Reden

Die Zukunft der Zusammenarbeit in den Grenzregionen Europas und die Rolle der Euroregionen aus der Sicht der AGEG ab 2013


Die Zukunft der Zusammenarbeit in den Grenzregionen Europas und die Rolle der Euroregionen aus der Sicht der AGEG ab 2013

Bad Muskau, 11/11/2010

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Meine sehr geehrten Damen und Herren,
vielleicht darf ich Sie auch unter einem Sammelbegriff benennen: „Liebe Euregianer“,

ich habe keineswegs lange warten müssen, bin ja eh hier, ich habe vor allem sehr gut zuhören können. Das hat mir meinen Vortrag übrigens ganz erheblich erleichtert. Die Themen, die meine Vorredner angesprochen haben, umfassen genau die Bereiche, auf die ich heute eingehen sollte. Einiges wurde bereits gesagt, vor allem im Hinblick auf eine Stellungnahme auf den Punkt gebracht, erlaubt mir folglich, dementsprechend kürzer zu sein.

Knapp zwei Stunden nachdem in den Hochburgen des Karnevals, der Fastnacht und des Faschings, an vielen Stellen in Deutschland, die Jecken toben, große Stimmung in Sälen und Straßen herrscht, versammeln Sie sich hier in einem wunderbaren, aber keineswegs nur zum Lachen anregenden Raum, um über die Zukunft der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auszutauschen.  Ich freue mich sehr, dieser Premiere, dieser ersten gemeinsamen Konferenz, beiwohnen zu dürfen.  Ich glaube in der Tat, dass es sehr wichtig ist, dass man in dieser Angelegenheit eine gemeinsame Linie fährt: Gemeinsame Linie an der deutsch-polnischen Grenze, gemeinsame Linie an allen anderen europäischen Binnengrenzen, vor allem gemeinsame Linie, da, wo wir uns treffen und mit einer Stimme Europa gegenüber reden können (in der Arbeitsgemeinschaft der Europäischen Grenzregionen e.V.).

 

Der „11. November“ ist aber nicht nur der Tag des Karnevals oder für diejenigen, die es etwas beschaulicher mögen, der Martinszüge, nein, der 11. November ist auch der Tag, an dem der Erste Weltkrieg beendet wurde, 1918. Der 11. November ist ein Tag, der in der gesamten Geschichte Europas ganz eigenartigerweise immer wieder mit kriegerischen Auseinandersetzungen in Verbindung gebracht werden  kann. 

Am 11. November 1500 einigten sich im Vertrag von Granada Frankreichs König Ludwig XII. und Spaniens König Ferdinand der Katholische auf die Eroberung und Aufteilung des Königreichs Neapel – was übrigens nicht so katholisch war. 

1871 erlässt Kaiser Wilhelm der I. das Gesetz, das zur Bildung des Reichskriegsschatzes führt, aus den französischen Kontributionen, die der Friede von Frankfurt, dem Verlierer des Deutsch-Französischen Krieges abverlangt hatte.

1914 fallen in der Schlacht von Langemarck, an einem einzigen Tag, 80.000 deutsche Soldaten.

1940 wird am 11. November einerseits von der Royal Air Force mit einem Schlag die Hälfte der italienischen „Regia Marina“ im Hafen von Tarent zerstört und wird ebenfalls vom deutschen Hilfskreuzer Atlantis das britische Frachtschiff „S.S. Automedon“ erbeutet und versenkt.  So könnte man fortfahren… der 11. November hat ganz offensichtlich immer viel mit kriegerischen Auseinandersetzungen zu tun.

Deshalb ist es vielleicht besonders interessant darauf hinzuweisen, dass in diesem Jahr der 11. November natürlich der Tag dieser ersten gemeinsamen Konferenz ist – aber dürfte vielleicht für die Entwicklung noch nicht ganz reichen – dass der 11. November auch der Tag Nr. 1 nach der Vorlage dieses eben schon angesprochenen 5. Kohäsionsberichtes der Europäischen Kommission ist, von dem wir so vieles erwarten, auf den viele mit Spannung gewartet haben und der jetzt die Grundlage für eine sehr intensive Debatte über die zukünftige Entwicklung der europäischen Kohäsionspolitik legt.

Ich werde in meinen Ausführungen auf diese Frage am Ende etwas näher eingehen und das auch aus der Sicht der belgischen EU-Präsidentschaft, die ja in wenigen Tagen, am 22. und 23. November in der schönen belgischen Stadt Lüttich, knapp 40 Kilometer von meiner Heimatstadt Eupen, einen informellen  Ministerrat organisiert, der gerade diesem Thema, der Zukunft der Regionalpolitik und der Ausrichtung der Strukturfonds in der nächsten Planungsperiode gewidmet ist.  Wir werden dort intensiv mit den Kollegen aus den anderen europäischen Mitgliedsstaaten, aber vor allem auch mit der Europäischen Kommission und mit Kommissar Hahn darüber diskutieren können, wie wir uns nun die Zukunft der Strukturfonds vorstellen.  Doch das am Schluss meiner Ausführungen…

Ich möchte Ihnen in Erwartung dieser Bemerkungen, die übrigens die uninteressantesten vom Unterhaltungsgrad meiner Rede sein dürften, etwas über die Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und der Euregionen, der Euregios oder wie man sie immer nennen mag, schließlich gibt es ja eine richtige semantische „Purzelbaumveranstaltung“:  Man spricht von Euregios, von Euroregionen und Eurodistrikten. Wenn es gar nicht mehr geht, kommt der Wunderbegriff: grenzüberschreitende polyzentrische Metropolregionen.  Es ist wirklich unendlich vieles an Wortschöpfungen zu zitieren, was immer besonders gerne in den  Mund genommen wird, wenn man nicht mehr genau weiß, wie es konkret weitergehen soll.  Über die Bedeutung dieser grenzüberschreitenden Zusammenarbeit möchte ich Ihnen etwas sagen und natürlich auch über eine Frage, die vielleicht besonders interessant ist.

Was können die Grenzregionen an den alten EU-Binnengrenzen – das ist der „Beritt“, aus dem ich stamme – von den Grenzregionen an den neuen EU-Binnengrenzen – das ist Ihre Heimat – voneinander lernen?  Wie können sie zusammenarbeiten?  Wo liegen die interessanten Schnittmengen?  Lassen Sie mich zuallererst – sozusagen als Aufwärmphase – einiges zu dem sagen, was mich mit Ihrer Region hier, an der deutsch-polnischen Grenze, persönlich verbindet und was auch motiviert, dass ich trotz der Tatsache, dass heute ein Feiertag in Belgien ist und meine Frau eigentlich erwartet hatte, dass ich zuhause bleibe, sehr gerne hier hin gekommen bin.  Damit Sie mich nicht missverstehen, das war nicht, um von meiner Frau wegzukommen.  Nein, ganz im Gegenteil! Ich werde ihr die schönen Blumen mitnehmen, wenn sie die Fahrt bis morgen noch überleben. Ich bin vor allem deshalb gerne hier hin gekommen, weil ich mich hierzulande schon einigermaßen zuhause fühle.  Dafür gibt es im Laufe meiner knapp zwanzigjährigen Ministertätigkeit eine ganze Reihe von Gründen.

