Reden

Neujahrsansprache 2010


Neujahrsansprache 2010

01/01/2010 

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Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

erinnern Sie sich noch an den 1. Januar 2000?  Die Jahrhundertwende. Das neue Jahrtausend.

Der weltweit befürchtete Zusammenbruch aller Computersysteme war ausgeblieben, ebenso wie fast alle anderen erhofften oder befürchteten Überraschungen.

 Mittlerweile gehört auch das erste Jahrzehnt des 3. Jahrtausends bereits der Vergangenheit an.

 Die neue Zeitrechnung nach dem Millennium ist seit heute in den zweistelligen Bereich getreten.

 Das vielbeschworene 21. Jahrhundert wächst langsam aber sicher aus den Kinderschuhen heraus.

Diesmal verlief der Wechsel von dem alten in das neue Jahrzehnt weniger problemlos.

 Die zunehmend sichtbaren Veränderungen aufgrund des Klimawandels sowie die schmerzhaften Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise zwingen weltweit zu konsequentem Umdenken und resolutem Handeln.

 Wir müssen möglichst schnell viele Gewohnheiten aus dem vorigen Jahrhundert definitiv ablegen, wenn wir nachhaltig Frieden, Lebensqualität und Wohlstand in unseren Breitengraden wahren und in anderen Teilen der Welt fördern wollen.

 Maßloses Streben nach materiellem Reichtum und kurzfristiger Gewinnmaximierung bedroht nicht nur den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit.

 Derartiges Verhalten zerstört ebenfalls den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft und damit die Voraussetzungen für das friedliche Zusammenleben der Völker auf unserem Planeten Erde.

 Diesen Fehlentwicklungen muss weltweit auf allen Ebenen gegengesteuert und Einhalt geboten werden.

 Dies ist ein schwieriges und mühsames Unterfangen, das ein subtiles Gleichgewicht zwischen Freiheit und Solidarität anstreben muss und für das es keine allgemeingültigen Zauberformeln oder Wundermittel gibt.

 Erfolge und Rückschläge liegen eng beieinander, wie uns noch vor wenigen Tagen der enttäuschende Verlauf des Kopenhagener Klimagipfels sowie die trotz Finanzkrise bisher ausgebliebenen Vereinbarungen zur Regulierung der weltweiten Finanzflüsse eindrucksvoll beweisen.

 Und wo steht bei alle dem die DG, unsere kleine Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens?

 Die Finanz- und Wirtschaftskrise hinterlässt auch hierzulande ihre Spuren.

 Zahlreiche Betriebe kämpfen mit Schwierigkeiten, die Arbeitslosigkeit wächst, viele Menschen bangen um ihren Arbeitsplatz und Lebensunterhalt.

 Trotz rückläufiger Einnahmen und notwendiger Sparmaßnahmen ist es der Regierung gelungen, das breite Spektrum der von der DG finanzierten Dienstleistungen aufrechtzuerhalten und in gewissen Bereichen sogar noch auszubauen.

 Die notwendigen Investitionen in die Erneuerung unserer Schul-, Krankenhaus-, Altenheim- und Kulturinfrastrukturen konnten fortgesetzt und abgesichert werden.

 Genauso wie anderswo in Belgien, Europa und der Welt musste dazu auch in der DG auf alternative Finanzierungsformeln und auf eine krisenbedingte Neuverschuldung zurückgegriffen werden, die sich nach dem augenblicklichen Stand der Dinge auf die Jahre 2010 bis 2018 verteilt und die mit 66 Millionen Euro bedeutend niedriger bleibt, als die in diesem Zeitraum anfallenden Investitionsausgaben von insgesamt 240 Millionen Euro.

 Mit anderen Worten: Die DG finanziert über Anleihen ausschließlich einen relativ kleinen Teil ihrer Investitionen in Infrastrukturen und keineswegs laufende Ausgaben.

Und noch etwas muss in aller Deutlichkeit gesagt werden:

Die Finanzpolitik der DG ist so angelegt, dass auch für zukünftige Regierungen neue Handlungsspielräume verfügbar bleiben und dass Investitionen heute die Lebenschancen derer verbessern, die morgen die verbleibende Restschuld zurückzahlen müssen, genauso wie dies bei allen kreditfinanzierten Betriebsinvestitionen und privaten Hausbauten geschieht.

 In den vergangenen Wochen ist heftig über die Kosten des Parlamentsumzuges zum Eupener Sanatorium diskutiert worden.

 Mittlerweile hat die zuständige Arbeitsgruppe des Parlamentspräsidiums beschlossen, dass das Vorprojekt grundsätzlich überdacht wird.

 Aus Sicht der Regierung darf dies jedoch nicht zu einer Verzögerung des Ausbaus der Pater Damian Schule und des Staatsarchivs am jetzigen Parlamentssitz führen.

