Reden

Impulsreferat von Karl-Heinz Lambertz anlässlich der Internationalen Minderheitenkonferenz zum Thema: :„Die Deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien“


Impulsreferat von Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, zum Thema:„Die Deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien“ anlässlich der Internationalen Minderheitenkonferenz: „Minderheitenschutz in Europa: Erfahrungen und Herausforderungen“ (III. Perspektiven regionaler Demokratie: Best Practice-Beispiele für regionale Selbstverwaltung) organisiert vom Bund ungarischer Organisationen in Deutschland, Bund ungarischer Landesverbände in Westeuropa in Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Volksgruppen-Institut (SVI).

24/02/2012

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Sehr geehrte Damen und Herren,

als erstes möchte ich Ihnen allen einen schönen Nachmittag wünschen. Wir haben eben von der schönen kleinen Welt in Südtirol gehört. Ich darf über eine noch sehr viel kleinere Welt reden, von der ebenfalls schönen Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Was ist die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens? Im Gegenteil zu dem, was der Name „Gemeinschaft“ suggeriert, handelt es sich hierbei um keinen Verein, keine Sekte oder sonstigen Klub. Gemeinschaft ist das, was man im deutschen Sprachgebrauch ein „Bundesland“ oder im europäischen Jargon „eine Region mit Gesetzgebungshoheit“ nennt. Weil also die Deutschsprachige Gemeinschaft eine Region mit Gesetzgebungshoheit ist, passt sie hervorragend in dieses Panorama der Best-Practice-Beispiele für regionale Selbstverwaltung.

Diese Region liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Aachen. Zwischen meinem Amtssitz und dem des Oberbürgermeisters der Stadt Aachen liegen ziemlich genau 18km Entfernung – das ist relativ überschaubar.  Die Deutschsprachige Gemeinschaft befindet sich im Osten Belgiens, an der Staatsgrenze zur Bundesrepublik Deutschland.  In dieser Region leben rund 77.000 Menschen, davon etwa 14.000 Ausländer, wovon wiederum 12.000 Bundesdeutsche, die aus dem Großraum Aachen im Wesentlichen in diese Region eingewandert sind.  Das ist anders als die Einwanderung in Südtirol. Diejenigen, die in unsere Region einwandern, sind meistens der bei uns herrschenden Muttersprache mächtig.  Die Bevölkerung lebt in neun Gemeinden. Das Gebiet umfasst insgesamt 854km2, wobei die höchste Anhebung knapp 700 Meter ausmacht. Das ist wiederum ein großer Unterschied zu den Bergen in dem ansonsten in mannigfacher Weise vergleichbarem Südtirol. Südtirol erhält übrigens seit vielen Jahren eine sehr enge und freundschaftliche Beziehung mit der Deutschsprachen Gemeinschaft aufrecht.

Die Deutschsprachige Gemeinschaft ist ein Kind der Geschichte. Es steht nicht in den Zehn Geboten oder in sonstigen relevanten Texten, dass diese kleine, sehr dünn besiedelte Region dazu bestimmt war, ein belgisches Bundesland zu werden. Das hat die Geschichte so beschlossen ohne Nachfrage bei der Bevölkerung. 

Der wichtigste erste Schritt war der Wiener Kongress.  Damals ist das ganze Gebiet zum ersten Mal geschlossen zu Preußen gekommen. Dann hat es den Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg gegeben, wo eine Grenzkorrektur stattfand und dieses Gebiet von Deutschland zu Belgien kam.  Das ist ein großer historischer Schnitt in der Geschichte unseres Ortes.  Der Versailler Vertrag, ähnlich wie die anderen Pariser Vorortsverträge, hat große Veränderungen auf der europäischen Landkarte gebracht. Wir hatten noch 2009 einen Internationalen Kongress zu diesem Thema in St. Vith.  Dort wurde deutlich, wie nachhaltig diese Verträge auch heute noch Europa bestimmen. Die Angliederung an Belgien war der erste einschneidende Schritt zur Veränderung.  Es folgte eine sehr bewegte historische Zeit, vor dem Zweiten Weltkrieg, während des Zweiten Weltkrieges und nach dem Zweiten Weltkrieg. 1940 wird das Gebiet von Hitler annektiert und dem Deutschen Reich einverleibt – was natürlich sehr weitgehende Konsequenzen hatte, sowohl während der betreffenden Zeit als auch danach, als das Gebiet zurück zu Belgien kam. 