Meine ersten Kontakte hatten eher mit der Thematik der Minderheiten zu tun.  Ich hatte die Gelegenheit, vor vielen Jahren, einer Tagung beizuwohnen, wo es um die Zukunft der Sorben in der Ober- und Niederlausitz ging.  Ich habe mit Interesse festgestellt, dass auch hier die Straßennamen in sorbisch zu lesen sind.

Am meisten verbindet mich jedoch sicherlich hier in der gesamten Region etwas mit dem Heimatdorf von Frau Dr. Weser. Ratzdorf, eine „Weltstadt“, wie Sie alle wissen, die aber sehr bekannt ist, weil dort dieses Häuschen steht, was man immer dann in der Tagesschau und Fernsehnachrichten sehen kann, wenn die Oder über ihre Grenzen geht (über ihre Ufer steigt).  Dort, in diesem kleinen Ort, konnte ich vor knapp zwanzig Jahren, gemeinsam mit Frau Dr. Weser, jenseits aller Verwaltungsvorschriften des Landes Brandenburg einen „Eifel-Ardennen-Platz“ einweihen und dort eine Eiche pflanzen.  Den Eifel-Ardennen-Platz gibt es immer noch…  die Eiche ist auch prächtig gewachsen.  Ich besuche sie bei jeder Gelegenheit, wenn ich es kann. Wir haben damals gemeinsam versucht, Anfang der 90er Jahre, eine Brücke zwischen dem Osten Belgiens und dem Osten Deutschlands aufzubauen. 

Wir werden uns jetzt – das ist übrigens ganz außerordentlich – in den nächsten drei Tagen dreimal wiedertreffen.  Für mich war Ihre Anwesenheit heute hier eine kleine Überraschung.  Sie standen nicht auf meiner Mitgliederliste.  Morgen Abend wird Frau Weser dabei sein, wenn ich in meiner Heimat zum Tag der Deutschsprachigen Gemeinschaft die Festrede halten darf und dann verraten muss, wie es denn mit dem belgischen Bundesstaat weitergeht.  Ob die Wallonen und Flamen sich noch „mögen“ oder ob sie definitiv sich scheiden lassen wollen. 

Am Sonntagmorgen – das ist besonders interessant – werden wir gemeinsam in Eupen, im Ministerium der DG, eine sehr interessante Ausstellung eröffnen, die den Namen „Schichtwechsel“ trägt.  Eine Ausstellung mit Kunstwerken aus der Sammlung der Burg Beeskow mit Kunst aus der ehemaligen DDR (eine ganz interessante Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, die stattfinden kann).  Wenn wir diese drei Tage hinter uns haben, sind wir auch alle froh, dass wir wieder alle nach Hause fahren können. 

Wir werden uns aber nicht später als im Mai nächsten Jahres wiedertreffen, in Frankfurt an der Oder, anlässlich des Kleistjubiläums, um dort ein Kleiststück von einer Theatergruppe aus meiner Heimat zu besuchen, übrigens auch, um mit der Euregio Viadrina über Themen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu sprechen. 

Ich könnte aus der Viadrina noch meine Erfahrungen mit dem „Schwarzen Abt“ in Neuzelle zum Besten geben, dieses etwas sonderbare Bier, das durch ein ganz hervorragendes Marketing sehr bekannt geworden ist.  Das ist eine der wenigen Wetten in meinem Leben, die ich in Sachen Bier verloren habe.  Es gibt in Brüssel eine Kneipe, die den sehr vielsagenden Namen „Delirium Tremens“ trägt, das Hausbier heißt übrigens auch so. In dieser Kneipe – deren Besuch ich Ihnen wirklich empfehlen kann – gibt es 1200 Biere auf der Karte und 18 am Fass… ja sie haben richtig gehört! Da ich mich des Öfteren in Brüssel aufhalte (2 bis drei Mal pro Woche, 20 Jahre lang, davor habe ich auch schon da gearbeitet) kenne ich den Besitzer ein klein wenig und wollte einmal mit ihm eine Wette abschließen, dass ich zumindest ein Bier kennen würde, das er nicht hätte.  Dann habe ich mir gedacht, jetzt nimmst du wirklich vom „letzten“ Flecken der Welt eins.  „Der Schwarze Abt“ aus der Klosterbrauerei in Neuzelle… es hatte genau zehn Minuten gedauert, da hatte ich eins vor mir stehen! Seitdem mache ich nie mehr Wetten über unbekannte Biere!

Ich könnte aber auch etwas aus Greifswald erzählen. Auch dort habe ich mich schon sehr oft aufgehalten.  Eines meiner Schlüsselerlebnisse in grenzüberschreitender Zusammenarbeit verdanke ich dem damaligen Bürgermeister Herrn von der Wense.  Wir veranstalteten ein Treffen; wir hatten gerade eine Suchtvorbeugungsstelle eingeweiht, die einem Europaprojekt heraus entstanden war und es ging um die Festreden.  In dieser Festrede kam ein Satz vor, den ich heute Morgen auch hier gehört habe: „Wir (das war damals Greifswald) sind jetzt, durch die ganzen Veränderungen, durch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, im Mittelpunkt Europas!“.  Oh, habe ich mir gedacht, da stimmt doch etwas nicht.  Das habe ich doch auch schon von mir selbst, 700 Kilometer westlich, so oft schon behauptet.  Wer ist denn jetzt im Mittelpunkt Europas?  Herr Joachim von der Wense oder Karl-Heinz Lambertz?  Dann haben wir – übrigens auch nach einigen Glas Bier – festgestellt, wir haben alle recht!  Wenn man sich irgendwo hinstellt, um sich herum schaut, steht man immer im Mittelpunkt, man darf nur nie die falschen Schlussfolgerungen daraus ziehen.

In unmittelbarer Nähe, mit Blick auf die Nei, darf ich auch schon zum zweiten Mal reden.  Ich habe am 15. März 2008 die Gelegenheit, in dem sehr schönen Kloster St. Marienthal in Ostritz an einer Tagung des Exil-P.E.N.-Zentrum teilzunehmen und eine Rede zu halten, die dem Thema gewidmet war: „Die Neiße als Schicksalsfluss für Deutsche, Polen, Griechen und Tschechen“, eine sehr bewegende Veranstaltung, ich habe dort Dinge erlebt, die mich sehr beeindruckt und auch nachhaltig in meiner Erinnerung geblieben sind. 

