Reden

Ansprache anlässlich des Festaktes zum Tag der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Deidenberg


Ansprache anlässlich des Festaktes zum Tag der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Deidenberg

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15/11/2013

Werte Festversammlung,

hier, im Festsaal „Zum Tünnes“, geht eine Festtagsrunde durch die Gemeinden des deutschen Sprachgebietes zu Ende, die vor neun Jahren in Anwesenheit von S.M. König Albert II im Worriken-Zentrum zu Bütgenbach begonnen hat und uns in diesem Jahr nach Deidenberg, in einen der Tempel des Eifeler Karnevals, geführt hat.

Da stellt sich die Frage, wo diese Veranstaltung im kommenden Jahr stattfinden wird.

Mich persönlich – und Sie womöglich auch – interessiert darüber hinaus auch, wer dann die Festansprachen halten wird.

Eine durchaus spannende Frage!

Doch wie steht es in der Bibel: Viele fühlen sich auserkoren, aber nur wenige werden ausgewählt.

Wenn der 15. November auf einen Freitag fällt, finden die Festtagsveranstaltungen in Brüssel und in Ostbelgien am selben Tag statt.

Da Belgien ein kleines Land ist, bildet die dabei zu bewältigende Entfer

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nung kein unüberbrückbares Hindernis.

Aber ist es auch möglich, an beiden Stellen dieselbe Rede zu halten?

Möglich ist es schon, aber nicht unbedingt sinnvoll.

In Brüssel geht es darum, unseren Platz im belgischen Bundesstaat zu behaupten sowie das innerbelgische und internationale Publikum daran zu erinnern, dass es die DG überhaupt gibt und es davon zu überzeugen, dass sie mit ihren institutionellen Forderungen richtig liegt, wenn sie bei den heute, morgen und übermorgen anstehenden Veränderungen des belgischen Bundesstaatsmodells nicht vergessen oder unter die Räder geraten will.

Wir fordern keine Privilegien, sondern lediglich gleich behandelt zu werden.

Was den Flamen, Wallonen und Brüsselern für sich selbst recht ist, muss auch für uns gelten.

Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Und wir wollen vor allem ein gleichberechtigter Bestandteil Belgiens bleiben und nicht zu einer Randerscheinung in Wallonien verkümmern.

Wir verstehen uns aber auch nicht als Schiedsrichter oder Zünglein an der Waage oder gar als Orchesterchef.

Diesen Standpunkt habe ich heute Morgen nochmals in aller Deutlichkeit in Brüssel in Erinnerung gerufen.

In Ostbelgien geht es beim Tag der DG meines Erachtens um etwas anders.

Hier stellt sich vor allem die Frage, was wir aus der uns zugestandenen Autonomie machen wollen und wie wir sie zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen unserer Heimat einsetzen können.

Ist dies uns in den vier Jahrzehnten seit Schaffung des Rates der deutschen Kulturgemeinschaft und insbesondere nach der vor dreißig Jahren erhaltenen Dekretbefugnis und eigenen Exekutive erfolgreich gelungen?

Ich glaube schon.

Die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte im Umgang mit der stets wachsenden Autonomie hat gezeigt, dass bisher alle Zuständigkeiten mindestens genauso gut verwaltet wurden, wie das vorher unter der Verantwortung des belgischen Staates oder der Wallonischen Region der Fall war.

Das gilt für das Unterrichtswesen ebenso wie für die Zuständigkeit in den Bereichen Kultur, Beschäftigung und Sozialwesen.

Keine Bürgermeister, Kommunalpolitiker oder Mitglieder eines Kirchenfabrikrates zwischen Ouren und Neu-Moresnet werden ernsthaft die bedeutenden Verbesserungen in Frage stellen, die dank der Übernahme der Zuständigkeiten für die lokalen Angelegenheiten seit 2005 erreicht werden konnten.

Und es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht anhand von konkreten Beispielen deutlich wird, wie dringend wir die eigene Zuständigkeit für die Raumordnung und den Wohnungsbau brauchen, wenn wir in der DG eine kohärente, integrierte und maßgeschneiderte Politik betreiben wollen.

Das gelingt umso besser je genauer man weiß, wo man hin will, in welche Richtung der Weg in die Zukunft führt und welche Etappenziele dabei zu erreichen sind.

Das Regionale Entwicklungskonzept (REK) hat in den letzten Jahren die Richtung vorgegeben und bereits mit seinem ersten Umsetzungsprogramm beachtliche Ergebnisse hervorgebracht.

In den kommenden Monaten und Jahren gilt es, ein zweites Umsetzungsprogramm auszuarbeiten und die begonnene Arbeit zielstrebig fortzusetzen.

