Reden

Rede anlässlich der 90-Jahr-Feier der SP-Lokalsektion Eupen


Rede von Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft, anlässlich der 90-Jahr-Feier der SP-Lokalsektion Eupen

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Eupen, 21. April 2014

Liebe Freundinnen und Freunde,

heute wollte ich ein paar Dinge sagen, die sich sehr stark auf Eupen beziehen und beweisen, wie eng die Geschichte der Stadt Eupen und auch die Geschichte der Sozialisten hier in Eupen mit der Gegenwart unserer Gemeinschaft zusammenhängen. Das fing an mit dem ersten Streik im Jahre 1721, von dem eben die Rede war. Das war auch ungefähr die Zeit, wo zwei Gebäude errichtet wurden, die in der aktuellen politischen Diskussion eine gewisse Rolle spielen. Da ist zunächst das Gebäude „Gospert 42“, der Amtssitz des Ministerpräsidenten und der Euregio Maas-Rhein. Das wurde Anfang des 18. Jahrhunderts als eine Tuchmacherfabrik gebaut, wo ein Teil all derer gearbeitet haben, von denen Herr Dr. Ruland vorhin gesprochen hat. Ein anderes Gebäude wurde zur gleichen Zeit auf Initiative des Lütticher Bürgermeisters errichtet: Das Kloster Heidberg, eine Schule für Mädchen bessergestellter Bürger. Diese zu einem Tagungszentrum umgebaute ehemalige Mädchenschule öffnet heute ihre Pforten zu einem Tag der offenen Tür. Eines geht aus den Aussagen von Herrn Dr. Ruland klar hervor: Eupen war und ist übrigens immer noch eine Arbeiterstadt. Das hiesige Textilgewerbe hat einst weltweiten Ruhm erlangt. Hier ist aber auch zu späteren Zeiten fleißig gearbeitet worden. Ich zitiere nur zwei Beispiele.

Die Talsperre ist eine riesige Baustelle gewesen. Dort haben viele Menschen aus zahlreichen Ländern gearbeitet. Dazu gehörte auch der Großvater einer PS-Abgeordneter aus Lüttich, die eine neue Kollegin im Kongress der Gemeinden und Regionen beim Europarat ist und die mir am Ende einer Versammlung in Straßburg die Geschichte ihres Opa erzählt hat. Er ist damals aus Italien gekommen, um an der Eupener Talsperre zu arbeiten. Als die Deutschen hier einfielen, hatte ihr Opa eine Bescheinigung zum Verlassen des Landes erhalten, die ihm bei seiner Rückkehr nach Belgien sehr nützlich war. Das ist eine spannende Geschichte.

Dann sind große Betriebe wie etwa das Kabelwerk Eupen entstanden, die den Sozialisten viel zu verdanken haben. Ich sage es ganz bewusst, ohne die Details zu erwähnen. Wenn nach dem Zweiten Weltkrieg August Pitsch sich nicht darum gekümmert hätte, dass das Kabelwerk in Belgien weiterarbeiten durfte, dann gäbe es dieses Unternehmen in seiner jetzigen Form nicht mehr. Eupen ist die Stadt, mit den meisten Arbeitsplätzen in Ostbelgien. Hier sind 47% aller Arbeitsplätze angesiedelt, obschon Eupen nur 25% der DG-Bevölkerung ausmacht. Eupen war immer eine Stadt mit vielen Arbeitsplätzen, wo Menschen hart gearbeitet haben und wo sich eine Menge getan hat. Eupen muss auch in Zukunft eine Stadt bleiben, wo es viele Arbeitsplätze gibt und wo Dinge gestaltet werden können, die für die arbeitende Bevölkerung positive Perspektiven eröffnen.

Die Geschichte Eupens und seine jüngere Entwicklung kann man durchaus auch an Gebäuden deutlich machen, mit denen ich mich verständlicherweise etwas intensiver beschäftigt habe, seitdem ich Minister bin.

Fangen wir mit dem Gebäude an, in dem wir hier sitzen. Das wäre ohne unseren Einsatz längst wegrasiert und sicherlich nicht in den letzten Monaten für eine bedeutende Summe renoviert worden. Man muss schon ein bisschen genauer hinschauen. Früher gab es hier sehr schlecht isolierte Fenster. Jetzt haben wir hier sogar Dreifachverglasung und moderne sanitäre Anlagen.

