Kulturpreis Deutsche Sprache
(Dankesansprache anlässlich der Vergabe des “Institutionenpreises Deutsche Sprache”)
31/10/2009
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Werte Festversammlung,
wir haben gerade eine Darstellung der Deutschsprachigen Gemeinschaft, ihrer wirklichen und vielleicht sogar etwas übertriebenen Verdienste – zumindest wenn es um meine Person ging – gehört, die man besser wohl nicht hätte formulieren können. Wenn er jetzt hier wäre, hätte meinem Pressereferenten wahrscheinlich mit jedem Satz eine weitere Schweißperle die Stirn geziert. Denn all das, was Sie, Herr Botschafter, so hervorragend gesagt haben, hatte er natürlich auch für meine Erwiderung aufgeschrieben. So bringen Sie mich in die sehr angenehme (und übrigens mit der vorhin getätigten Aussage zur ‚leichten Sprache’ hervorragend kombinierbare Situation), dass ich eine spontane, freie Rede halten kann. Wie das dann in der vorgegebenen Zeit möglich ist, werden wir nachher sehen. Mir fällt ein Zitat von Kurt Tucholsky ein. „Wenn einer eine Ansprache hält, müssen die anderen schweigen. Das ist deine Gelegenheit, missbrauche sie“. Meine Damen und Herren, ich werde das jetzt nicht allzu wörtlich nehmen. Erlauben Sie mir zuallererst im Namen der gesamten Deutschsprachigen Gemeinschaft, so wie sie heute ist, gestern war und wahrscheinlich auch morgen sein wird, für diese – für uns unerwartete, also umso erfreulichere – Auszeichnung zu danken. Wir sind sehr froh, diesen Preis hier und heute in Empfang nehmen zu dürfen. Er bestätigt ein jahrzehntelanges Wirken in unserem kleinen Landstrich an der Ostgrenze Belgiens. Sie ist auch Ansporn, auf dem eingeschlagenen Weg fortzufahren und weiterhin konsequent unsere Erfahrungen mit denen anderer Minderheiten in Europa und sonst wo in der Welt zu teilen.
Meine Damen und Herren, heute am 31. Oktober, vor genau 492 Jahren, schlug Martin Luther seine 95 Thesen an die Schlosskirche in Wittenberg und legte damit den Grundstein für die Reformationsbewegung. Vielleicht fragen Sie sich jetzt „Was hat das denn mit der heutigen Veranstaltung zu tun?“ Parallelen gibt es auf mindestens zwei Ebenen: Erstens ist es die später von Luther verfasste Bibel, die die Grundlage für eine einheitliche deutsche Schriftsprache gebildet hat; zweitens wäre die Tatsache, dass heute die Deutschsprachige Gemeinschaft des Königreiches Belgiens geehrt wird, ohne Luther wahrscheinlich nicht so zustande gekommen.
Weniger als 40 Jahre nachdem Luther seinen Hammer kreisen ließ, führte die von ihm losgestoßene Bewegung zur Spaltung der 17 niederländischen Provinzen und zum Rücktritt Karls des Fünften, der damals über das heutige Deutschland, Österreich, Spanien und die Benelux-Staaten regierte, also über einen wesentlichen Teil des heutigen deutschen Sprachraums in Europa. Karl der Fünfte war übrigens auch jener deutsche Kaiser, der in Flandern aufwuchs, von dem man sagt, dass er von sich selbst behauptet hat, Spanisch mit Gott, Italienisch mit Frauen, Französisch mit Männern und Deutsch mit seinem Pferd zu sprechen. Mit seinem Rücktritt, den man ihm jetzt vielleicht etwas gönnen kann, wurde das riesige Reich geteilt. Während sein Bruder Ferdinand der Erste fortan über das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen herrschte, wurde sein Sohn Philip der Zweite König Spaniens und auch der südlichen Niederlande. Diese Provinzen wurden dann im weiteren Verlauf der Geschichte österreichisch, französisch und niederländisch, bevor sie 1830 in einem revolutionären Prozess Belgien bildeten. Auch das haben Sie schon gehört; damals gehörte das jetzige deutschsprachige Gebiet Belgiens nicht zum Königreich Belgien, sondern war noch Preußen. Erst der Versailler Vertrag hat dafür gesorgt, dass dieses Stück Deutschlands zu Belgien kam.