Dann hatte es eine zweite Entwicklung gegeben, die die Menschen vor Ort nicht wesentlich herbeigeführt oder bestimmt hatten, nämlich die Umwandlung Belgiens in einem Bundesstaat. Belgien ist ein Staat von einer besonders spannenden Vielfalt. Es ist ein „Vielvölkerstaat“, wo im Wesentlichen Flamen und Frankophone zusammenleben – oder besser gesagt, versuchen, zusammenzuleben und sich eigentlich, seit et und je, sehr heftig streiten. Und als ob das noch nicht genug wäre, hat man noch die deutschsprachige Minderheit dazu genommen. So herrscht in diesem Land stets irgendein Konflikt. Das ist sehr wichtig, um die Rechtsstellung der Deutschsprachigen Gemeinschaft zu verstehen. Denn die Tatsache, dass man in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts beschlossen hatte, diese ethnischen Konflikte in Belgien so zu lösen, dass man dieses Land in einen Bundesstaat umgewandelt hat (bestehend aus Gemeinschaften und Regionen) hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft jetzt diese Rechtsstellung und das Autonomiestatut besitzt, das sich weiter im Wandel befindet.

Wenn nicht diese Umwandlung Belgiens, von einem dezentralisierten Einheitsstaat in einen Bundesstaat mit stark dissoziativen Zügen, stattgefunden hätte, hätte man bestimmt nicht für diese sehr kleine deutschsprachige Minderheit im Osten des Landes ein Autonomiestatut mit eigenem Parlament und Gesetzgebungshoheit (und alles, was davon abgeleitet werden kann)  entwickelt. Der Versailler Vertrag einerseits und die Umwandlung Belgiens in einem Bundesstaat andererseits sind die zwei bestimmenden Ereignisse in der Geschichte dieser Region.

Wenn man sich die Deutschsprachige Gemeinschaft heute anschaut, kann man drei Alleinstellungsmerkmale identifizieren. Einerseits ist das Gebiet eine nationale Minderheit, denn mit 0,7% der Gesamtbevölkerung ist man sicherlich eine Minderheit. Das Problem in Belgien ist nur, dass jeder eine Minderheit ist. Die Frankophonen sind mittlerweile eine Minderheit geworden, aber sie wissen es manchmal noch nicht und die Flamen sind schon lange die wirtschaftlich stärkere Mehrheit, aber benehmen sich noch so, als ob sie immer noch die alte unterdrückte Minderheit wären.  In Minderheitenfragen kann man in Belgien sehr viel erleben und lernen. Wenn man die jüngste, ja weltrekordträchtige Dauer der Regierungsbildung verfolgt, wird man sehr vieles von dem Psychodrama um dieses sehr komplexe Verhältnis zwischen diesen Bestandteilen wiederfinden.  Wie dem auch sei… die Deutschsprachigen sind aufgrund des Versailler Vertrages mittendrin. Ob man den Versailler Vertrag noch einmal ändern wird, glaube ich nicht wirklich und wünsche es mir auch nicht. (scherzhaft) Stellen Sie sich einmal vor, wir wären ein Teil von Nordrhein-Westfalen! Was wären meine Chancen, Ministerpräsident zu sein?

Grenzen sollte man in Ruhe lassen. Es ist sehr schwierig, Grenzen zu verändern. Man muss lernen, damit umzugehen. Das ist zumindest die Folgerung, die wir aus unserer eigenen Geschichte als Minderheit haben. Wichtig für die nationale Minderheit der Deutschsprachigen Gemeinschaft ist, dass sie in einem sich stark bewegendem Vielvölkerstaat lebt. Wichtig ist auch, dass sie einen geschlossenen Siedlungsraum hat, der zwar sehr klein ist, aber auf dessen Gebiet fast nur Deutschsprachige leben.  Wir sind keine Streuminderheit! Die deutschsprachige Minderheit in Belgien ist in ihrem eigenen Gebiet die fast absolute Mehrheit. Es leben relativ wenig Menschen, die nicht Deutsch als Muttersprache sprechen.  Das ist auch wichtig für die unmittelbare Nachbarschaft zu unserem großen Nachbarn, der Bundesrepublik Deutschland. Dieser ist ein bisschen größer als die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens, aber beeinflusst uns nur begrenzt. Ich spreche trotzdem einen deutschen Ministerpräsidenten mit „Herr Kollege“ an – auch wenn dieser 18 Millionen Menschen vertritt (gemeint ist das Land Nordrhein-Westfalen).  Meistens suche ich mir aber kleinere Bundesländer aus, wie z.B. das Saarland oder Bremen; denn da spricht man ein bisschen mehr auf Augenhöhe. Diese Nachbarschaft zu Deutschland ist natürlich sehr wichtig und wird in vielfältigen Kontakten sehr intensiv betrieben.  Die erste Besonderheit, das erste Alleinstellungsmerkmal, ist diese nationale Minderheit in einem sehr spezifischen Kontext des belgischen Vielvölkerstaates.