Wenn wir durch dieses Fenster hinausschauen, sehen wir das BRF-Zentrum. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie Mitte der 90er Jahre energisch gegen dieses Zentrum gekämpft wurde. Es hat Jahrzehnte gedauert, ehe Eupen überhaupt dazu einen Beschluss gefasst hatte. Wenn ich mich damals nicht gegen den erbitterten Widerstand mancher Politiker durchgesetzt hätte, dann stände dieses Gebäude jetzt nicht da. Dann gäbe es heute da keine Ausstellung, die André Blank, einem vor 100 Jahren geborenen großen Sohn unserer Region gewidmet ist.

Wenn wir auf die andere Seite schauen, sehen wir das allen bekannte Sanatorium. Auch dieses Gebäude ist ein großes Stück Geschichte Eupens. Hier brauche ich nicht in Erinnerung zu rufen, unter welch schwierigen Voraussetzungen die Restaurierung dieses Gebäudes durchgesetzt werden musste. Bereits zu Beginn des Jahrtausends ist der Umzug vom Kaperberg zum Sanatorium beschlossen worden. Dann hat es lange gedauert, bis die Planungen fertig waren. Als es dann so weit war, ging der große Zirkus los. In den letzten Monaten habe ich darüber kaum noch etwas gehört. Seit dem Tag der offenen Tür waren plötzlich alle dafür… Auch die Parkanlage ist wunderschön geworden. Man kann dort sogar Ostereier verstecken, wie ich gehört habe. Es war nicht einfach, das alles durchzusetzen.

Kommen wir zum Gebäude „Gospert 42“, eines der ältesten Gebäude Eupens. Nach dem Niedergang der Tuchmacherindustrie ist dieser Bau noch zur deutschen Zeit als Sitz einer Bank umgebaut worden. Zuerst war dort eine Reichsbanknebenstelle und zuletzt die „Société Générale“. Dann hat die Stadt Eupen das Gebäude übernommen und es lediglich einige Jahre als provisorisches Schulgebäude genutzt.  Schließlich hat die Regierung es gekauft und es der Zweckbestimmung zugeführt, die es jetzt als Sitz des Ministerpräsidenten und als Sitz der Euregio Maas-Rhein hat. Gewisse verbreiten das Gerücht, das sei ein Palast, wo sich der Ministerpräsident versteckt hält und das Geld aus dem Fenster schmeißt. Dazu möchte ich ein paar Zahlen nennen: Im Gebäude, Gospert 42, im historischen Gebäude Klötzerbahn 32, sowie im bei seiner Einrichtung ebenfalls kritisierten Ministerium der DG, Gospertstraße 1, haben im Jahre 2013 insgesamt 4.106 Versammlungen stattgefunden, an denen 36.160 Menschen teilgenommen haben. Das muss alles organisiert werden. Die Räume müssen unterhalten, geputzt und aufgeräumt werden. Der Kaffee muss vorbereitet und die Getränke müssen bereitgestellt werden.

Von den insgesamt 4.106 Veranstaltungen haben deren 946 mit 8.699 Teilnehmern in Gospert 42 stattgefunden. Alleine im Erdgeschoss dieses Gebäudes, im Foyer Lüttich, haben 2.525 Personen 91 Versammlungen, Veranstaltungen und Ausstellungen besucht.

Wenn wir weiter gehen, kommen wir zum Kloster Heidberg, über das verschiedene ebenfalls viel geschimpft und Unfug erzählt haben. Auch da haben wir die richtige Entscheidung getroffen.

Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass ab dem Zeitpunkt der Eröffnung alle immer dafür gewesen sind. Beim Kloster Heidberg handelt es sich um eines der ältesten Gebäude Eupens. Die Alternative wäre gewesen, das Gebäude verfallen zu lassen. In drei oder vier Jahren wäre es zusammengebrochen. Wir haben es in eine Tagungsstätte umgewandelt, wo man gleichzeitig tagen und übernachten kann.
Gewisse behaupten, das Kloster Heidberg wäre eine Konkurrenz für das Eupener Hotel- und Gaststättengewerbe und würde sogar das einzige Hotel in Eupen gefährden. Einen größeren Quatsch habe ich in den letzten 20 Jahren nicht gehört. Aber so etwas wird erzählt und es gibt Leute, die das glauben! Man muss wissen, dass in dieses Gebäude Veranstaltungen stattfinden werden, die sonst nie nach Eupen gekommen wären. Für Tagungen mit Übernachtungsmöglichkeit vor Ort bestehen in Eupen und übrigens auch anderswo in der DG kaum Möglichkeiten. Wir hätten in den letzten Jahrzehnten unzählige Gäste nach Eupen bringen können, wenn wir einen Ort hätten anbieten können, wo man gleichzeitig tagen und übernachten kann. Jetzt, wo es dieses Angebot gibt, werden regelmäßig Tagungen stattfinden, an denen mehr Leute mit Übernachtung teilnehmen werden, als man in den 38 Doppelzimmern des Klosters unterbringen kann. Und wo gehen die hin? Natürlich in die hiesigen Hotels und anderen Übernachtungsmöglichkeiten. Zum Glück gibt es in Eupen mittlerweile eine Reihe sehr interessanter Bed & Breakfast-Angebote und hoffentlich möglichst bald ein zweites Hotel. Hier wird also nichts gegen die hiesige Gastronomie und die hiesigen Hoteliers gemacht, sondern etwas für sie, was sie alleine so nie hinbekommen hätten. Wir sind noch einen Schritt weiter gegangen und haben auch die Orgel in der Kapelle restaurieren lassen. Dieser Auftrag führt übrigens ein Eupener Unternehmen aus, das zu den bedeutendsten Orgelbauern Europas gehört. Dies verleiht der Kapelle noch eine völlig neue Dimension und macht sie zu einem der attraktivsten Veranstaltungsorte in der Deutschsprachigen Gemeinschaft und weit darüber hinaus. Die Gastronomie im Kloster wird übrigens von hiesigen Restaurateuren und Traiteuren gewährleistet. Das diesbezügliche Ausschreibungsverfahren startet in den nächsten Wochen. Auch hier wird keinem etwas weggenommen, sondern hier entstehen vielmehr neue Opportunitäten für das einheimische Gewerbe.

Ein weiteres Projekt wird in Kürze starten. Wer Kinder in der Eupener Zweigstelle der Musikakademie hat, kann bezeugen, unter welch schlechten Bedingungen diese zurzeit untergebracht ist, weil die notwendigen Voraussetzungen im Kolpinghaus einfach nicht gegeben sind. Wir haben dafür gesorgt, dass die Musikakademie von dort weg in ein anderes historisches Gebäude Eupens kommt, nämlich in das ehemalige Mädcheninternat auf Bellmerin, das die Älteren unter uns noch als „Weinberg“ in Erinnerung haben. Auch das wird eine wunderbare Sache werden für die musikalische Ausbildung der jungen Menschen in Eupen.

In Eupen sind in den letzten Jahren für über 160 Millionen Euro Schulen gebaut oder renoviert worden. Diese betreffen alle Schulnetze und Träger. Anders als in den anderen Gemeinschaften Belgiens haben wir auch katholische Schule massiv zu 80% subventioniert.
In Eupen warten viele mit Sehnsucht darauf, dass das Schwimmbad endlich fertig wird. Die ersten Diskussionen über dieses Projekt mit der Stadt Eupen haben bereits im Jahre 2008 stattgefunden. Damals ist die Idee entstanden, die beiden Schwimmbäder an einem Standort unterzubringen. Auch in Sachen Schwimmbäder hat die DG besondere Anstrengungen unternommen. Vier Schwimmbäder für eine Gegend von knapp 77.000 Einwohnern sin keineswegs eine Selbstverständlichkeit. In Deutschland ist die Norm für ein Schwimmbad 100.000 Einwohner. Die Initiative muss jedoch von den Gemeinden kommen. Erst ab dem Moment, als Werner Baumgarten die Verantwortung übernommen hat, ist endlich ein richtiges Aktenstück eingereicht worden und Bewegung in das Projekt gekommen. Wir werden aber noch ein bisschen Geduld haben müssen, ehe wir in einem umgebauten Schwimmbad den ersten Sprung ins kalte oder wärmere Nass machen können.

