der Abbau des Infrastrukturstaus – ein Erbe der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts – schreitet weiter voran. Das Infrastrukturkarussell in Eupen dreht seine letzten Runden. Den PPP-Schulen und der Pater-Damian-Schule kann man förmlich beim Wachsen zusehen, das neue Parlamentsgebäude und die Begegnungsstätte Kloster Heidberg stehen beide kurz vor der Fertigstellung.  Auf zahlreichen weiteren Baustellen schreiten die Arbeiten zügig voran oder stehen kurz vor ihrem Start.

Ich habe es bereits früher an dieser Stelle erwähnt: wir freuen uns als Regierung darüber, dass die Projekte so zügig voranschreiten und wir die Früchte unserer Arbeit ernten können. Doch wir beschäftigen uns in der Infrastrukturpolitik schon mit dem Schwerpunkt der kommenden Jahre, nämlich mit dem anstehenden Einstieg in das nachhaltige Bauen, das den Nachdruck auf eine Infrastrukturpolitik legt, die die Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energien in den Vordergrund stellt. Diese Absicht haben wir hier bereits mehrfach dargestellt und mittlerweile auch mit den Gemeinden besprochen. So arbeiten wir zurzeit an einem Ausführungserlass zum diesbezüglichen Artikel des Infrastrukturdekrets. Ziel ist es, die Infrastrukturpolitik der Gemeinschaft so umzuorientieren, dass nicht mehr in erster Linie der Bau oder die Sanierung, sondern eher der gesamte Lebenszyklus einer Infrastruktur im Mittelpunkt der Investitionsentscheidungen steht.

Bei den PPP-Schulen haben wir diesen Paradigmenwechsel schon teilweise vorweggenommen. Diese neue Herangehensweise stellt für alle Beteiligten, das Ministerium, die Nutzer und die beteiligten Privatfirmen Neuland dar. Der Paradigmenwechsel, der Wechsel in der Art und Weise, eine Infrastruktur zu verwalten, führt zwangsläufig zu Anlauf­schwierig­keiten und erfordert eine hohe Dialogbereitschaft von allen Beteiligten.

Nachhaltiges Bauen und Lebenszyklusbetrachtungen bei Investitions­entscheidungen stellen gerade die Projektautoren vor große Heraus­forderungen. Weil sie neben der Gemeinschaft die bedeutendsten Projektträger sind, werden wir die Gemeinden von Anfang an sehr eng an der Ausarbeitung einer neuen Gesetzgebung beteiligen, auch wenn solche Konzertierungen erfahrungsgemäß viel Zeit benötigen. Diese Zeit ist gut investiert.

Ein vierter und letzter Beitrag zur Zukunftstüchtigkeit der Gemeinschaft, auf den ich heute eingehen werde, ist der Aufbau privatrechtlicher Instrumente zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben. Der Fiskalpakt der Europäischen Union ist auch für die Deutschsprachige Gemeinschaft eine Vorgabe, die das Regieren nicht leichter machen wird, denn mittlerweile trägt er unumstritten in ganz Europa dazu bei, dass die strukturelle Investitionskapazität der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften nachhaltig eingeschränkt wird und der Rückgriff auf neue Finanzierungsformen eine immer größere Bedeutung haben wird. Das ist eine Tatsache, die ich persönlich durchaus kritisch sehe, da ich davon überzeugt bin, dass ein Gemeinwesen nur dann funktionieren kann, wenn Investitionen von allgemeinem Interesse, die den einzelnen übersteigen, gemeinsam, das heißt von der öffentlichen Hand, getätigt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn man nicht Gewinnmaximierung anstrebt sondern unabhängig vom persönlichen Einkommen jedem Bürger einen garantierten Zugang zu solchen Gemeinschaftseinrichtungen gewähren will. Die Einführung des Fiskalpaktes in unser belgisches Recht und in unsere Gemeinschafts­rechts­grundlagen werden solche Investitionen jedoch erheblich erschweren.  Das ist der Weg, den Europa eingeschlagen hat, und es wird mit Sicherheit nicht die Deutschsprachige Gemeinschaft sein, die über eine noch so kleine Kursabweichung zu bestimmen hat. Wir werden mit dieser europäischen Entscheidung leben und uns so organisieren müssen, dass wir auch in Zukunft noch ausreichende Investitionen im öffentlichen Interesse tätigen können. Auch hier werden wir uns genau anschauen, wie andere Regionen mit dieser Problematik umgehen und welche Instrumente sie entwickeln. Die DG-Beteiligungsgesellschaft PROMA wird dabei sicher eine wichtige Rolle spielen.