Wie gesagt… ein ganz klein wenig kenne ich diese Grenzregion, die verschiedenen Partner von der Pomerania, über die Viadrina, bis hin zu Spree-Neiße-Bober und zur Neiße selbst. Das, was ich dort erlebt habe, hat mich in der Überzeugung gestärkt, dass die Grenzregionen in Europa wirklich sehr spannende Regionen sind.  Diese Überzeugung hatte ich aus einiger Erfahrung.  Ich komme aus einer sehr kleinen Region, aus dem deutschsprachigen Teilstaat in Belgien, das sind knapp 5% der belgischen Oberfläche und 0,7% der belgischen Bevölkerung.  Wir sind also bedeutend kleiner als die Flamen und die Wallonen, aber die alle zusammen sind wiederum bedeutend kleiner als etwa das Bundesland Nordrhein-Westfalen.  Wir alle zusammen sind wiederum bedeutend kleiner als etwa China.  Stellen Sie sich vor: Wenn der Premierminister von Luxemburg, mein befreundeter Nachbar, nach Peking fliegt, dort den chinesischen Präsidenten oder Premierminister trifft, ist das Verhältnis in Sachen Bevölkerung 0,0003%.  In diesem Vergleich sind die 75.000 Seelen, die ich in meinem „Beritt“ vertreten kann, etwa im Verhältnis zu der größten belgischen gliedstaatlichen Einheit, Flandern, immer noch sehr viel früher hinter dem Komma.

Wie gesagt… in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ist Größe nicht das, worauf es ankommt.  Worauf es allerdings wohl ankommt, das ist das Geschehen… die Geschichte, das, was das Schicksal von Grenzregionen ausmacht.  Die Bedeutung der Grenzregionen ergibt sich vor allem daraus, dass sie dies- und jenseits von Grenzen liegen. 

Grenzen, das ist etwas, womit sich jeder Mensch ganz individuell, auch jede Gebietskörperschaft, sehr intensiv auseinandersetzen muss.  Ja, das Entdecken, das Erkennen, auch das Überwinden von Grenzen ist etwas, was uns alle in unserem ganz persönlichen Leben immer wieder begleitet. Es ist auch etwas, was für Gebietskörperschaften von großer Bedeutung ist. 

Grenzen haben in vielfältiger Weiser etwas Identitätsbestimmendes für die Menschen ebenso wie für die Regionen.  Die Bedeutung dieser Grenzen wird vor allem dann klar, wenn man sich vorstellt, dass Dinge zusammenwachsen sollen.  Wenn Sie sich die Karte Europas anschauen und dort eintragen, wo überall grenzüberschreitende Zusammenarbeit betrieben wird, dann werden Sie so etwas sehen, wie das, was ich hier in der Hand halte, was Sie aber natürlich im Detail nicht erkennen können.  Was Sie allerdings wohl erkennen können, ist, dass insgesamt diese etwa 200 grenzüberschreitenden Verflechtungsräume, die es organisiert im Europa des Europarates mit seinen 47 Mitgliedsstaaten geben, dass diese Grenzräume eine ganz große Bedeutung haben. 

Sie können wirklich mit Nahtstellen verglichen werden.  Wenn Europa zusammenhalten soll, wenn es eine Kohäsion in Europa geben soll, hängt die Qualität dieses Zusammenhaltes ganz entscheidend von der Qualität der Nahtstellen ab.  Das können Sie in vielfältiger Weise vergleichen mit einem Patchwork, wo Sie etwas zusammenbinden, oder aber, mit Metallstücken, die Sie zusammenschweißen.   Das macht die Grenzen so wesentlich.  Das macht das Geschehen an den Grenzen auch so bedeutungsvoll. 

Es gibt allerdings – das ist sehr wichtig – eine fast ebenso große Vielfalt an grenzüberschreitenden Verflechtungen, wie es solche Grenzräume gibt.  Da sind Kooperationen schon alt und bewährt und fast schon tägliche Routine. Da gibt es auch die Räume, wo man mit großen Schwierigkeiten versucht, aufeinander zuzugehen.  Da gibt es Kooperationen, die sehr breite Bereiche des politischen Lebens abdecken und andere, die sehr punktuell sind.  All das ist in jeglicher Vielfalt vorhanden.  Wenn man sich damit etwas systematischer beschäftigen will, braucht man eine gewisse analytische Systematik. 

Damit habe ich mich im Rahmen des Kongresses der Regionen und Gemeinden beim Europarat als dessen Ständiger Berichterstatter für grenzüberschreitende Zusammenarbeit, (Stellen Sie sich diesen Titel auf einer Tagung in Kyrillisch irgendwo am Schwarzen Meer vor, das ist eine wunderbare Erinnerung). In dieser Funktion habe ich mich damit sehr intensiv beschäftigen können, im Jahre 2009 auch einen Bericht vorlegen dürfen, in dem wir uns mit der Frage beschäftigt haben: Wie kann man sinnvolle Analyseelemente aus dem Beobachten dieser sehr großen und vielfältigen grenzüberschreitenden Landschaft in Europa gewinnen?

Wir sind auf vier Unterscheidungsmerkmale getroffen.  Man kann auch noch viel mehr hinzufügen, aber vier scheinen mir besonders interessant, weil sie alle Folgen für das Geschehen umfassen.  Fangen wir mit den ganz einfachen Dingen an: Die Größe.  Es gibt große, mittlere und kleine Kooperationsräume.  Das Leben ist dort natürlich sehr unterschiedlich.

Dann stelle ich die Frage: Wie komplex ist das Geschehen dort?  Werden mehrere Sprachen gesprochen? Existiert ein großes Wirtschaftsgefälle?  Sind die Verwaltungsstrukturen vom einen zum anderen Land sehr unterschiedlich?  All das prägt natürlich in wesentlicher Art und Weise die Möglichkeit des Zusammenarbeitens und bestimmt auch die „Dicke der Bretter, die zu bohren sind“.

Auch die Grenze selbst sollte man sich etwas näher anschauen, sowohl geographisch als auch juristisch.  Es ist schon etwas anders, wenn die Grenze nur ein Strich auf der Landkarte ist oder ob sie aus einem Binnenmeer, einer Gebirgskette oder sonst einem schwierig zu überwindenden Hindernis besteht.  Juristisch kann die banalste Grenze äußerst kompliziert sein, etwa dann – auch das verbindet Ihre Heimat mit der meinen in hervorragender Weise – wenn sie im Laufe der Geschichte verändert worden ist.