Die zweite Besonderheit ist das, was ich einmal einen „Kleingliedstaat“ genannt habe. Das ist die Zusammenfassung von „Gliedstaat“ und „Kleinstaat“.  (scherzhaft) Wenn man das so ausspricht, haben viele Menschen plötzlich erotische Phantasien, aber was soll’s… das ist ja nicht verboten. Jedenfalls dieser „Kleingliedstaat“ hat seine Besonderheiten: Er ist eine Gebietskörperschaft mit sehr hochrangigen Zuständigkeiten, nämlich die eines Bundeslandes mit Gesetzgebungshoheit und allem, was dazu gehört, aber auf einem sehr kleinen Gebiet, wo die öffentliche Struktur sich auf zwei Ebenen abspielt (die Gemeinschaftsebene, diese gliedstaatliche Ebene, und die kommunale Ebene). Wenn ein Bundesland nur neun Kommunen zählt, ist das etwas qualitativ völlig anderes, als wenn Sie als Regierung es mit 200.500 oder 3.000 Kommunen arbeiten müssen.  Sie können alles, was das öffentliche Gestalten angeht, in einem viel stärkerem Dialogkontext betreiben, in dem Sie mit den Bürgermeistern oder den Verantwortlichen vor Ort vor allem diskutieren und verhandeln.   

Die dritte Besonderheit dieser Region ist ganz wichtig. Das ist die Grenzlage. Wir sind von Nachbarn vielfältigster Art umgeben: Zuerst wäre da der deutsche Nachbar. Zwei Bundesländer grenzen an unser Gebiet: Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Übrigens ein schönes Beispiel von Vielfalt, in einen Staat, wo man dieselbe Sprache spricht, sind die beeindruckende Unterschiede zwischen den nordrhein-westfälischen und rheinland-pfälzischen Partnern in  vielfältiger Weise – auch im auf Verwaltungsebene. Das kann man etwa in einer grenzüberschreitenden Initiative deutlich machen, in der wir auch mitarbeiten, nämlich die Zukunftsinitiative Eifel.  Ich dachte immer das große Problem wären die Kontakte zwischen den belgischen und den nordrhein-westfälischen oder den rheinland-pfälzischen  Gemeinden. Aber wenn Sie da die Probleme sehen, die bei einer Zusammenarbeit in einem an sich einzigen Raum zwischen nordrhein-westfälischen und rheinland-pfälzischen Gebietskörperschaften auftreten können, dann muss man sich mit sehr viel Vielfalt auseinandersetzen.  Es ist auf jeden Fall eine spannende Geschichte.

Als weiterer Nachbar wäre noch das Großherzogtum Luxemburg: Ein hochinteressanter Staat, nicht der Größte der Welt, aber einer, der so Einiges bewegt. Übrigens haben wir eine historische Weltpremiere in wenigen Tagen. Wir haben bewusst den 29. Februar gewählt, einen Tag, der nicht jedes Jahr vorkommt. Am 29. Februar findet die erste gemeinsame Regierungssitzung zwischen der luxemburgischen Regierung, mit Premierminister Juncker, und der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft in St. Vith statt. Ich möchte auch hier dementieren, dass der Anschluss der Deutschsprachigen Gemeinschaft an das Großherzogtum Luxemburg nach dem Zerfall Belgiens auf der Tagesordnung steht. Dennoch wird eh jeder glauben, dass wir darüber reden. Ich kann Sie aber noch einmal versichern, dass wir nicht darüber sprechen werden!

Im Norden haben wir die niederländische Provinz Limburg. Hier spielt der niederländische Kontext auch eine besondere Rolle. Die Niederlande sind ein stark dezentralisierter Einheitsstaat.

Es bleibt zum Schluss die belgische Vielfalt: Die Flamen, die Brüsseler und die Wallonen als Nachbarn.  

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist für uns auch wegen der Kleinheit von existenzieller Bedeutung. Man ist sehr schnell zu Fuß, per Fahrrad oder per Auto über die Grenze, sei es die Sprach- oder Staatsgrenze.  Vor allem ist es sehr spannend zusammenzuarbeiten, was konkret in der Großregion Saar-Lor-Lux oder in der Euregio Maas-Rhein geschieht. Auch da gibt es Parallelen – wenn man das vertiefen möchte – zwischen Tirol, Südtirol – und auch Trentino, wenn ich hier die Lage in der Region von Herrn Prof. Pan als Beispiel zitiere.