Es gibt eine zweite, von den Menschen in der Deutschsprachigen Gemeinschaft so nicht provozierte Entwicklung, die die heutige Stellung der Gemeinschaft ausmacht – nämlich die Umwandlung Belgiens von einem ehemals dezentralisierten Einheitsstaat in einen modernen Bundesstaat, dessen Gliedstaaten sich Regionen und Gemeinschaften nennen. Jetzt weiß ich nicht, was Sie sich unter dem Begriff Gemeinschaft vorstellen. Man kann da an Religionsgemeinschaften denken; man könnte sich auch an seinen Freundeskreis erinnern; oder für die Juristen unter Ihnen – in jeder Versammlung dieser Größenordnung gibt es eine Menge Juristen (ich bin übrigens auch einer) – lässt der Begriff Gemeinschaft wahrscheinlich an das eheliche Güterrecht denken. Nein, das ist nicht gemeint, wenn man von der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens spricht.
Im belgischen Sprachgebrauch, in der deutschen Rechtsterminologie belgischen Rechtes, bedeutet Gemeinschaft im Wesentlichen das, was man anderswo im deutschen Sprachraum ein Bundesland nennt. Das ist gewöhnungsbedürftig, vor allem wenn man eine Abkürzung verwendet – was man laut einem meiner Vorredner nicht machen sollte. Das werde ich mit auf den Weg nach Hause nehmen. Aber wir haben uns in unserer Heimat daran gewöhnt, den langen und schwerfälligen Begriff „Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens“ mit „DG“ zusammenzufassen und denken dabei natürlich nicht an die entsprechende Modemarke, obgleich die sich ja auch gut verkauft.
Wir hatten vor fast schon einem Jahrzehnt die – wie ich damals glaubte – geniale Idee, die Abkürzung DG auf einen Aufkleber zu bringen. Ich war damals sehr stolz auf diese Werbeaktion, ahnte allerdings nicht, welchen innenpolitischen Ärger mir dieses Autoaufkleber-Kennzeichen einbringen würde. Ich bin dafür durch die große internationale Resonanz aber reichlich belohnt worden. Das war mit Abstand die billigste Werbeoperation, die wir je gemacht haben. Mittlerweile ist dieser Aufkleber ein Kultobjekt geworden. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Menschen mich immer wieder fragen: „Gibt es noch einen?“… Ich mache dann immer das, was man auch mit der Berliner Mauer gemacht hat. Ich sage: „Es gibt fast keine mehr, ich habe die letzten fünf. Aber, gerade weil ich Sie so mag, schenke ich Ihnen einen davon.“ Das habe ich in den letzten zwei Jahren mindestens 300- bis 400-mal gemacht, das klappt immer. Ich habe auch heute wieder fünf dabei (Gelächter und Applaus). Ich bin ganz sicher, je länger der Empfang nachher dauert, desto mehr von diesen letzten fünf werden Sie bekommen!
Diese kleine Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens, dieses kleinste der in einem europäischen Bundesstaat bestehenden Bundesländer und diese zumindest dem kleinen Peloton der kleinsten Regionen mit Gesetzgebungshoheit in Europa und der ganzen Welt angehörende Gebiet hat eine bewegte Geschichte hinter sich, die von viel Leid , aber auch von unwahrscheinlich großen Chancen geprägt ist. Da war das Schicksal über ein Jahrhundert betrachtet vielleicht ausnahmsweise einigermaßen gerecht. Der heutige Preis wird weitere Möglichkeiten und vor allem auch neue Motivation verleihen.