Ich erzähle immer wieder gerne zu diesen Anlässen die Geschichte meines Opas: Mein Opa war ein ganz  tüchtiger, mit einem langen Bart versehener, Bauer aus einem kleinen Dort in der belgischen Eifel.  Er hat vier Mal in seinem Leben die Staatszugehörigkeit ändern müssen.  Er ist als Deutscher geboren, durch den Versailler Vertrag 1920 Belgier geworden, durch die Annektierung des Gebietes durch Hitlerdeutschland 1940 wieder Deutscher und am Ende des Zweiten Weltkrieges dann wieder erneut Belgier.  Das ist keineswegs banal! Auch wenn die Grenze, um die es geht, mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen ist.  Wenn man sich in einen Hubschrauber setzt und drüber fliegt, kann man wirklich nicht sehen, wo Deutschland aufhört und wo Belgien anfängt. 

Das ist bei der Oder-Neiße nicht sehr viel anders, wobei noch viele andere erschwerende Momente hinzukommen, von den ich eines auch einmal in besonders beeindruckender Weise im selben Kloster St. Marienthal erlebt habe, als ich dort einen Kontakt hatte, am Rande einer anderen Veranstaltung, wo es darum ging, das deutsch-polnisch-tschechische Jugendorchester für einen Auftritt in meiner Heimat, im Vorfeld eines Auftrittes, anlässlich der tschechischen Präsidentschaft der EU in Brüssel zu verpflichten.  Ich habe innerhalb eines Gespräches von zwei Stunden Dinge erlebt, von denen ich so gar nicht mehr dachte, dass sie möglich sind, in der Spannung, die zwischen Menschen aus diesen drei Ländern sein können.  Dann ist mir vor allem auch sehr deutlich geworden, dass ein Grund davon darin besteht, dass viele der Menschen aus Polen, die an der Grenze wohnen eigentlich vom Osten Polens dorthin umgesiedelt worden sind, was die ganze Sache noch in erheblicher Weise dramatisiert.  Auch dort hat mir, als die jungen Menschen da waren, mit ihren Begleitern, mein durchaus nicht unbeachtliches Wissen in Sachen Bier sehr geholfen.  Ich habe natürlich keinen „Schwarzen Abt“ servieren lassen, am Ende, sondern richtig belgisches Starkbier! Ich kann Ihnen sagen, das war für all diejenigen, die Starkbier zum ersten Mal getrunken haben, ein Erlebnis, von dem ich weiß, dass man sich immer dran erinnert, wenn man einmal damit zu tun hatte – nicht wahr Frau Dr. Weser, Sie haben das auch erlebt…

Das sind Dinge, die wichtig sind.  Wenn man das übersieht, wird man nie zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit kommen.  Neben diesen drei Kategorien von Kriterien, die ich jetzt gerade erwähnt habe, gibt es natürlich eine, die für unsere Arbeit hier von großer Bedeutung ist, das ist nämlich die Frage: Wo positioniert sich die jeweilige Grenzregion im Verhältnis zum europäischen Integrationsprozess? 

Da gibt es die Grenzregionen an den alten EU-Binnengrenzen, die Grenzregionen an den neuen EU-Binnengrenzen, die Grenzen an den EU-Außengrenzen, es gibt auch noch, wenn man sich in den Rahmen des Europarates begibt, Grenzregionen, die keinen Kontakt zur EU haben, wie etwa die sehr spannende Grenzregion Niport zwischen Weißrussland, Russland und der Ukraine, in der Gegend der ukrainischen Stadt Chernihiv. 

Das sind alles Faktoren, die man berücksichtigen muss.  Wenn man etwas Sinnvolles über grenzüberschreitende Zusammenarbeit sagen will, wenn man mehr als nur eine Sonntagsrede halten möchte, oder gar, wirklich operative Schlussfolgerungen für Zusammenarbeit ableiten will, dann muss man sich mit diesen – nicht immer ganz einfachen Dingen – intensiv beschäftigen.  Eines haben alle gemeinsam: Das ist natürlich das, was beim Wegfall einer Grenze an Paradigmenwechsel entsteht.  Wenn eine Grenze wegfällt, werden die Menschen, die dort leben und die bislang Rücken an Rücken gestanden haben, sich umdrehen können und sich von Angesicht zu Angesicht sehen.  Das verändert Vieles. Das löst noch überhaupt nichts, aber es verändert Vieles.  Es ist ein wirklicher Paradigmenwechsel.  Wenn man in einem solchen Kontext erfolgreich zusammenarbeiten will, dann muss man nach meinem Verständnis, nach meiner Erfahrung, drei Dinge berücksichtigen.  Man muss zusammenarbeiten „dürfen“, man muss zusammenarbeiten „wollen“ und… last but not least, man muss zusammenarbeiten „können“.

Dürfen – Wenn die Staaten das nicht erlauben, dann kann das sehr schwierig sein. Wenn die Staaten es zwar formell erlauben, aber doch alles tun, damit es nicht möglich wird, dann wird es sogar ein bisschen „pervers“.  Ohne diese Möglichkeit kann keine Kooperation zustande kommen.  Man kann einiges tun, aber man kann nicht wirklich kooperieren.  In den schwierigen Situationen, die es auch heute noch an vielen Stellen gibt, ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit vielleicht sehr oft auch das kleine Hintertürchen, durch das Dinge möglich werden, die auf der größeren politischen Ebene eigentlich gar nicht möglich sein können.

Man muss aber auch zusammenarbeiten wollen.  Man muss dabei nicht vergessen, dass das Wollen etwas ist, was auch mehr ist, als einige Reden halten.  Wenn ich wirklich zusammenarbeiten will, muss ich natürlich auch bereit sein, diese Zusammenarbeit auf all das auszudehnen, was sinnvoll gemeinsam gemacht werden kann. Dann kommt immer sehr schnell die Probe auf das Exempel.  Mache ich gemeinsame Ansiedlungsstrategie und Anwerbung im Ausland?  Mache ich eine gemeinsame touristische Buchungszentrale grenzüberschreitend?  In all diesen Situationen wird irgendwann das Ergebnis der Arbeit auf der einen oder anderen Seite der Grenze landen.  Das kann im unmittelbaren Moment durchaus frustrierend sein, dass es eben beim Nachbarn und nicht bei einem selbst angekommen ist.  Die Erkenntnis, dass man natürlich auf längere Zeit eh für alle mehr bewirkt, als wenn jeder alleine weitergemacht hätte, die stimmt, aber die hat einen großen Nachteil.  Die trägt nicht so ohne weiteres mit dem Rechnung, was für die Politik einigermaßen an Bedeutung ist, nämlich Legislaturperioden.  Ich kenne ganze Friedhöfe von Politikern, die aus etwas naiver grenzüberschreitender Überzeugung Konzepte umgesetzt haben, für die sie von ihren Wählerinnen und Wählern bestraft worden sind.  Wenn die Menschen nicht ebenfalls mitmachen und mit so sehen, dann kann es manchmal sehr eng werden, dann kann die politische Luft äußerst dünn werden.  