Das Autonomiestatut selbst hat drei Aspekte. Das Wichtigste ist die Autonomie an sich. Da wir einen belgischen Föderalismus haben, wo die Gliedstaaten sehr bedeutende Zuständigkeiten haben, hat die Deutschsprachige Gemeinschaft auch diese bedeutenden Zuständigkeiten.  Wir verfügen über viele Rechtsinstrumente, die es uns erlauben, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen, er geht weiter. Er geht nicht nur weiter, sondern er geht auch in die richtige Richtung. Überall da, wo wir nicht autonom sind, möchten wir garantiert vertreten sein. So hat die deutschsprachige Minderheit einen garantierten Sitz im Europaparlament, eigenartigerweise aber noch keinen gesetzlich garantierten Sitz in der belgischen Ersten Kammer. Im belgischen Senat ist das übrigens wohl der Fall.  Das sind Dinge, die wichtig sind. Da, wo der belgische Staat zuständig ist, erwarten wir von ihm, dass er sich so organisiert, dass er möglichst alle dezentralisierten oder dekonzentrierten Verwaltungseinheiten auf das Gebiet deutscher Sprache anwendet, damit dieses Gebiet eine Verwaltungseinheit ist. Das gilt etwa im Gerichtswesen. 1988 war das eine wichtige Sache als man einen eigenen Gerichtsbezirk für diese Region geschaffen hat.

Ansonsten sind die Dinge, die wir machen sehr stark abhängig von dem Föderalismusmodell, in dem wir leben. Das können wir nicht beeinflussen.  Wir müssen nur aufpassen, dass wir, wenn man dieses ändert, nicht irgendwo zwischen die Stühle geraten oder unter den Tisch fallen. Das kann natürlich auch ohne böse Absicht geschehen. Das kann einfach eine Konsequenz von Interessenausgleichen zwischen Flamen und Frankophonen sein, bei dem man an die Deutschsprachigen nicht gedacht hat. Aber nach 40 Jahren Eigenständigkeit, die wir mittlerweile haben, wird es natürlich immer schwieriger in Belgien nicht an uns zu denken. Falls das doch passiert, sind wir erwachsen genug, um uns so zu Wort zu melden, dass man uns hört.

Eine Besonderheit, die ich hier nicht erläutern werde, ist, dass der belgische Föderalismus neben dem sehr dissoziativen Charakter des belgischen Föderalismus eine asymmetrische Zweigliedrigkeit auf der gliedstaatlichen Ebene aufweist. Das ist eine komplexe Geschichte. Die kann man aber eigentlich vergessen. Denn der Trend in Belgien geht dahin, dass wir irgendwann einen belgischen Bundesstaat mit vier Bundesländern haben werden: Flandern, die Wallonie (die beiden größeren), Brüssel und die Deutschsprachige Gemeinschaft (mit einigen Besonderheiten). Alles andere ist sehr spannend, sehr kompliziert und für das große Verständnis und für den Lauf der Geschichte irgendwo nur eine Episode.

Die Zuständigkeiten, die in der Region wahrgenommen werden können, betreffen die gesamte Kultur- und Bildungspolitik, die Bildungspolitik in ihrer Gesamtheit, auch die Berufsbildungspolitik, eine wichtige Sache, die auch in Südtirol hervorragend gemacht wird und womit wir kooperieren. Dann liegt in der Zuständigkeit der Deutschsprachigen Gemeinschaft ein Großteil der Sozialpolitik und eine Reihe weiterer Politikbereiche wie Beschäftigung, Kommunalwesen und demnächst Raumordnung und Wohnungsbau. Wie Herr Prof. Pan eben erwähnte, ist Raumordnung wahrscheinlich das wichtigste Instrument zur Gestaltung einer Region. Wir stehen jetzt kurz vor der Übernahme dieser Zuständigkeit. Haushaltsmäßig haben wir leider keine 5 Milliarden, auch nicht die im Proporz dazu bevölkerungsmäßig notwendige Summe.  Wir sind bei etwa 200 Millionen. Das wird sich jetzt nach der vollzogenen Veränderung um etwa 350 Millionen erhöhen. Das ist die Zahl der Mittel, die wir haben. Wesentlich ist da zu wissen, dass das gesamte Schulwesen mitfinanziert wird. Das sind u.a. über 2000 Lehrpersonen.

