Anlässlich des Tages der Europäischen Union (9.Mai 2020) erschien im Grenz-Echo folgender gemeinsamer Gastkommentar von Apostolos Tzitzikostas, Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen und Karl-Heinz Lambertz, Präsidiumsmitglied des Europäischen Ausschusses der Regionen:
Die Covid-19-Pandemie stellt die Europäische Union auf eine harte Probe. Sie erinnert uns aber auch daran, wie sehr wir miteinander verflochten sind. Dies gilt ganz besonders für Grenzregionen wie Ostbelgien, wo die Schließung der Grenzen zusätzliche Probleme schafft und von vielen zu Recht als schmerzhafter Rückschritt gewertet wird, dem möglichst schnell Einhalt zu bieten ist.
Bei der Bekämpfung der Krise werden alle Regierungs- und Verwaltungsebenen gefordert: Die EU, nationale und regionale Regierungen, Städte und Gemeinden müssen zusammenarbeiten. Die Krise macht deutlich, wie stark wir beim Schutz der Bevölkerung auf die vielen regionalen und lokalen Verantwortlichen und Mandatsträger angewiesen sind.
Es liegt auf der Hand, dass das derzeitige zweidimensionale, auf Brüssel und die Hauptstädte ausgerichtete Europa an seine Grenzen stößt. Die EU muss sich grundlegend verändern, und sie muss den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften die ihnen zustehende Rolle als gleichwertiger Partner und als dritte Dimension des europäischen Gemeinwesens zugestehen.
In dieser Krise hat die EU beispiellose Fonds zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eingerichtet, legt europäische Bestände medizinischer Ausrüstung an und macht Darlehen für KMU verfügbar. Natürlich muss die EU mehr tun und weitere Maßnahmen in den Bereichen Prävention sowie im Kampf gegen Ungleichheit und soziale Gerechtigkeit ergreifen, dies ist mit dem stark begrenzten EU-Haushalt aber nur schwer umsetzbar.
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union können all diese Herausforderungen einer solchen Notlage nur gemeinsam meistern. Wenn wir Menschenleben und unsere Volkswirtschaften retten wollen, dann müssen wir die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften unterstützen. Ihr Beitrag war, ist und wird immer ausschlaggebend bleiben, um die Pandemie einzudämmen, die allgemeinen Dienstleistungen und die Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, Arbeitsplätze und KMU zu schützen, den Weg für den wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung zu ebnen und dabei solidarisch zu bleiben.
Wir brauchen ein ehrgeiziges europäisches Konjunkturprogramm, das alle unterstützt, die durch die Krise in Notlage geraten sind. Ein Weg zur Finanzierung der EU Konjunkturprogramme wäre die EU mit echten Eigenmitteln auszustatten und somit den EU-Haushalt deutlich zu steigern. Dadurch würden weitere Milliarden EUR an zusätzlichen Geldern ermöglicht und Billionen zur Unterstützung der nationalen Regierungen, der Regionen und Städte mobilisiert werden.
Bei allen neuen Maßnahmen und dem nächsten langfristigen EU‑Haushalt müssen die regionalen und lokalen Erfahrungen zum Tragen kommen. Sie werden beim Wiederaufbau unserer Volkswirtschaften, bei der Umsetzung des ökologischen Wandels und der sozialen Innovation unerlässlich sein, damit kein Mensch und kein Ort zurückgelassen wird. Der EU-Konjunkturfonds muss deshalb dazu beitragen, den Bedürfnissen der europäischen Kommunalpolitiker gerecht zu werden. In seinem Rahmen muss ein EU-Mechanismus für gesundheitliche Notlagen eingerichtet und ein EU-Pandemie-Koordinierungszentrum geschaffen werden. Die EU muss Darlehen und Zuschüsse direkt anbieten, um lokalen und regionalen Gebietskörperschaften unter die Arme zu greifen. Sie muss die Digitalisierung der öffentlichen Dienste beschleunigen, ein Förderprogramm für KMU auflegen und einen Plan zur Unterstützung ländlicher Gebiete entwickeln.
Wir müssen widerstandsfähige Gemeinschaften in ganz Europa aufbauen und so die wahre Stärke der europäischen Zusammenarbeit und Solidarität demonstrieren. Eine Million gewählte regionale und lokale Mandatsträger in ganz Europa erbringen lebenswichtige Dienstleistungen für ihre Bürger und Gemeinschaften. Sie sind für die Erneuerung der EU von ausschlaggebender Bedeutung.
70 Jahre nach der Grundsteinlegung für die heutige EU müssen die lokalen und regionalen Regierungen nicht nur die Wurzeln Europas, sondern auch eine tragende Säule der EU sein. Außerdem muss die grenzüberschreitende Zusammenarbeit noch viel stärker ausgebaut werden, als dies bisher der Fall ist. Wäre es nicht zu dieser Krise gekommen, würden wir am 9. Mai den Europatag feiern und über die Zukunft der EU debattieren. Stattdessen sprechen wir nun über ihre Gegenwart, weil wir alle jetzt Europa mehr denn je brauchen. Die Covid-19-Krise ist nicht das Ende des europäischen Projekts. Sie bietet vielmehr die Chance für echte Europäische Solidarität und Zusammenhalt in der EU. Denn wir alle sind Europa.
Apostolos Tzitzikostas
Karl-Heinz Lambertz