Parlament

Debatte über die gemeinschaftspolitische Erklärung der Regierung der DG


Sehr geehrter Herr Präsident,

werte Kolleginnen und Kollegen aus Regierung und Parlament,

 

nach 26 Jahren „auf der anderen Seite“ war es für mich sehr interessant, wieder vom Platz eines Abgeordneten aus einer Diskussion im Parlament beizuwohnen. Was hat sich in diesen knapp drei Jahrzehnten geändert? Der Redestil ist inzwischen ein anderer, aber die Diskussionen verlaufen ähnlich wie früher. Ich würde sogar sagen, dass sie – zumindest heute – bedeutend weniger scharf waren, als dies damals manchmal der Fall war. Der große Unterschied besteht darin, dass es damals keine Populisten in diesem Hause gab, dass sich alle, die das Wort ergriffen, redlich darum bemühten, das aus ihrer jeweiligen Sicht Beste für die Deutschsprachige Gemeinschaft vorzuschlagen, und dann im demokratischen Diskurs über den besten Weg stritten, wie dieses Ziel zu erreichen sei. Leider ist uns diese Vorgehensweise seit einigen Jahren teilweise abhandengekommen. Aber das muss eine Demokratie ertragen und erdulden können, denn jeder darf sagen, was er will, und das ist gut so.

Die Sprache, die hier gebraucht wird, ist sehr interessant. Sie verrät die eigentliche Absicht und sie findet übrigens Vorgänger in der Geschichte der politischen Entwicklung Europas im Laufe des 20. Jahrhunderts. Wer eine Gemeinschaft wie die Deutschsprachige Gemeinschaft als Sumpf bezeichnet oder mit einem Sumpf vergleicht, der will in Wirklichkeit die Substanz diskreditieren, der will das Terrain für eine andere Politik vorbereiten, und dagegen müssen sich alle aufrechten Demokraten mit aller Kraft wehren!

Wie in den letzten Jahren haben wir auch bei dieser Debatte erlebt, dass die Regierung ihre Pläne vorlegt. Das macht ihr Handeln verifizierbar, denn spätestens in einem Jahr wird man überprüfen können, ob das, was sich die Regierung vorgenommen hat, Wirklichkeit geworden ist. Die Fraktionen können sich dann dazu positionieren.

Ich glaube, dass wir zur Halbzeit der Legislaturperiode sagen können, dass gute Arbeit geleistet wird. Aus meiner Sicht steht diese Arbeit übrigens in der Kontinuität dessen, was in den letzten Jahrzehnten von allen Regierungen in der Deutschsprachigen Gemeinschaft unternommen wurde, um unsere Heimat immer stärker zu machen, um immer mehr Lebenschancen für unsere Bürger zu schaffen und um aus der Überschaubarkeit unserer Region eine wirkliche Trumpfkarte zu entwickeln. Das ist der richtige Weg, und auf diesem Weg haben die amtierende Regierung und die sie tragende Mehrheit in der ersten Halbzeit der Legislaturperiode bereits Beachtliches geleistet. Dennoch bleibt natürlich noch sehr viel zu tun.

Wie schon seit vielen Jahrzehnten stehen wir heute erneut vor der Gretchenfrage, wie wir uns nennen sollen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen Aufsatz hinweisen, den ich zu Beginn meiner Ministertätigkeit Anfang der 1990er-Jahre veröffentlicht habe,

nachdem wir in der Deutschsprachigen Gemeinschaft durch die Schaffung der Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WFG) eine wichtige Flurbereinigung in Sachen Wirtschaftsförderung hinbekommen hatten. In diesem Aufsatz schrieb ich: „Die Autonomie der Deutschsprachigen Gemeinschaft ist eine große Chance für den Standort Ostbelgien und das verdanken wir nicht zuletzt unserer Geschichte als Ostkantone.“

Mit den drei Begriffen „Deutschsprachige Gemeinschaft“, „Ostbelgien“ und „Ostkantone“ sollten wir ergebnisorientiert arbeiten. „Ostkantone“ ist die historische Referenz im Versailler Vertrag. Bald begehen wir ja die hundertjährige Zugehörigkeit der Ostkantone zu Belgien. Der Begriff „Deutschsprachige Gemeinschaft“ ist in der Tat nicht sexy und sicherlich kein Name, mit dem sich leicht werben lässt, obschon es nur wenige Dinge gegeben hat, die so populär, so bekannt und heute noch so im Gespräch sind wie der Aufkleber mit dem Kürzel „DG“. Das sei jedoch nur ganz am Rande erwähnt.

„Deutschsprachige Gemeinschaft“ ist aber nun einmal der Name, den wir laut Verfassung tragen. Das sollten wir nicht außer Acht lassen, denn man hat einen Namen und zu dem muss man stehen. Meine Mutter wollte immer „Maria“ genannt werden. In ihrem Pass stand aber der Name „Barbara“. Als sie am Ende ihres Lebens eine Reise nach Rom machen wollte und sich ein Flugticket auf den Namen „Maria Lambertz“ gekauft hat, hat sie beim Besteigen des Flugzeugs einige Schwierigkeiten bekommen, weil auf ihrem Pass nicht „Maria“, sondern „Barbara“ stand.