Erlauben Sie mir, zum Schluss auf einige Punkte der laufenden Arbeiten der Regierung einzugehen. Da wäre zuerst das Gesetzgebungsprogramm der heute beginnenden Sitzungsperiode. Neben den Entwürfen für ein allgemeines Programmdekret und ein Sammeldekret im Unterrichtswesen sollen in den kommenden Monaten folgende Dekretentwürfe eingereicht bzw. abschließend behandelt werden:

  • das Dekret zur Zustimmung zu dem Europäischen Übereinkommen über die Adoption von Kindern;
  • das Dekret zur Billigung des Nachtrags zum Kooperationsabkommen über die Solidarwirtschaft;
  • das Sonderdekret zur Abänderung des Sonderdekrets vom 21. Februar 2005 zur Schaffung einer autonomen Hochschule;
  • das Dekret zur Billigung des Zusammenarbeitsabkommens zur Schaffung eines Interföderalen Zentrums für Chancengleichheit und Bekämpfung des Rassismus und der Diskriminierungen;
  • das Sonderdekret und das Dekret zur Gründung eines Zentrums für die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen;
  • das Dekret zur Zustimmung zu dem Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion;
  • das Dekret zur Förderung von Kultur in der Deutschsprachigen Gemeinschaft;
  • das Dekret zur Einführung eines Qualifikationsrahmens der DG;
  • das Dekret über die Kinderbetreuung;
  • das Dekret über die Wanderwege;
  • das Dekret zur Übertragung der Ausübung verschiedener regionaler Zuständigkeiten in Anwendung von Artikel 139 der Verfassung.

Ein weiterer Punkt betrifft das Abkommen mit der Provinz Lüttich. Die Regierung hat am 16. Mai 2013 gemeinsam mit dem Provinzkollegium eine Evaluierung des Abkommens 2006–2012 vorgenommen und festgestellt, dass beide Parteien dieser Vereinbarung im Großen und Ganzen nachgekommen sind. Es ist allgemein bekannt, dass unser Verhältnis zur Provinz Lüttich kein einfaches ist. Auf der einen Seite vertreten wir die grundsätzliche Position, dass wir auf dem kleinen Gebiet deutscher Sprache zwischen der DG und den Gemeinden keine Mittelbehörde wie die Provinz benötigen und fordern deshalb die Übertragung dieser Zuständigkeit von der Region an die Gemeinschaft mit dem Ziel, die Befugnisse und die auf unserem Gebiet generierten Finanzmittel selbst zu übernehmen. Andererseits wollen wir im bestehenden institutionellen Rahmen im Interesse unserer Bürger mit der Provinz kooperieren. Diese Ambivalenz durchzieht ständig unsere Beziehungen zur Provinz. In diesem Sinne wurde auf der schon erwähnten gemeinsamen Sitzung prinzipiell festgehalten, dass wir vor Jahresende ein Abkommen 2013-2015 abschließen, in das die Gemeinden einbezogen werden sollen. Erste Gespräche mit den Gemeinden haben dazu bereits stattgefunden und das Abkommen soll in den kommenden Monaten finalisiert werden.

Ein letzter Punkt betrifft die nächste Förderperiode 2014–2020 der Europäischen Strukturfonds. Als Deutschsprachige Gemeinschaft sind wir sowohl auf diese finanziellen Mittel, als auch auf den mit den Programmen verbundenen Wissenstransfer zu Inhalten und Methoden angewiesen. Regierung und Ministerium bereiten sich in der jetzigen Phase intensiv vor, um rechtzeitig ein eigenes Operationelles Programm für den Europäischen Sozialfonds aufstellen und unsere Beiträge zu den Interreg-Programmen der Euregio Maas-Rhein und der Großregion liefern zu können. Auch die Vorbereitungen zu Erasmus+, dem Programm der Union für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport sind bereits angelaufen. Zur Zeit laufen die Gespräche, damit wir ab 2014 die VoG Jugendbüro als Agentur für das Gesamtprogramm Erasmus+ bestellen können.