Wenn man „darf“ und „will“, dann muss man auch noch „können“.  Das ist natürlich immer ein bisschen problematisch.  Jemand der darf und will, sagen zu müssen, du willst zwar, aber du kannst nicht.  Das ist sehr peinlich.  Man muss es ganz offen auf den Tisch legen.  Der Wille alleine genügt nicht!  Grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist eine Tätigkeit, die ein hohes Maß an interkultureller Kommunikationskompetenz voraussetzt.  Das fängt bei der Sprache des Nachbarn an, aber hört noch lange nicht da auf.  Das setzt auch voraus, dass ich die Situation, den Kontext, die Mentalität, die Rahmenbedingungen des Nachbarn mindestens fast genau so gut kenne, wie er selbst, am besten noch ein bisschen besser, mit einem Blick von außen, um zu verstehen: Warum handelt er?  Wo sind die Interessen? Wo sind die Handlungsspielräume? Wie ist das, was gesagt wird, wirklich gemeint?

Interkulturelle Kommunikationskompetenz kann man lernen… aber es ist bedeutend mehr als ein Fremdsprachenkurs oder eine“ Fettnäpfchenlehre für Fortgeschrittene“.  Das ist es natürlich auch, aber es muss noch eine ganze Menge hinzukommen.  Wenn man sich diese Mühe antut, hat man auch die Gelegenheit, Tätigkeiten durchzuführen, von einem sehr hohen Mehrwert, mit einer bedeutenden Wertschöpfung. Das ist keine Sache, die von alleine kommt, daran muss man arbeiten; aber man kann auch, wenn man die Ausdauer und ein Quäntchen Glück hat, durchaus viele Früchte mit nach Hause nehmen.  So weit zur Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit schlecht hin…

Was können wir nun an den alten und neuen Binnengrenzen voneinander lernen?  Eine ganze Menge, unwahrscheinlich viel, übrigens nicht nur in eine Richtung.  Es gibt schon einmal an den alten Binnengrenzen – so ähnlich wie früher bei Wessis und Ossis – Menschen, die meinen, auf der einen Seite hätte man die Weisheit gepachtet und auf der anderen Seite gäbe es nur ein paar Idioten, denen man das Laufen beibringen muss.  Nein! Meine Erfahrung ist eine völlig andere.  Ich habe bei allen Kontakten, die ich insbesondere an den neuen EU-Binnengrenzen zu Osteuropa, in Deutschland, Österreich, Italien und vielen anderen Ecken gemacht habe, Dinge feststellen gekonnt, wo ich aus meiner Erfahrung sagte: Mein Gott, wie schnell haben die das geschafft?  Wie elendig lange hantieren wir schon zuhause an denselben Problemen herum und bekommen sie nicht auf die Reihe. Man muss voneinander lernen. Man muss vor allem natürlich sich in Acht nehmen vor irgendwelchen vereinfachenden Transferperspektiven oder voreiligen, zwar gut gemeinten, aber nutzlosen guten Ratschlägen.  Auch hier ist wie bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit insgesamt, alles immer ein Einzelfall. 

Interessant – und durchaus in gewisser Weise von epochaler Bedeutung – ist allerdings die Tatsache, dass das Geschehen, die Entwicklung, an den alten EU-Binnengrenzen, an den neuen Binnengrenzen, etwas mit fundamentalen Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu tun haben.  An den alten Binnengrenzen ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit vor allem aus der Überzeugung „nie wieder Krieg“ heraus gewachsen, nach Ende des Zweiten Weltkrieges.  Eine wichtige Erfahrung, ein großer Impuls, um zusammenzuarbeiten und aufeinander zuzugehen.  Richtig angefangen hat die grenzüberschreitende Zusammenarbeit an den neuen EU-Binnengrenzen vor allem nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und der stattgefundenen Osterweiterung.  Das ist mit 50 Jahren versetzt auch eine epochale Entwicklung in Europa.  Es sind wahrscheinlich die zwei wichtigsten Dinge in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.  Aus diesen wichtigen Dingen lässt sich nach meinem Dafürhalten – auch wenn das momentan nicht ganz einfach ist – die Basis für einen neuen Schwung für Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts ableiten. 

Wenn die Grenzbäume verschwinden, verschwinden nicht nur materielle Hindernisse für Mobilität, nein, dann geschieht neben dem Paradigmenwechsel, von dem ich eben schon gesprochen habe, noch etwas, nämlich eine Radiuserweiterung um 180°.  Die Handlungsmöglichkeiten dehnen sich aus und zwar um eine ganze Menge!  Da liegt natürlich das eigentliche Potential.  So kann man auch erleben und beobachten, dass grenzüberschreitende Zusammenarbeit eigentlich drei Generationen von Problemen und Situationen kennt. Wenn man die Entwicklung zwischen den alten Binnengrenzen (also vor 50 Jahren) und den neuen Binnengrenzen (seit Wegfall der Mauer und des Eisernen Vorhangs) vergleicht, dann gewinnt man ganz interessante Erkenntnismöglichkeiten. 

Die erste Etappe, die erste Herausforderung, ist natürlich überall Grenzen wegräumen, Grenzbäume zerschneiden, Brücken im wörtlichen und übertragenen Sinne aufbauen und einfach für mehr Mobilität sorgen.  Das ist ein wirkliches Aha-Erlebnis. 

Ich habe selbst etwa in dieser Euregio, die übrigens meiner Meinung nach, die idealtypische Bezeichnung ist und ich hoffe, dass ich da keinen beleidige; ich wende das aber auch auf meine eigenen Euregios an. Das ist die (vor allem wegen des ersten Wortes) Euregio auf der Achse Wien-Bratislava: „Weinviertel-Südmähren-Westslowakei“.  Wie kann man noch schöner heißen… vor allem wenn man Poysdorf kennt, diese Stadt, die auch zum Weltkulturerbe gehört, genau wie der Park hier, oder wie der Spreewald, wegen den Kellergassen. Wo es einen so rührigen Bürgermeister gibt, den ich immer wieder gerne besuche, weil er eine Regel in seiner Gemeinde durchgesetzt hat: Da muss jeden Abend einer der Weinkeller so lange offen halten, bis der letzte Gast freiwillig gegangen ist.  übrigens, der Bürgermeister kontrolliert das sehr regelmäßig…