Dennoch vergessen wir keinen Augenblick, dass wir lediglich eine kleine Minderheit in einem ebenfalls kleinen Land sind. Belgien ist nicht sehr groß, allerdings reich an kultureller Vielfalt, weil die Menschen dort eben nicht Belgisch, sondern Niederländisch, Französisch oder Deutsch reden. Von diesem kleinen Belgien machen wir Deutschsprachige lediglich 0,7 Prozent der Bevölkerung aus. Deshalb kann ich, lieber Herr Botschafter, den Hinweis auf die „rund 75.000“ nicht gelten lassen. Wir nehmen das sehr genau: Es gibt 74.682 Einwohner in der DG, aber wir hoffen, dass wir die 75.000-Grenze am kommenden 1. Januar 2010 überschritten haben werden.
Wir sind eine Minderheit und wir bleiben eine Minderheit. Was ist eigentlich eine Minderheit? Eine Minderheit ist natürlich etwas, das man an objektiven Kriterien messen kann. Das alleine genügt jedoch noch nicht. Eine Minderheit ist auch etwas, das mit dem subjektiven Selbstverständnis zu tun hat. Eine Minderheit ist etwas, was man auch sein wollen muss, um es sein zu können. Das ist manchmal durchaus problematisch, aber nicht in Belgien. Ich habe einmal scherzhaft einer Journalistin gesagt: „Ich werde Ihnen das Geheimnis Belgiens verraten, wenn Sie mir versprechen, es nicht weiter zu sagen“ – Sie hat daraus natürlich den Aufreißer gemacht und das hatte ich eigentlich auch erwartet. „In Belgien sind irgendwie alle eine Minderheit. Die Deutschsprachigen selbstverständlich; aber auch die Französischsprachigen. Die sind zahlenmäßig eine Minderheit geworden. Manchmal benehmen sie sich aber noch so, als wären sie die alte Mehrheit. Bei den Flamen ist es nicht anders, allerdings umgekehrt. Sie sind mittlerweile mit Abstand die Mehrheit geworden, aber viele ihrer Verhaltensweisen sind nur nachvollziehbar, wenn man weiß, dass sie sich auch heute noch vielfach wie eine Minderheit fühlen.“ Also in Sachen Minderheiten kann man Belgien nicht übertreffen.
Für die Deutschsprachige Gemeinschaft beinhaltet die Tatsache, eine Minderheit in diesem sehr spannenden, manchmal aber auch sehr schwierigen Land zu sein drei Herausforderungen: Erstens, wir müssen unser Autonomiestatut festigen und in dem Rahmen weiter ausbauen, den der belgische Föderalismus und seine Entwicklung hierfür ermöglichen. Zweitens, wir müssen über garantierte Vertretungen diskutieren. Es gehört auch zur belgischen Besonderheit, dass es einen garantierten Abgeordnetensitz für die Deutschsprachige Gemeinschaft im Europaparlament gibt, wogegen dies in der belgischen Kammer noch nicht geregelt ist. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt und das werden wir auch noch schaffen. Die dritte Herausforderung besteht darin, die Stellung der deutschen Sprache in Belgien zu konsolidieren, zu verbessern und vor allem dafür zu sorgen, dass die bestehenden, übrigens sehr guten belgischen Sprachgesetze auch wirklich so angewandt werden, wie es im Gesetz steht. Denn wie Sie alle wissen, ist auch das Papier, auf das man Gesetze geschrieben hat, manchmal äußerst geduldig.