All das ist in den vergangenen Jahren in Eupen bewegt worden und hat das Bild unserer Stadt ganz entscheidend verändert. Das ist nicht von alleine gekommen. Die Regierungen der vergangenen 15 Jahre haben dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet und wir Sozialisten und Sozialdemokraten können zu Recht darauf stolz sein.

Eupen steht immer noch vor großen Herausforderungen. Diese beschränken sich keineswegs auf die Frage, ob eine Straße mit einem Poller eine Fußgängerzone ist oder nicht. Wir müssen die richtige Zukunftsvision für Eupen entwickeln. Die Ansatzpunkte scheinen nun klar. Eupen ist ein Schulstandort. Das ist eine wichtige Sache für die Zukunft unserer Jugend. Eupen ist aber auch ein Industriestandort. Das ist ganz wesentlich für die Beschäftigungspolitik. Industrie und Gewerbe stehen auch in Eupen vor neuen Herausforderungen. Es ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung, dass das Gebiet der Stadt Eupen vor kurzem seitens der wallonischen Region als Förderzone anerkannt worden ist, genau wie dies wegen der entsprechenden Industriezonen mit den Gemeinden Lontzen und St. Vith der Fall ist. Dort werden in Zukunft bessere Bezuschussungsbedingungen für Investitionen in Unternehmen herrschen, als das bisher der Fall war. Dadurch verschwindet endlich der Unterschied zu der nur ein paar Kilometer weiter liegenden Industriezone in Thimister-Clermont. Das hat schon zur Konsequenz gehabt, dass vor kurzem ein Unternehmen beschlossen hat, nicht von Eupen noch Aachen auszuwenden, sondern sich auf der Herbesthaler Seite des East-Belgium-Parks neu anzusiedeln.

Eupen braucht neue Tätigkeiten. Der Tagungstourismus bietet interessante Perspektiven. Dasselbe gilt für den Einkaufsstandort Eupen, der durchaus noch ausbaufähig ist. Man braucht sich ja nur einmal ein paar vergleichbare Städte anzuschauen und sich dann zu fragen, wieso das in Eupen nicht ebenso gut klappt. Auf jeden Fall sind die Voraussetzungen durchaus da, wenn man die grundlegende Achse vom Rathaus über die Klötzerbahn bis hin zum Werthplatz entsprechend gestaltet. Das vorhandene Potential ist mit vielen anderen Städten gleicher Art nicht nur vergleichbar, sondern sogar noch besser.

Man spricht immer wieder von Eupen als der heimlichen Hauptstadt der DG. Das ist nicht sehr selbstbewusst. Eupen muss sich ohne Wenn und Aber zu seiner Rolle als Hauptstadt der DG bekennen. Wer noch nicht verstanden hat, dass die DG in den nächsten Jahren immer wichtiger werden wird, der verpasst wirklich einen Zug, obschon wir noch einen Bahnhof haben, für dessen Erhalt wir übrigens dauernd kämpfen müssen.

Vor einiger Zeit hat der Bürgermeister von Namur, der CDH-Politiker Prévot, Eupen das Angebot einer Partnerschaft von Hauptstadt zu Hauptstadt unterbreitet, um auf diese Weise die Vision eines Belgiens zu viert mit der DG als gleichberechtigtem Gliedstaat zu unterstützen. Ich hoffe, dass die Verantwortlichen der Stadt Eupen diese Chance beim Schopfe ergreifen.

Das Schicksal der Stadt Eupen ist eng mit dem der Deutschsprachigen Gemeinschaft verbunden. Wenn da richtig zusammengearbeitet wird, kann man eine Menge mehr und schneller erreichen. Dazu passt auch der Aufstieg der K.A.S. Eupen in die erste Division. Dafür sind die Voraussetzungen inzwischen unvergleichbar besser als beim ersten Mal.

Aus der Geschichte Eupens lassen sich viele Lehren für die Zukunft ziehen. Eupen muss an seine große Vergangenheit anknüpfen und zielstrebig an seiner Zukunftstüchtigkeit arbeiten. Wir Sozialisten und Sozialdemokraten haben in der Vergangenheit Manches für Eupen geleistet, worauf wir zu Recht stolz sein können und worauf wir aufbauen können, wenn wir für uns in Anspruch nehmen, für die weitere Entwicklung der DG und ihrer Hauptstadt ein starker Partner zu sein.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!