In dieser Euregio habe ich etwa erlebt, von welcher Bedeutung der simple Bau einer banalen Brücke war.  Ich dachte zuerst: Wie kann man so viel Rummel darum machen?  Das ist mir später vor Ort sehr klar geworden als die Menschen glücklich und froh waren, mal einfach herüber zu kommen. Ähnliches kann man sich auch noch bei der nicht gerade großen Brückenzahl an Oder und Neiße vorstellen.  Das Wegräumen der Hindernisse ist natürlich die erste mobilisierende Tätigkeit.  Die hat auch noch meistens etwas sehr Materielles, was man anfassen und gestalten kann.  Dann gibt es das, was wir u.a. beim Wechsel von Interreg I und II erlebt haben.  Dann gibt es Leute, die meinen, wenn ich einmal die materiellen Hindernisse beseitige, oder wenn ich sogar juristisch, wie 1993, beschlossen habe, es gibt keine Binnengrenzen mehr, dann sind alle Probleme gelöst! Das ist natürlich völlig falsch. Es hat damals sehr viel Kraft und auch viel Engagement seitens der AGEG gebraucht, um deutlich zu machen, auch gewissen Bürokraten in Brüssel, dass dann eigentlich die Probleme erst anfangen, zwar nicht die alten Probleme, aber völlig neue. Diese Probleme sind von einer ganz anderen Natur. 

Wenn ich Grenzhindernisse räume, entsteht das, was ich ja eigentlich wollte: Große Mobilität. Die Menschen gehen unproblematisch, gerne, ohne es wirklich zu merken, eigentlich in Freizeit, Arbeit und Bildungsangelegenheiten über die Grenze hin und her und fühlen sich überall wohl.  Dadurch sind jedoch die Systemunterschiede nicht verschwunden! Die Probleme fangen erst an.  Diese Probleme sind auf den ersten Blick als die fehlenden Brücken sehr viel unsichtbarer und sind übrigens auch sehr viel schwieriger zu lösen als das Hinsetzen einer einigermaßen vernünftig konstruierten Brücke, was man ja mittlerweile doch überall einigermaßen klar mit dem Stand der Wissenschaft machen kann.

Dann haben Sie z.B. den Existenzgründer an der einen Seite in Belgien, der in ein EU-gefördertes Technologiezentrum auf der anderen Seite sich als Existenzgründer niederlassen will, der auch einen tollen Vertrag bekommt, und dem man sagt: „Ehe du aber als Belgier im Bau- und Baunebengewerbe in Deutschland dich niederlassen kannst, musst du doch eine kleine Modalität erledigen, nämlich dich in die Handwerkerrolle eintragen lassen“.  Dann fährt man auch dahin, wo es das gibt und bekommt die Antwort: „Das ist kein Problem! Ein Belgier darf sich natürlich in die Deutsche Handwerkerrolle eintragen lassen.  Wo leben wir eigentlich?… wir sind doch alle Europäer!“.  Es gibt nur eine kleine Bedingung: Er muss einen deutschen Meisterbrief haben.  Der belgische Handwerker, der einen deutschen Meisterbrief hat, ist eher selten…  Selbst wenn er im perfekten Deutsch sagt: „Ich habe aber einen belgischen Meisterbrief!“.  Dann wird man ihm antworten: „Das ist zwar schön, aber das ist nicht unser Problem.  Wir wollen einen richtigen deutschen Meisterbrief haben!“  Wenn er ein bisschen komisch schaut, wird vielleicht, wenn der Beamte ein bisschen Gefühle hat und noch nicht so ganz abgestumpft ist, sagen: „Hör mal, mache dir nichts draus, Junge oder Mädchen, Europa hat das geregelt.  Wenn du mir jetzt beweisen kannst, dass du in deinem Metier schon sechs Jahre lang tätig bist, dann muss ich dich in die Handwerkerrolle eintragen“.  Der Existenzgründer, der schon sechs Jahre lang tätig war, den habe ich bisher – trotz meiner langen Erfahrung – noch nicht gefunden… So sieht ein konkretes Problem aus, wenn viel Mobilität da ist.  Ich könnte noch hunderte andere erzählen, übrigens auch welche mehr zu Lasten der anderen Seite gehen.  Wenn z.B. eine deutsche Kindergärtnerin in Belgien arbeiten will, dann muss sie also wirklich sich vieles einfallen lassen, um das zu schaffen.

Diese Art von Problemen, ist sehr schwierig zu lösen.  Sie gleichen sogar manchmal ein bisschen dem, was man „permutierte Viren“ nennen kann. Das ist so, wie wenn Sie eine Grippe haben und immer dasselbe Medikament nehmen und plötzlich merken, das nützt nichts mehr… das Problem ist immer noch da, es passt sich ein bisschen an, man hat wiederum keine Lösung.  Das ist eine ganz schwierige Sache.  Eine Sache, die übrigens dazu beiträgt, dass viele Euregios an den alten Binnengrenzen nicht in dieser eben ein bisschen euphorisch beschriebenen Situation sind, da läuft ja alles: Ganz im Gegenteil!  Von der Euregio Maas-Rhein bis zum Oberrhein und bis zum Norden in der Ems-Dollart-Region stellen wir einen gewissen Frust fest. Es gibt noch eine Vielzahl derlei Probleme. Die bekommt man nicht auf die Reihe.  Man beißt sich jedes Mal fest und ärgert sich, dass man sie nicht gelöst bekommt. Das ist die zweite Generation von Problemen, die es zu lösen gibt, wo man voneinander lernen kann.  

Die dritte Generation ist die, es wirklich zu schaffen, wirklich grenzüberschreitend verfasste Instrumente aufzubauen und tätig werden zu lassen, die die Dinge normal regeln können.  Auch das ist unendlich schwierig.  Trotz der großen juristischen Bemühungen, die es schon gegeben hat, sei es im Rahmen des Europarates durch das Madrider Abkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften aus dem Jahre 1980 und den drei erfolgten Zusatzprotokollen, das letzte datiert von 2009 in Utrecht, sei es im Rahmen der EVTZ-Verordnung aus 2006 der EU, wo löbliche Arbeit gemacht worden ist, aber wo man auf keinen Fall die Illusion haben sollte, dass durch das Einsetzen eines solchen Instrumentes alle Probleme von alleine verschwänden.  Das bleibt eine ganz komplexe Geschichte und da ist auch noch sehr viel zu tun.

Der Augenblick, etwas zu tun, um die Dinge voranzutreiben, der ist in der Tat sehr günstig.  Wie gesagt, heute am 11.11., Tag 1 nach Vorlage des Kohäsionsberichtes.  Es muss jetzt gehandelt werden. Auch wenn das dem einen oder anderen schon etwas eigenartig erscheinen mag. Da hat man einmal so gerade diese, in der Tat, verdammt komplexen Startschwierigkeiten überall von Interreg IV mehr oder weniger gemeistert und ist nicht all zu sehr von N+2 und Ähnlichem betroffen worden, die Programme laufen mal so langsam an und schon müssen wir uns grundlegende Gedanken darüber machen: Wie organisieren wir den „Laden“ in Zukunft besser, damit er nach 2014 auch besser funktioniert.  Das ist nun mal so.  Diese Herausforderung wird nicht einfach sein. 

