Grußwort von Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft, anlässlich der akademischen Sitzung zu den Jubiläumsfeierlichkeiten „25 Jahre Gerichtsbezirk Eupen“
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5/10/2013
Werte Festversammlung,
dieses Grußwort stellt mich vor eine gewisse Herausforderung. Es ist nicht ganz einfach als letzte von fünf Vorspeisen vor dem Hauptgericht das Wort zu ergreifen. Es besteht die Gefahr, dass das, was man sich aufgeschrieben hat, von anderen bereits gesagt wurde. Außerdem ist noch die gebotene „Kürze“ einzuhalten. Man hatte mich doch tatsächlich gebeten, hier höchstens eine Stunde lang zu sprechen. Und dann – das ist die eigentliche Schwierigkeit – bleiben dann noch die Gewaltenteilung an sich und mein persönliches Verständnis davon.
Meine Berufserfahrung hierzulande ist fast so lang wie diejenige des Gerichtes. In Sachen Gewaltenteilung habe ich immer eine sehr strikte Auffassung gehabt, die dazu geführt hat, dass die Kontakte zwischen mir und den Gerichtsbehörden eher selten sind. Ich bin nämlich zutiefst davon überzeugt, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft nur dann gut funktionieren kann, wenn sie eine völlig unabhängige Justiz hat und wenn es zwischen der Ausführenden und der Richterlichen Gewalt keine übertriebenen weder beruflichen noch privaten Verflechtungen gibt. Daran habe ich mich immer zu halten versucht, auch wenn ich natürlich die meisten der Akteure, insbesondere der Pioniere, aus eigenen Studentenzeiten sehr gut kenne. Ich bitte inständig darum, dass die Tatsache, dass die Regierung heute den Europasaal und die Übersetzung kostenlos zur Verfügung stellt, nicht als versteckter Versuch gewertet wird, das Gerichtswesen ungebührend zu beeinflussen. Nein, diese Tatsache ist eher der Synergie der Jubiläen und dem trotz seltener Kontakte guten Zusammenarbeit geschuldet.
50 Jahre Sprachengesetz in Verwaltungsangelegenheiten, 40 Jahre Parlament der DG, 30 Jahre Regierung der DG und 25 Jahre Gerichtsbezirk Eupen, das sind die in kurzen Zeitabständen anstehenden Jubiläen. Verschiedene machen sich sogar Sorgen, es gäbe demnächst zu viele Häppchen. Diese geballte Präsens an Jubiläen ist in der Tat beeindruckend. Es sind im Grunde genommen verschiedene Facetten derselben Wirklichkeit, nämlich der Rechtsstellung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im belgischen Bundesstaat.
Die Zugehörigkeit zu Belgien wird im Jahre 2020 100 Jahre alt. In diesem Jahrhundert ist Vieles geschehen. Ganz wesentlich ist dabei die Suche nach dem richtigen Platz dieser damaligen Neubelgier in ihrem neuen Vaterland. Da hat es spannende Entwicklungen gegeben. Wir werden dazu nachher noch Einiges hören. Alle, die beteiligt oder betroffen sind, haben eines gemeinsam, nämlich die deutsche Sprache und die durchaus als überschaubar zu bezeichnende Größe des Territoriums des deutschen Sprachgebietes mit seinen 854 Quadratkilometern.
Klein sein ist Schicksal. Das gilt für Menschen ebenso wie für Gebietskörperschaften. Versuchen Sie einmal als Erwachsener zu wachsen, zumindest in die richtige Richtung. Das ist gar nicht so einfach. Sie werden sehr schnell zu der Erkenntnis kommen, es sein zu lassen. Gebietskörperschaften werden meistens nur dann größer, wenn sie im Vorfeld davon einen Krieg führen. Nun haben wir zwar zwei Einrichtungen der belgischen Armee auf unserem Gebiet, aber ich weiß nicht, ob wir das Lager Elsenborn oder die Militärsporthochschule in Eupen dazu missbrauchen sollen.