Aber Minderheiten sind auch noch etwas anders. Und das ist eigentlich noch spannender. Als Vorsitzender des Kulturausschusses des Kongresses der Regionen und Gemeinden beim Europarat hatte ich gestern die Gelegenheit, im niederländischen Leeuwarden (dort wo die niederländischen Friesen wohnen) zum Thema Minderheitensprachen zu sprechen. Ich habe dort für einen Paradigmenwechsel in der modernen Minderheitspolitik plädiert. Gemeint ist der Wechsel von der rein defensiven Haltung, sich verteidigen oder schützen zu wollen (und dabei Gefahr zu laufen, irgendein mumifiziertes Museum für Völkerkundler zu werden) hin zu einer offensiven Haltung, die in der Minderheitensituation einen wirklichen Standortsvorteil erkennt. Die Möglichkeit, Positives, für sich selbst und für Andere zu erreichen, ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts für mich die große Herausforderung für Minderheiten. Und genau das versuchen wir als Deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien, indem wir uns mit anderen Minderheiten und anderen Regionen Europas vernetzen. Als Nachbarn der großen Bundesrepublik Deutschland und als Freunde Österreichs können wir Vieles in Kooperation verwirklichen, was wir so alleine gar nicht hinbekämen. Wir sind aber auch zunehmend in der Lage, eine Bindegliedfunktion wahrzunehmen zwischen dem, was in Deutschland, Österreich oder anderen deutschsprachigen Gebieten Europas geschieht, und dem, was etwa die Flamen und Wallonen in Belgien noch mehr mit dem deutschsprachigen Ausland machen könnten.
In Belgien kennen nur wenige Deutschland wirklich und schon gar nicht das Deutschland mit der enormen Vielfalt seiner 16 Bundesländer. Da haben wir eine wichtige Aufgabe wahrzunehmen. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir seit etwa einem Jahr die Möglichkeit haben, dank unserer Vertretung in der belgischen Botschaft in Berlin diese wichtige Aufgabe für uns selbst und für unsere wallonischen Partner auch konkret wahrzunehmen. Die Deutschsprachige Gemeinschaft kann wegen ihrer besonderen Situation, wegen ihrer Geschichte, wegen ihrer Möglichkeit im Grenzland zu wirken, eine wirkliche Vermittlerrolle spielen. Sie kann diese Möglichkeiten der interkulturellen Kommunikation zumindest im Austausch zwischen dem germanischen und romanischen Sprachraum tagtäglich immer wieder anwenden. Das ist etwas sehr Wertvolles, das ist wirklicher Standortsvorteil mit hohem Mehrwert.
Deshalb bleibt interkulturelle Kommunikationskompetenz und die damit verbundenen besonderen Anstrengungen etwas, worauf wir in unserer Politik ganz besonderen Wert legen. Denn interkulturelle Kommunikationskompetenz umsetzen ist leicht gesagt, aber nur schwer durchzuführen. Sie ist auf jeden Fall unendlich mehr als ein Fremdsprachenkurs oder eine Fettnäpfchenlehre für Fortgeschrittene. Es muss da eine ganze Menge zusammenkommen. Das versuchen wir mehr oder weniger mit Erfolg tagtäglich immer wieder aufs Neue. Das können Sie alle erleben, wenn Sie uns einmal besuchen. Sie sind herzlich eingeladen, in die Deutschsprachige Gemeinschaft zu kommen. Dort gibt es nichts Außergewöhnliches, aber vieles, was sich so wunderbar gewöhnlich erleben lässt. Dies vereint uns mit anderen Minderheiten. Auch darauf hat Prof. Bettzuege bereits hingewiesen. Zum 25-jährigen Bestehen unserer Gemeinschaft als Region mit Gesetzgebungshoheit haben wir uns erlaubt, gemeinsam mit unseren Freunden in Südtirol und Ungarn eine Anthologie von Schriftstellern herauszugeben, die in deutscher Sprache schreiben, aber in Ländern leben, wo Deutsch nicht die Hauptsprache ist. Daraus ist das Buch Seitensprünge (im übertragenen Sinne) entstanden. Es ist eine ganz interessante Geschichte, etwas sehr lebendiges, das deutlich macht, was dann anders ist, wenn deutsche Literatur in einem solchen Umfeld entsteht.
All das sind Dinge, die wir mit Freude machen. Wir sind heute vor allem sehr froh, dass dieser Preis diese Arbeit noch etwas mehr in den Mittelpunkt stellt. Er ist ein wirklicher Ansporn! Deshalb möchte ich mich im Namen der gesamten Deutschsprachigen Gemeinschaft nochmals herzlich für diese Auszeichnung bedanken.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!