Wer die Pressekonferenzen nach dem letzten Europäischen Gipfel verfolgt hat, wird festgestellt haben, dass es zukünftig mehr Geld in Europa nicht geben wird. Im Gegenteil! Es wird knallhart um jeden Euro gekämpft werden, oder um jede Million oder Milliarde Euro.  Der Kohäsionsbericht muss jetzt detailliert geprüft werden.  Ich kann keine endgültige Analyse vorstellen.  Ich kann nur darauf hinweisen, dass er doch sehr interessante Elemente enthält und dass es um ein wichtiges Thema geht.  Immerhin ist die Kohäsionspolitik mittlerweile die größte Politik. 

In der letzten Förderperiode sah der EU-Haushalt dafür insgesamt 347 Milliarden Euro vor, während die gemeinsame Agrarpolitik es auf 330 Milliarden Euro gebracht hat.  Für Deutschland ist es ganz besonders wichtig, denn in der letzten Periode ging es für Deutschland immerhin um 26,4 Milliarden Euro. Allerdings hat Deutschland auch das Problem, dass es sich nicht zu unrecht in der Nettozahlersituation befindet.  Mir ist schon sehr oft erklärt worden, in Berlin, bei vielen Diskussionen, dass das eigentlich so auf Dauer wohl nicht immer weiter gehen kann.  Zwischen dem Bund und den Ländern gibt es durchaus unterschiedliche Standpunkte.  Da ist es schon von Bedeutung, dass im vergangenen Jahr die Konferenz der Ministerpräsidenten sich, in Anwesenheit – ich sagte nicht mit Zustimmung – von Frau Kanzlerin Merkel auf eine gemeinsame Position geeinigt hat, die doch, denke ich, für deutsche Verhältnisse, einen vernünftigen Rahmen absteckt. 

Bei den Strukturfonds geht es natürlich um drei Dinge:  Es geht um die Konvergenz.  Das ist der größte Teil.  Das ist alles, was Ziel 1 war oder Ziel 1 bleiben möchte, oder aber irgendwo dazwischen eine Lösung braucht.  Es geht um die regionale Wettbewerbsfähigkeit in Ziel 2.  Das ist besonders, zum jetzigen Zeitpunkt, eine sehr kontrovers diskutierte Sache.  Es geht dann auch um das, was uns hier direkt interessiert, das neue Ziel 3, das ja durch den Lissabon-Vertrag gestärkt worden ist in seinem Prinzip und seiner Existenz, aber das natürlich als Ziel der territorialen Zusammenarbeit seinen Platz verteidigen muss. Dieser Platz ist auf jeden Fall der Kleinste.  In der letzten Periode wurden dafür 2,5% der gesamten Mittel vorgesehen.  Dabei muss man auch wissen, dass dieses Ziel der territorialen  Zusammenarbeit sich auch noch einmal in drei Unterziele (Bereiche) aufteilt, von denen der Bericht jetzt sagt, dass er sie grundsätzlich aufrecht erhalten will. Ich denke, das ist auch gut so, um einmal ein geflügeltes Wort zu gebrauchen.

Diese drei Bereiche müssen wir uns noch etwas näher anschauen.  Es geht einerseits um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit.  Das, was wir alle hier machen, zusammen arbeiten, zwischen Partnern, die direkte Nachbarn sind.  Dann geht es auch um das Transnationale.  Da kommt schon die erste kleine Gefahr.  Da spricht man für meinen Geschmack mittlerweile zu viel von diesen berühmt berüchtigten Makroregionen.  Das ist so ein bisschen etwas Semantisches, wie eben die grenzüberschreitenden polyzentrischen Metropolregionen.  Jeder will plötzlich eine Makroregion sein. Dass man um die Donau herum, um das Baltikum herum, um die Ostsee herum, um die Nordsee herum so etwas konzipieren kann, ist schon nachvollziehbar, aber was nicht geschehen darf, ist, dass durch diese großräumige Zusammenarbeit eine Renationalisierung der Strukturfondsgelder stattfindet und dass darüber hinaus dieses Teilziel alle anderen leer schürft und insbesondere die klassische grenzüberschreitende Zusammenarbeit völlig nackt dastehen lässt. Das ist eine Gefahr, die ist da, an der arbeitet wird ganz speziell die AGEG in sehr intensiver Art und Weise, wie diejenigen wissen, die da mit in den Gremien sitzen. 

Wir müssen also sehr wachsam sein. Wir müssen dafür sorgen, dass solche Dinge, Überraschungen, wie wir sie mit dem Barca-Bericht erlebt haben, ein sehr verheißungsvoller Bericht, auch ein sehr kritischer Bericht (wer würde schon behaupten, dass wir alles gut machen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit?), wir müssen aufpassen, dass das Schicksal dieses Barca-Berichts sich jetzt nicht allzu oft wiederholt. 

Was war dieses Schicksal?  Im April 2009 wird dieser Bericht veröffentlicht.  Dann kommt im September 2009, wenige Monate danach, das wovon man sich besonders in Europa in Acht nehmen muss, nämlich ein Non-Paper.  Ein Non-Paper der Kommission, was also offiziell gar nicht existiert, aber wo ein Politikansatz für die Finanzperspektiven dargestellt wird, wo die Kohäsionspolitik eigentlich so gar nicht mehr vorkommt, wo alles auf sektorielle Ansätze beim Klimaschutz, bei der Innovation, bei der Bekämpfung der Folgen des demographischen Wandelns abstellt, alles Themen, die sehr richtig sind, die wir ja auch in der Strategie 2020 der EU wiederfinden, aber die auf keinen Fall dazu beitragen darf, dass der Politikansatz der Konvergenz der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und der Wettbewerbsfähigkeit verschwinden.  Da muss ein Schema mit zwei Eingängen entwickelt werden: Die Kohäsionspolitik einerseits und diese sektoriellen Schwerpunkte andererseits, sind keine Gegner, sie müssen nicht notwendigerweise Gegner sein, sie müssen vielmehr zusammengebracht und intelligent miteinander verwoben werden. 