Die Größe ist Schicksal. Am besten ergibt man sich in sein Schicksal und versucht, aus der gegebenen Situation das Beste zu machen, indem man die Vorteile nutzt und die Nachteile durch geschickte Handhabung in Vorteile umwandelt. Manchmal ist Vorteil gleichzeitig Nachteil, vor allem wenn es um Befürchtungen geht. Der Vorteil, dass man in einem kleinen Gebiet sehr eng an der Realität arbeiten kann, wird sehr schnell zur Gefahr hoch stilisiert, es könnte alles nur noch über Vetternwirtschaft laufen. Gerade das oder ähnliche Befangenheitsüberlegungen hat man Ende der Achtzigerjahre zu häufst gehört, als es um die Schaffung des Gerichtsbezirks ging. Die Geschichte hat uns eines Besseren belehrt. Das ist gut so und auch sehr verheißungsvoll für die Zukunft.
Es gibt in der Tat viele Vorteile, wenn man in einem überschaubaren Gebiet arbeitet. Die Schwierigkeiten, die ebenfalls auftauchen, lassen sich meist durch Kooperation und kreative Lösungen meistern. Dazu kann man unzählig viele Beispiele zitieren und sicherlich auch eine Menge aus dem Gerichtswesen. Auf jeden Fall hat dieses Vierteljahrhundert Erfahrung mit dem Gerichtsbezirk – übrigens genau wie die 30 Jahre Erfahrung mit Regierung und 40 Jahre Erfahrung mit Parlament – uns gelehrt, dass die in den Raum gestellten Bedenken sich als überzogen oder unrealistisch erwiesen haben. Die Erfahrung hat uns auch gelehrt, dass Probleme immer dann gelöst werden können, wenn der Wille dazu besteht, sie zu lösen, wenn die Bereitschaft da ist, etwas zu tun und nicht nur über die Dinge zu reden, und wenn die Akteure, die etwas tun sollen und tun wollen, über ein gewisses Maß an Ausdauer verfügen. All das haben wir in vielfältiger Weise im letzten halben Jahrhundert hierzulande erlebt, auch und gerade im Gerichtswesen.
Da ist natürlich die Pionierleistung der Gründerväter zu erwähnen. Da hat Rolf Lennertz als Erster Prokurator des Königs Hervorragendes geleistet. Da hat, wie eben bereits erwähnt, Leo Stangherlin als Erster Gerichtspräsident auf seine sehr besondere Art und Weise ungemein viel Arbeit zu Stande gebracht. Da haben auch alle anderen, die im Gerichtswesen tätig sind, im letzten Vierteljahrhundert tolle Arbeit geleistet, sowohl in allen Gerichten als auch in allen Staatsanwaltschaften, in den Kanzleien oder auch im Notar- und Gerichtsvollzieherwesen und nicht zuletzt in der Anwaltschaft.
Wenn man die Zahl der betroffenen Akteure von 1988 mit heute vergleicht, ist das ein beeindruckendes Wachstum. Bei den Anwälten erlebten wir eine Steigerung von 19 auf 50 Personen. Das ist fast eine Verdreifachung! Zum Glück sind Sie nicht die Verwaltung der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Sonst würde man Sie einen „Wasserkopf“ nennen! Seien Sie jedoch unbesorgt. Wenn jemand das wagen würde, würde ich auch dem hier in aller Deutlichkeit widersprechen, denn dem ist nicht so. Die Gemeinschaft ist im Laufe ihrer Autonomie gewachsen. Die Situation im Gerichts-, Gesetzgebungs- und Regierungswesen ist nicht mehr vergleichbar mit dem Anfang. Ohne Personen, die sich engagiert einsetzen, geht überhaupt nichts. Die Erfahrung hat uns noch Eines gelehrt, was man sehr gut mit einem Wort von Willy Brandt umschreiben kann, der am Ende seines Lebens einmal auf einer Veranstaltung gesagt hat: „Nichts kommt von alleine und nur wenig ist von Dauer.“
Wir müssen immer wieder wachsam bleiben und uns neuen Herausforderungen stellen. Dass man wachsam bleiben muss, hat man im Gerichtswesen in den letzten Jahren sehr deutlich erlebt. Natürlich war die Idee, den Gerichtsbezirk abzuschaffen und mit anderen zu fusionieren ein großes Missverständnis. Natürlich hat niemand das jemals im Traum gewollt. Aber es war gar nicht so einfach, dieses Missverständnis aus der Welt zu räumen. Diejenigen, die daran konkret beteiligt waren und an den entscheidenden Sitzungen teilgenommen haben, wissen sehr genau, wovon ich rede.