Dabei kann eine große Stärke unserer kleinen Gebietskörperschaft DG voll zum Tragen kommen: ihre Überschaubarkeit.

Wir brauchen die Dinge nicht aus der Ferne zu betrachten.

Wir können sie uns aus der Nähe anschauen.

Und wir können gebündelt vorgehen, Synergien schaffen, bürokratische Hindernisse erst gar nicht entstehen lassen und alle Vorteile der kurzen Wege nutzen.

In diesem Zusammenhang erweist sich die enge Zusammenarbeit zwischen den 9 Gemeinden des deutschen Sprachgebietes und der DG von zentraler strategischer Bedeutung.

Es gibt kaum einen Zuständigkeitsbereich unserer Gemeinschaft, wo diese Zusammenarbeit nicht sinnvoll im Interesse der Bürgerinnen und Bürger aufgebaut und gestaltet werden kann.

Dies gilt sowohl für die bisherigen als auch für die zukünftigen Tätigkeitsbereiche der DG, wie etwa diejenigen, die ihr demnächst in Ausführung der 6. Staatsreform übertragen werden.

Dies gilt auch für die Funktionstüchtigkeit und Schlagkraft von Dienstleistungsträgern wie beispielsweise die TAO, das SPZ, die WFG oder die VSZ.

Und dies erweist sich insbesondere auf der Ebene der Infrastrukturpolitik als eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Politikgestaltung, sowohl bei dem weitgehend vollzogenen Abbau des Infrastrukturstaus als auch bei dem anstehenden Paradigmenwechsel hin zum nachhaltigen Bauen mit seiner Schwerpunktverlagerung auf den Lebenszyklus von Gebäuden.

Dieser Politikansatz lässt sich übrigens noch weiterentwickeln und verbessern, wenn wir nicht nur die Gemeinden, sondern jede einzelne der rund 140 Ortschaften unserer ostbelgischen Heimat in den Fokus unseres Interesses stellen.

Ich hatte diesen Sommer die Gelegenheit, fast allen dieser Ortschaften einen Besuch abzustatten und mich vor Ort mit den Menschen darüber zu unterhalten, was sie bewegt und interessiert.

Auch nach einem knappen Vierteljahrhundert an Regierungserfahrung habe ich dabei noch viel Neues entdeckt und Manches hinzugelernt.

Dabei bin ich übrigens zu der Überzeugung gelangt, dass wir alles Interesse daran haben, den Ortschaften eigene Gestaltungsmöglichkeiten zu eröffnen und sie stärker als bisher an der Politikgestaltung zu beteiligen.

Die Übertragung der Zuständigkeit für das Gemeindegesetz an die DG wäre dazu ein willkommener Anlass und eine einzigartige Gelegenheit.

Gerade in Zeiten zunehmender Politikverdrossenheit eröffnet die Kleingliedstaatlichkeit der DG den Gemeinden, Sozialpartnern, Betrieben, Vereinen, Einrichtungen und insgesamt der Bevölkerung hervorragende Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung. 

Anlässe mitzumachen, mitzugestalten und sich einzubringen warten an jeder Straßenecke. 

Die Deutschsprachige Gemeinschaft ist auch und nicht zuletzt eine Mitmachgemeinschaft. 

Dazu bieten sich gleichermaßen viele berufliche wie zahllose ehrenamtliche Möglichkeiten zu den verschiedensten Anlässen an den unterschiedlichsten Stellen und Orten. 

Die Dichte der Aufgabenfelder und Kontaktnetze sowie die Vielfalt der bestehenden Landschaft im Kultur-, Bildungs- und Sozialwesen können nur aufrecht erhalten und weiter ausgebaut werden, wenn neben beruflicher Fachkompetenz auch ein erhebliches Maß an ehrenamtlicher Tätigkeit zum Einsatz kommt. 

In der Deutschsprachigen Gemeinschaft geschieht dies in vorbildhafter Weise und mit großem Erfolg.  

Die Geschichte des letzten halben Jahrhunderts hat die durch den Wiener Kongress entstandene und vom Versailler Vertag entscheidend beeinflusste Deutschsprachige Gemeinschaft zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt und in eine Richtung gelenkt, die sie als kleine Region mit Gesetzgebungshoheit an der Wasserscheide zwischen dem germanischen und romanischen Kulturraum in Europa mit zahlreichen Trümpfen und Chancen ausstattet. 

Ihre Zukunftstauglichkeit wird letztlich davon abhängen, ob es ihr bei der Politikgestaltung gelingt, ihre identitätsstiftende Verwurzelung mit einer weltoffenen Vernetzung anzureichern, denn erfolgreiche Regionen sind tief verwurzelt und breit vernetzt.

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!