Wir werden jetzt unter der belgischen Präsidentschaft, wie ich eben sagte, in einigen Tagen, diese informelle Ministerratssitzung haben. Wir haben gemeinsam mit den Ungarn beschlossen, die als nächstes den Stab der Präsidentschaft weiter nehmen, am 31. Januar und 1. Februar 2011 ein wichtiges Seminar auf europäisches Ebene abzuhalten, wo wir versuchen werden, diesen Konvergenzbericht auszuwerten und die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen. Da wird es um all die Dinge gehen, die auch in Ihrem Papier stehen.  Ich denke, dass das Papier sehr gründlich vorbereitet ist.  Es werden die richtigen Weichen gesetzt.  Es wird auch unter Rückgriff auf das AGEG-Papier im technischen Bereich der eine oder andere sehr sinnvolle Vorschlag gemacht.  Der ist auch bitter nötig, denn meine Erfahrung mit den ganzen Bestimmungen der letzten Jahre war, dass man immer von Vereinfachung spricht und es jedes Mal noch komplizierter macht.  Allerdings ist das nicht nur die Schuld der Europäischen Kommission.  Sie ist mit verantwortlich.  Sie hat ein Kontroll- und wieder Kontroll- und noch einmal Kontrollsystem erarbeitet, wo man sich manchmal fragt, was das Ganze soll, außer der Tätigkeit, Audit-Firmen zu finanzieren.  Sehr oft sind es auch die Nationalstaaten selbst, die durch diese verschiedenartigen Auslegungen dieser Dinge das Ganze nochmals kompliziert machen.  Ein wesentlicher Fortschritt wäre der Ansatz, das Geld direkt auf die Programmgebiete hinzubringen.  Das ist auf jeden Fall ein Thema, für das man gemeinsam mit den Europa-Abgeordneten kämpfen soll.  Da ließe sich wirklich einiges fundamental verbessern.

Es wird wohl auch so sein, dass man in Zukunft, noch mehr als bisher, den wirklich europäischen Mehrwert von Projekten prüfen muss, die gefördert werden.  Da war nicht alles reine Sahne, was an Projekten produziert worden ist.  Ich könnte aus meiner eigenen Erfahrung, da ja kein Journalist aus meiner Region hier ist, auch mit meinem eigenen Mittun entstandene Projekte zitieren, von denen ich nicht sicher bin, ob sie wirklich diesem von mir formulierten Anspruch entsprechen.

Was passiert sehr oft?  Da werden alle Dinge, die irgendwo in einer Schublade lagern, die einer machen wollte, oder konnte, rausgeholt, man macht es ein bisschen grenzüberschreitende Kumpanei und findet andere Leute, die ähnliche Projekte herumliegen haben, ist ein bisschen kreativ und macht daraus ein Europaprojekt und das muss durchgeführt werden. Das ist nicht immer der beste Weg.  Es gibt solche Dinge.  Es gibt auch ernsthaft gemeinte Versuche, die zu naiv waren und eben gescheitert sind.  Das ist eher auch eine positive Angelegenheit daraus zu lernen.  Es gibt natürlich die vielen und überwiegenden Sachen, die hervorragend geklappt haben und die es sich lohnt, auch in Zukunft fortzusetzen.  Interessant ist auch in dem Kohäsionsbericht – das sind die Dinge, die ich nur noch auszugsweise hier erwähnen möchte –, dass konkrete Vorschläge mit dem neuen Umgang von N+2 gemacht werden, u.a. das Neutralisieren des ersten Jahres (das ist keine schlechte Sache).  Es wird auch einiges gesagt zu dem ganzen Thema der Evaluation.  Es wird darauf hingewiesen, dass man vielleicht mehr als bisher mit Instrumenten arbeiten soll, die einen Revolving-Charakter haben, wo Geld nicht nur als Subsidien in die Welt gesetzt werden, sondern wo man es auch wieder zurückbezahlen muss und dadurch neu einsetzen kann.  Das sind alles Dinge, die man einmal in Ruhe beobachten sollte. Ich glaube, dass wir alles Interesse daran haben, jetzt dafür zu sorgen, dass in diesen Tagen, wo es um die Weichenstellung geht, auch wirklich die richtigen Weichen gestellt werden. 

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich hatte von Ihnen 40 Minuten bekommen.  Die sind jetzt schon um 17:20 Minuten überschritten.  Ich will es jetzt nicht all zu sehr übertreiben.  Mein Anliegen war heute neben der sehr angenehmen Erfahrung dabei sein zu dürfen, bei dieser ersten Konferenz, und der ebenso angenehmen Erfahrung, viele Dinge und Menschen wieder zu treffen, die ich schon aus eigener Erfahrung etwas kenne, natürlich auch mein erster Besuch als richtig gewählter AGEG-Präsident, seit einigen Wochen.  Ich habe ja diese Arbeit unter etwas besonderen Umständen angefangen.  Es war ja gar nicht mehr möglich mich zu wählen. Ich bin von meinen Kollegen bezeichnet worden.  Das ist für eine Übergangsphase sicherlich sinnvoll, aber ich bin schon froh, dass jetzt die Sachen klar sind, dass es ein wirklich aktionsfähiges Präsidium in der AGEG gibt. Es macht mir große Freude, diesem vorzustehen.  Wir haben uns eine ganze Menge für die nächsten Jahre vorgenommen.

Die AGEG wird im nächsten Jahr 40 Jahre alt.  Ich bin der 7. Präsident.  Der 3. war der augenblickliche deutsche Innenminister, von dem man in den letzten Tagen ja noch einiges gehört hat. Die Galerie der Leute, die da vorher gearbeitet haben, ist sehr beeindruckend.  Ich hoffe, dass ich mich da einigermaßen ordentlich werde einreihen können. 

Auf jeden Fall weiß ich, dass wir gerade jetzt einiges zu tun haben.  Ich weiß auch – zumindest bin ich davon überzeugt – dass das, was wir tun, wichtig ist, um Europa einen neuen Schwung zu geben.

Ich habe es in einer Publikation, die mich einen Tag meines Urlaubs gekostet hat, was auch wiederum meine Frau sehr erbost hat, weil wir einen Tag später abgefahren sind, die jetzt demnächst in einem Buch erscheint, das der deutsch-polnischen Zusammenarbeit gewidmet ist und das Herr Prof. Zschiedrich aus Berlin herausgibt, abschließend Folgendes  geschrieben.  Das möchte ich Ihnen auch hier wiederholen:

„Die Zukunft Europas entscheidet sich nicht zuletzt in seinen Grenzregionen.  Dort sind Europaskepsis und Europabegeisterung besonders deutlich und schnell messbar.  Grenzregionen sind jedoch nicht nur wertvolle Seismographen für den Zustand des europäischen Integrationsprozesses, sondern sie beeinflussen ihn auch ganz konkret und bedeutend.  Deshalb ist es keineswegs übertrieben, die Grenzregionen als ein wertvolles Laboratorium und einen starken Motor mit viel Schubkraft für Europa zu bezeichnen.“

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!