Wir sind und bleiben also bis zu einer Verfassungsänderung, die uns einen besseren Namen beschert, die Deutschsprachige Gemeinschaft, die DG. Aber es ist selbstverständlich richtig, aus dieser Tatsache keine Begrenzung abzuleiten für die Möglichkeit, einen besseren Standortnamen zu erhalten. Über Jahrzehnte hinweg ist vieles versucht worden. Am Ende sind wir bei der Bezeichnung „Ostbelgien“ angekommen oder, besser gesagt, geblieben, denn Ostbelgien war schon immer die Bezeichnung, die häufig gebraucht wurde und zu uns passt. Diesen Namen ausschließlich in deutscher Sprache zu verwenden, scheint mir ebenfalls richtig. Ob man damit das Kürzel „OB“ in Verbindung bringt, ist sozusagen ohne Bedeutung.

Wichtiger ist jedoch, dass wir mit dem Namen „Ostbelgien“ gute Standortpolitik betreiben. Darauf kommt es an. Das hat die Regierung deutlich gesagt. Ihre Aussagen sind aber in gewissen Kreisen bewusst anders interpretiert worden. Es kommt jedoch nicht allein auf den Namen an. Der Name „Ostbelgien“ ist brauchbar, er ist standort- und markentauglich, so wie er es für den Tourismus ist, wie er es für die regionalen Produkte ist, die unter dem Label „Made in Ostbelgien“ vermarktet werden, und wie er im Leitbild für das Regionale Entwicklungskonzept „Ostbelgien leben 2025“ steht.

Mit diesem Leitbild haben wir diese Weiche bereits vor einem knappen Jahrzehnt gestellt.

Mit dem Namen „Ostbelgien“ kann man in der Tat etwas anfangen. Jetzt kommt es da-rauf an, Standortpolitik zu betreiben. Das bedeutet im Klartext, dass wir alle Maßnahmen bündeln und gemeinsam mit allen Akteuren aus der Wirtschaft, der Kultur, den Medien, der Zivilgesellschaft, den Kirchen und den ehrenamtlichen Organisationen unserer Gemeinschaft dazu beizutragen müssen, dass dieser Standort genauso stark wird, wie zum Beispiel die Standorte Allgäu oder Südtirol, die übrigens sehr erfolgreich sind und mit denen wir in engem Kontakt stehen. Das ist das Einzige, worauf es jetzt wirklich an-kommt. Und das, was in den letzten Tagen dazu in der Presse geschrieben worden ist, ist wirklich OB: ohne Bedeutung.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit der Deutschsprachigen Gemeinschaft auf dem richtigen Weg sind. Wir haben Instrumente, die immer besser werden: Denken Sie an den Infrastrukturplan und die Finanzsimulation. Wie ist über diese Simulation gelästert worden! Sobald wir nachher das Dekret über die Haushaltsordnung der Deutschsprachigen Gemeinschaft verabschiedet haben, wird die Simulation sogar zum verpflichtenden Instrument für die mittelfristige Finanzplanung. Die Fortschreibungen des Regionalen Entwicklungskonzepts und die Laufenden Arbeitsprogramme sind deutlich und zeigen, in welche Richtung es geht. Wir sollten uns darauf fokussieren, diese Dinge voranzutreiben und uns dann in unseren jeweiligen Funktionen, die wir hier innehaben, konstruktiv und wenn nötig auch kritisch damit beschäftigen.

Dabei hat das Parlament meines Erachtens eine wichtige Aufgabe. Es soll sich darum bemühen, dass für Ostbelgien alles Erdenkliche getan wird, damit die Deutschsprachige Gemeinschaft die sich aus ihrer Autonomie ergebenden Chancen wirklich zum Blühen bringt, sodass die Menschen stolz auf ihre Heimat werden und nicht dauernd daran herumkritisieren und herumschimpfen. Diese Kritik wird ja von gewissen Politikern ganz gerne befeuert. Nein, stolz auf seine Heimat muss man sein, wenn man einen Standort wirklich gut nutzen will. Und dazu können wir als Parlament, in dem alle Fraktionen vertreten sind, sicherlich Wichtiges beisteuern.

Auch die Bürgerbeteiligung können wir mit neuen Dimensionen versehen. Das hat auch der Präsident in seiner Antrittsrede klar und deutlich vorgeschlagen. Es kommen wichtige Aufgaben auf uns zu, und ich glaube, dass wir auch bei der Weiterentwicklung unserer Gemeinschaftsautonomie gefordert sind. In diesem Zusammenhang war das Kolloquium vom vergangenen Freitag sehr aufschlussreich. Wir müssen uns gründlich auf weitere Entwicklungen vorbereiten, die es sowohl auf föderaler Ebene als auch bei den Verhandlungen mit der Wallonischen Region geben wird. All das steht in der nächsten Sitzungsperiode an und ich hoffe, dass wir dabei einen wichtigen Schritt vorankommen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

 

Karl-Heinz Lambertz am 26.09.2016 im PDG