Wir sind auch und wahrscheinlich mehr als in Südtirol, wegen der Besonderheit des belgischen Staatsaufbaus an vielen Dingen beteiligt, die innerbelgisch geschehen.  In Belgien gibt es viele Konzertierungsrunden. Diese sind meistens irgendwie darauf aus, dass man den Premierminister mit den Ministerpräsidenten zusammenbringt. Das sind fünf Leute, die zusammensitzen. Wenn da fünf Leute sitzen, ist das natürlich klar, dass der Flämische Ministerpräsident ein bisschen mehr an Impakt hat als ich, aber immerhin sitzen wir beide da. Das ist für mich das Wichtigste. Wir sind dabei. Man kann jetzt kaum noch etwas in Belgien tun, ohne dass wir nicht frühzeitig Wind davon bekommen und ohne dass wir uns nicht einbringen können.  Wir sind natürlich nicht diejenigen, die entscheiden, wo es lang geht.  Wir sind auch nicht die Schiedsrichter in dem ganzen Geschehen.  Wir versuchen uns eher um unsere eigenen Dinge zu kümmern und zu hoffen, dass sich die anderen irgendwann, nachdem sie sich lange gestritten haben, und des Streitens müde sind, auch einigen.

Von entscheidender Bedeutung ist die grenzüberschreitende europäische Zusammenarbeit.  Die Euregio Maas-Rhein und die Großregion Saar-Lor-Lux spielen eine bedeutende Rolle im Alltag. Wir haben nicht zufällig dafür gesorgt, dass der Verwaltungssitz der Euregio Maas-Rhein in das deutschsprachige Gebiet gekommen ist, im selben Gebäude, wo ich selbst sitze.  Der Weg zur Euregio Maas-Rhein beträgt also genau 8 Meter. Europäisch versuchen wir uns zu vernetzen. Ich sage immer, je kleiner man ist, desto mehr ist man auf gute Vernetzung angewiesen. Das ist eine Möglichkeit, die Hürden der Kleinheit zu überwinden. Wenn man entscheiden kann, wo es lang geht, wenn man zuständig ist, muss man nicht unbedingt alles selbst machen. Das gilt sowohl im Verhältnis zu den Kommunen nach innen, als auch zu den Nachbarn nach außen – und auch zu interregionalen Partnerschaften.  Deshalb bemühen wir uns sehr, dieses europäische Netzwerk zu nutzen und zu pflegen. Wir engagieren uns im Rahmen des Möglichen in Gremien wie dem Ausschuss der Regionen oder im Kongress der Regionen und Gemeinden beim Europarat. Ich selbst bin auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen.  Das gehört ebenfalls zur Strategie. 

Von grundsätzlicher Bedeutung ist, dass man wirklich versucht, die Dinge, die man macht, immer so einzufädeln, dass sie einer richtigen Standorts- und Entwicklungsstrategie entsprechen. Darauf legen wir großen Wert. Gerade wenn man klein ist, hat man noch weniger die Gelegenheit, sich ohne schwerwiegende Konsequenzen oft zu irren.  Wir können ein Computerprogramm für unsere Verwaltung nur einmal in den Sand setzen. Würden wir das drei Mal machen, dann wären wir pleite.  Deshalb schauen wir uns zuerst an, was die anderen gemacht haben. Deshalb haben wir ein Computerprogramm aus dem Burgenland übernommen. Das Land ist auch nicht so groß, aber es war für uns interessant zu sehen, welche Erfahrungen sie gemacht haben.  Man muss schon eine sehr klare Strategie haben. Man muss wirklich resolut auf Kooperation, Zusammenarbeit und Öffnung setzen.  Da kommt für die Deutschsprachige Gemeinschaft ein schöner Effekt zu Stande, den wir „Bindegliedfunktion“ nennen.  Die Belgier insgesamt, die Frankophonen insbesondere, kennen sehr wenig vom deutschsprachigen europäischen Raum, der ja doch nicht unbedeutend ist.  Ob es sich jetzt um Deutschland, Österreich, Schweiz oder auch Südtirol handelt, wir haben aus den Kontakten in diesen Regionen den Schwerpunkt unserer Außenbeziehungen gemacht und können so unseren Partnern in Belgien sehr oft dabei behilflich sein, wenn es darum geht, in diese Regionen hinein zu wirken, Kontakte aufzubauen- genauso wie wir für deutsche oder österreichische Partner oftmals eine Hilfestellung bringen können, wenn sie sich mehr mit Belgien beschäftigen möchten.

Was ich hier kurz erläutern durfte, ist ein Teil dessen, was wir neben dem Alltagsgeschäft in einem 70.000 Menschen große Bundesland wie der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens machen. Ab und zu bringen wir  den einen oder anderen Belgier mit einem Deutschen, einem Österreicher oder einem Südtiroler zusammen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.