 

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen,

die Deutschsprachige Gemeinschaft kann auf ein halbes Jahrhundert zurückblicken, in dem sich ihre Autonomie zunehmend entwickelt hat: vor 50 Jahren wurde das Gebiet deutscher Sprache geschaffen, vor 40 Jahren erstmals ein Rat der deutschen Kulturgemeinschaft eingesetzt, vor 30 Jahren die Gesetzgebungshoheit übertragen und die erste Exekutive vereidigt, vor 25 Jahren ein deutschsprachiger Gerichtsbezirk ins Leben gerufen.

In dieser Zeit hat die Deutschsprachige Gemeinschaft immer mehr Zuständigkeiten vom Föderalstaat und von der Wallonischen Region übernommen. Weite Bereiche des öffentlichen Lebens werden heute von Parlament, Regierung, Ministerium und Einrichtungen der Gemeinschaft gestaltet und verwaltet. Dabei haben wir mit dem Ausbau und der Festigung der Autonomie eigene, auf unsere Bedürfnisse zugeschnittene gesetzliche Regelungen, Instrumente und Arbeitsmethoden entwickelt. Manches haben wir an bestehenden Regelungen übernommen und weiterentwickelt, vieles haben wir neu und effizienter gestaltet.

Die Jubiläen in der Deutschsprachigen Gemeinschaft finden am Vorabend bedeutender europäischer Gedenktage statt. Am 28. Juli 1914 begann mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien der erste Weltkrieg, am 4. August 1914 marschieren deutsche Truppen in Belgien ein. Dieses Kriegsbeginns wird Europa im kommenden Jahr gedenken, und auch die Deutschsprachige Gemeinschaft wird sich an den belgischen Gedenkfeiern beteiligen. Uns kommt dabei eine nicht einfache Rolle zu. Belgien insgesamt wird daran erinnern, dass Deutsche 1914 in Belgien eingefallen sind. Unser Gebiet gehörte damals zum Deutschen Reich, wir waren damals Deutsche und gehörten somit zu den Aggressoren. Unser Erinnern wird also ein anderes sein, dies sollten wir nicht verdrängen. Genauso wenig wie wir verdrängen sollten, dass sechs Jahre später, am 20. September 1920, der neu gegründete Völkerbund die Angliederung der Kreise Eupen und Malmedy an Belgien guthieß auf der Grundlage der Ergebnisse einer Volksbefragung, die Historiker schon seit vielen Jahre als Farce bezeichnen. Auch dieser Ereignisse und des zugrunde liegenden Versailler Vertrages werden wir in einigen Jahren gedenken, wenn sie sich zum hundertsten Male jähren.

Anlässlich der Jubiläen der Deutschsprachigen Gemeinschaft möchten wir darstellen, was sich durch die Gemeinschaft verändert hat, was sich für die Gemeinden, die Organisationen, die Betriebe und die Bürgerinnen und Bürger der neun deutschsprachigen Gemeinden verbessert hat. In all unseren Zuständigkeits­bereichen gibt es originelle Lösungen, die auf die Größe und die Bedürfnisse der Deutschsprachigen Gemeinschaft zugeschnitten sind. In allen Zuständigkeitsbereichen gibt es die „Good practice“ der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Der Dienstleistungs­katalog, den wir im Internet bereitstellen, gibt ein beredtes Zeugnis davon. Diesen Mehrwert der Autonomie für die Menschen in unserer Gemeinschaft wollen wir durch das Programm der Jubiläumsfeierlichkeiten dokumentieren, das Regierung und Parlament gemeinsam erstellt haben. Wir feiern ein Jubiläum nicht, um uns selbst darzustellen, sondern um verstärkt aufzuzeigen, was die Einrichtungen der Gemeinschaft leisten und um die Menschen für ihre Gemeinschaft zu begeistern, denn nur mit einer tiefen Verwurzelung und einer breiten Vernetzung werden wir als Gemeinschaft erfolgreich sein und die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam bewältigen können.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.