Dieselbe Herausforderung erleben wir auch in Sachen Staatsreform. Unsere jetzige Autonomie ist beachtlich. Die sechste Staatsreform wird sie noch bedeutend erweitern. Regionale Kompetenzen kommen hinzu, aber die Gefahr, dass wir verschwinden, ist jeden Tag aufs Neue da. Dafür gibt es mindestens zwei Gründe.
Einerseits orientiert Belgien hin zu einem Bundesstaat mit einer einzigen Art von Gliedstaaten, nämlich den Regionen. Was wird da aus der Deutschsprachigen Gemeinschaft? Andererseits verflechten sich die Französische Gemeinschaft und die Wallonische Region derart, dass wir – wenn wir nicht aufpassen – in Zukunft nichts anders machen können, als nachzudackeln und zu übernehmen, was dort beschlossen wird. Das ist sehr vergleichbar mit der Situation im Gerichtswesen. Die Tatsache, dass es gelungen ist, da eine aus unserer Sicht fatale Fehlentwicklung zu vermeiden, ist ein großer Ansporn, bei der Staatsreform dafür zu sorgen, dass uns dort nicht dasselbe passiert.
Vorhin habe ich bereits auf die Bedeutung der Gewaltenteilung hingewiesen. Es gibt natürlich auch Schnittmengen. Wir können versuchen, uns nicht auf die Füße zu treten und uns aus dem Wege zu gehen, aber irgendwann werden wir immer wieder auch zusammenarbeiten müssen.
Das gilt zuallererst für die Umsetzung der Rechtsordnung der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Diese wird von Mal zu Mal, von Staatsreform zu Staatsreform umfangreicher, größer und bedeutender. Es ist von fundamentaler Bedeutung, dass die Dekrete der Deutschsprachigen Gemeinschaft als etwas gelten, was man nicht straffrei übertreten darf. Es ist von allergrößter Bedeutung, dass Vorschriften der Deutschsprachigen Gemeinschaft angemessen geahndet werden, wenn sie nicht eingehalten werden. Es ist gut, dass das keine Aufgabe der Regierung, sondern unabhängiger Gerichte ist, auch wenn die Staatsreform vorsieht, dass die Anweisung zum Verfolgen in Zukunft von der Regierung gegeben werden kann. Die hiesige Justiz hat sich bisher in vorbildlicher Weise um die Anwendung der Rechtsordnung der Deutschsprachigen Gemeinschaft gekümmert. Das wird bei zukünftigen Zuständigkeiten wie etwa der Raumordnung noch viel fundamentalere Bedeutung für den Alltag der Menschen haben.
Ein enges Zusammenspiel bedarf es ebenfalls in gewissen Zuständigkeiten, wo die Rolle der Justiz besonders betroffen ist. Ich denke da insbesondere an das Jugendstrafrecht, den Jugendschutz und die Jugendhilfe, wo die gesetzgeberische Gestaltung in der DG belgienweit einzigartig ist, weil sie die Rolle der Justiz viel stärker betont als anderswo in Belgien. Da haben wir auf die richtige Lösung gesetzt.
Wir werden in absehbarer Zeit noch viel mehr als bislang die Verantwortung für gerichtsbegleitende Dienste haben wie etwa bei der Täter-, Opfer-, und Gefangenenbetreuung sowie bei den Justizhäusern, um nur einige Dinge zu nennen. Auch da ist Zusammenarbeit von allergrößter Bedeutung.
Wir haben auch noch eine gemeinsame Verantwortung für etwas, was vielleicht weniger spektakulär, dafür aber nicht unwichtiger ist, nämlich die Qualität der deutschen Rechtssprache belgischen Rechtes. Die Übersetzungsarbeit ist eine schwierige Angelegenheit, weil die belgische Gesetzgebung noch nicht direkt an der Quelle übersetzt wird, so wie es mit der wallonischen der Fall ist. Dann kommen schon mal so Sachen vor, wie das, was wir vor kurzem in der Presse lesen konnten und was ein bisschen mit den Bildern zu vergleichen ist, die hinter mir hängen bzw. noch hängen. Da wurde im Belgischen Staatsblatt ein Gesetz in deutscher Sprache veröffentlicht, das noch von König Baudouin unterschrieben worden war. Das war genauso wenig böse Absicht wie die Tatsache, dass das neue Königspaar noch nicht hier hängt, sondern ist einfach der Tatsache geschuldet, dass es die neuen Bilder noch nicht gibt. Die Qualität der Rechtssprache hängt vor allem von der Qualität der Terminologie ab. Da sind sehr interessante Weichen gestellt worden, die mittlerweile ihre Wirkung zeigen. Dass wir heute die Veröffentlichung der zweiten Ausgabe des Gesetzbuches in deutscher Sprache erleben, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls eine sehr gute und lobenswerte Initiative.
