Reden

Ansprache des Festaktes zum Tag der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Brüssel


Ansprache des Festaktes zum Tag der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Brüssel

15/11/2009

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Anrede,

im Namen des Parlamentes und der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft heiße ich Sie alle recht herzlich hier in unserer Brüsseler Vertretung willkommen.

Wir freuen uns, dass Sie den Weg hierhin gefunden haben und heute unsere Gäste sind.

Dieser Empfang zum Festtag der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens in Brüssel findet heute zum 5. Male statt.

Das ist der richtige Anlass, Ihnen ein Geheimnis zu verraten:

Sie sind zu Gast bei den letzten Belgiern!

Wohlgemerkt die letzten, nicht die einzigen oder die noch verbliebenen!

Wieso?  Das deutsche Sprachgebiet gehört erst seit 90 Jahren, seit dem Versailler Vertrag, zum Königreich Belgien.

Bis 1920 waren die Einwohner der Ostkantone Bürger des Deutschen Reiches.

Sie sind folglich die letzten, die in der bisherigen Geschichte unseres Landes hinzugestoßen sind.

Die deutschsprachigen Belgier haben in diesem Jahr noch ein weiteres Jubiläum gefeiert.

Seit Januar 1984, also seit 25 Jahren, verfügen sie über ein Parlament mit Gesetzgebungshoheit und über eine von diesem Parlament gewählte Regierung.

Seit einem Vierteljahrhundert ist die DG eine Region mit Gesetzgebungshoheit, mit ihren 854km2 und rund 75.000 Einwohnern zwar eine der kleinsten in Europa und sogar in der gesamten Welt, aber eine mit allen Attributen gliedstaatlicher Zuständigkeiten ausgestattete, die ihren Platz im belgischen Bundesstaat gefunden hat, sich dort wohlfühlt und weiter entfalten möchte.

Auch auf der europäischen und internationalen Ebene wird die DG durchaus wahrgenommen.

Sie verfügt über ein weitgespanntes Netz an Kontakten und über die Möglichkeit, sich in multilateralen Institutionen oder Vereinigungen wie dem Ausschuss der Regionen bei der EU, dem Kongress der Regionen und Gemeinden beim Europarat, der Vereinigung der Regionen Europas oder der Arbeitsgemeinschaft europäischer Grenzregionen einzubringen.

Wer so klein wie die DG ist, hat einen ganz besonders großen Bedarf an Zusammenarbeit.

Deshalb sind wir sehr froh, eng und in vielfältiger Weise mit den anderen Gemeinschaften und Regionen Belgiens sowie mit zahlreichen Partnern anderswo in Europa zusammenarbeiten zu können.

Diese Zusammenarbeit möchten wir in den kommenden Jahren noch weiter ausbauen und dabei hoffen wir sehr auf Ihre Unterstützung, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Morgen und übermorgen habe ich die große Ehre, die belgische Delegation anzuführen, die an der vom Europarat organisierten 16. Konferenz der Minister für regionale und lokale Behörden in Utrecht teilnehmen wird, und dort im Namen Belgiens zwei internationale Abkommen zu unterzeichnen.

Auch bei der Wahrnehmung der EU-Präsidentschaft im 2. Halbjahr 2010 wird die DG genau wie die anderen Gliedstaaten Belgiens einen konkreten Beitrag zum Gelingen dieser wichtigen Aufgabe leisten.

Aufgrund der Belgischen Verfassung fällt den Regionen und Gemeinschaften im Rahmen der internationalen Beziehungen eine bedeutende Rolle zu.

Selbstverständlich kann die DG diese nur in einem kleinen und bescheidenen Maße wahrnehmen.

Gänzlich entziehen kann und will sie sich diesen Aufgaben jedoch nicht, denn sonst würde sie nicht nur interessante Opportunitäten ungenutzt lassen, sondern auch ihre institutionelle Stellung im belgischen Bundesstaatsgefüge gefährden.

Doch wie ist es augenblicklich eigentlich um den belgischen Bundesstaat bestellt?

Befindet er sich im Gleichgewicht?

Besteht weiterer Reformbedarf?

Wer das innenpolitische Leben in den letzten zehn Jahren aufmerksam verfolgt und beobachtet hat, kommt unweigerlich zu der Erkenntnis: Der Umbau Belgiens in einen Bundesstaat ist noch nicht vollendet.

Den bisherigen fünf Etappen muss eine weitere folgen und diese wird unweigerlich zu noch mehr Autonomie, Verantwortung und Zuständigkeiten für die Gemeinschaften und Regionen sowie zumindest mittelfristig zu einer Vereinfachung des föderalen Staatsaufbaus führen.

Auf die inhaltliche Gestaltung dieser Entwicklung hat die DG kaum und – wenn überhaupt – dann nur einen marginalen Einfluss.

Von dem Ergebnis ist sie jedoch in höchstem, ja in existentiellem Maße betroffen.

Deshalb verfolgt die DG das Geschehen in Sachen Staatsreform sehr genau und mit größter Aufmerksamkeit.

Dass es dabei oft zu Konflikten zwischen niederländischsprachigen und französischsprachigen Belgiern kommt, ist kein Geheimnis, sondern eine Tatsache.

Ebenso ist es eine Tatsache, dass sich die Deutschsprachigen inhaltlich nicht in diese Konflikte einmischen wollen und darauf hoffen, dass es bei aller Gegensätzlichkeit der Standpunkte letztlich immer wieder zu einem Kompromiss kommt, mit dem alle leben können.

Dies ist nicht immer einfach, erfordert viel Geduld und scheint manchmal kaum möglich.

Dennoch gibt es dazu aus Sicht der Deutschsprachigen keine wirkliche Alternative.

Dies – und nur dies – ist auch der Grund, warum das Parlament der DG vor kurzem dafür gesorgt hat, dass eine zusätzliche Frist für eine Verhandlung in Sachen BHV entstanden ist.

Dies wird auch die Haltung der Regierung der DG bei den Verhandlungen prägen, die demnächst in Anwendung von Artikel 139 der Verfassung mit der Regierung der Wallonischen Region im Hinblick auf die Übertragung der Zuständigkeiten für Raumordnung, Wohnungsbau und Provinzangelegenheiten zu führen sind.

Der belgische Kompromiss war bisher ein Erfolgsrezept.

Die kommenden Wochen, Monate und Jahre werden zeigen, ob dies auch in Zukunft der Fall sein wird.

Die DG wünscht sich dies von ganzem Herzen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!