Ein letztes Thema ist uns auch noch gemeinsam: Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Oh wie bin ich froh, dass ich auf meinen vielen Reisen manchmal mit dem Gerichts- und Justizwesen zu tun habe. Genau wie für die Justiz, ist es auch für alle anderen Bereiche unserer Gemeinschaft von extrem wichtiger Bedeutung, dass wir uns nicht nur mit uns selbst beschäftigen, sondern die Erfahrungen und Ideen anderer anderswo in Belgien und in Europa mit integrieren können. Auf diesem Gebiet wird im Justizwesen Vieles geleistet. Bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit können Regierung und Gerichtswesen auf sehr sinnvolle Weise zusammenarbeiten.
Zum Schluss möchte ich mich den Glückwünschen und Geschenken widmen. Im Namen der Regierung der DG gratuliere ich den Justizbehörden und der Anwaltskammer auf das Herzlichste zu diesem Vierteljahrhundert Existenz und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg bei ihrer sehr wichtigen Arbeit für die Menschen in der Deutschsprachigen Gemeinschaft und darüber hinaus.
Ich weiß nicht, ob es eine positive oder eine negative Sache ist, dass Verfahren und Streitigkeiten überall in Belgien an das Gericht Erster Instanz in Eupen verwiesen werden können, wenn der Gebrauch der deutschen Sprache beantragt wird. Es ist natürlich für die Richter eine unversiegbare Quelle neuer Tätigkeiten. Warum machen so wenig Menschen davon Gebrauch? Weil es natürlich nur eine begrenzte Anzahl von deutschsprachigen Fällen gibt? Oder – wie böse Zungen behaupten – weil Betroffene ziemlich kategorisch bestraft worden sind und in der belgischen Anwaltschaft das Gerücht verbreitet ist, dass man ein größeres Risiko hat, abgestraft zu werden, wenn man sich nach Eupen verweisen lässt, als wenn man da bleibt, wo man war. Aber das soll wie gesagt nur ein Gerücht sein. Wie dem auch sei. Es ist wichtig, dass jeder, der in Belgien mit der deutschen Sprache im Gerichtswesen in Kontakt kommt, eine Möglichkeit hat sich hierhin verweisen zu lassen. Die Gesetzgebung zu Brüssel-Hal-Vilvoorde hat diese Gelegenheit in zivilrechtlichen Angelegenheiten bedeutend erweitert.
Als Geschenk möchte ich anbieten, dass wir uns genauso intensiv wie in der Vergangenheit auch in Zukunft gemeinsam mit Ihnen darum bemühen, dass der eben von Ihnen – im Anflug einer neuen Bescheidenheit – als zentrales Gerichtsgebäude bezeichnete Justizpalast möglichst schnell zu Stande kommt. Dort herrscht in der Tat eine fast unzumutbare Situation. Wir können das als Deutschsprachige Gemeinschaft umso mehr verstehen, als wir im Schulbereich und in der Unterbringung gewisser anderer Einrichtungen ähnliche Situationen erlebt haben. Wir wissen allerdings auch, dass solche Gebäude nicht unbedingt populär sind, vor allem wenn sie populistisch kritisiert werden. Trotzdem sind sie notwendig. Aus Sicht der Regierung der DG gehört es ohne wenn und aber zur Autonomie der Deutschsprachigen Gemeinschaft, dass das Parlament, die Regierung, die Verwaltung, das Gericht und die Gemeindebehörden korrekt untergebracht sind. Wenn wir da in absehbarer Zeit Fortschritte erzielen, wäre das vielleicht nicht das schönste, aber sicherlich das nützlichste Geburtstagsgeschenk, was man Ihnen machen könnte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
recht herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Jetzt bin ich genauso gespannt wie Sie auf das, was wir zum Thema Geschichte des Gerichtswesens in der Deutschsprachigen Gemeinschaft hören werden.
Vielen Dank!