 Es sollte vielmehr eine Gelegenheit sein, den Bedarf an infrastrukturellen Voraussetzungen für eine gut funktionierende Parlamentsarbeit neu zu bestimmen und dabei den Dialog mit der Bevölkerung über Sinn und Bedeutung dieser Arbeit zu vertiefen.

 Die verstärkte Einbeziehung der Öffentlichkeit in die Planung von Infrastrukturprojekten könnte übrigens eine interessante, zukunftsträchtige und die Demokratie stärkende Lehre aus den Debatten der vergangenen Wochen sein.

 Der anlässlich der Haushaltsvorbereitungen beschlossene Infrastrukturplan 2010-2012 umfasst 341 Bauvorhaben in allen 9 Gemeinden unseres Sprachgebietes mit einem Zuschussvolumen von insgesamt 224 Millionen Euro.

 

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

 ich lade Sie recht herzlich ein, in den kommenden Monaten gemeinsam mit den Gemeindeverantwortlichen und der Regierung über diese Vorhaben ausführlich und gründlich zu diskutieren.

Einen solch breit angelegten Bürgerdialog wünscht sich die Regierung auch bei der Umsetzung des Regionalen Entwicklungskonzeptes und der daraus abgeleiteten 16 Zukunftsprojekte für die Fortentwicklung Ostbelgiens als Grenz-, Wirtschafts-, Bildungs-, Solidar- und Lebensregion.

 Ob es sich um den gerechteren Zugang zur Bildung, um das Festlegen von Bildungsstandards, um das „learning by doing“ oder um die Jugend als Zukunftsträger handelt;

 ob es die Gesundheit zu sichern, die Sozialdienste Hand in Hand arbeiten zu lassen oder die Vielfalt zu gewährleisten gilt;

 ob Zusammenleben gestaltet, Landschaft bewahrt oder Ostbelgien genossen wird;

 ob wir mit der Natur wirtschaften, Innovation stimulieren oder ein Bündnis für Wirtschaft und Arbeit bewerkstelligen wollen;

 ob wir Grenzen überschreiten, Grenzen leben oder miteinander wirken möchten;

 eines ist diesen 16 Zukunftsprojekten gemeinsam:

 Sie wollen resolut Zukunft gestalten und konsequent Wege in eine innovative, nachhaltige und offene Gemeinschaft aufzeigen.

 Doch was bedeutet eigentlich innovativ, nachhaltig und offen?

 Innovativ:  Die Bereitschaft zur Erneuerung ist eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche Zukunftsgestaltung.

 Selbst das Bewahren von Bewährtem ist ohne Innovation oft nicht möglich.

 Nachhaltig: Wir dürfen heutige Probleme nicht auf Kosten zukünftiger Generationen lösen.

 Das delikate Gleichgewicht zwischen Umwelt, Wirtschaftlichkeit und sozialer Gerechtigkeit ist nicht immer einfach zu erreichen, aber keineswegs unmöglich.

 Offen: Gerade für die kleine Deutschsprachige Gemeinschaft ist Offenheit von ganz besonders großer Bedeutung.

 Nichts wäre für unsere Gemeinschaft verhängnisvoller als ein Verzicht auf ein breit angelegtes Netz an Partnerschaften mit unseren unmittelbaren Nachbarn, mit den anderen belgischen Gliedstaaten und mit Partnerregionen anderswo in Europa.

 

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

 im Laufe des vergangenen Jahres haben wir zu zahlreichen Anlässen auf ein Vierteljahrhundert DG mit Gesetzgebungshoheit und eigener Regierung zurückblicken können.

 Die Aufbauleistungen der vergangenen 25 Jahre und übrigens auch die der Zeit davor ab 1973 können sich sehen lassen und dürfen uns alle mit berechtigtem Stolz erfüllen.

 Genau wie die Auszeichnung „Europäische Region des Jahres 2004“ war auch der unserer Gemeinschaft Ende Oktober 2009 in Kassel verliehene „Kulturpreis Deutsche Sprache“ ein unübersehbares Zeichen der Wertschätzung, die der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens auch außerhalb der Grenzen unseres Landes entgegen gebracht wird.

 Diese Wertschätzung verdanken wir dem unermüdlichen Einsatz zahlreicher Ostbelgierinnen und Ostbelgier, die sich in den vergangenen Jahrzehnten in den verschiedensten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens auf unterschiedlichste Art und Weise verdient gemacht haben.

 Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang auf das Lebenswerk des kurz vor Weihnachten gestorbenen Gründers und künstlerischen Leiters des AGORA-Theaters, Marcel Cremer, hinzuweisen, dessen herausragendes Wirken die Entstehungsgeschichte der DG künstlerisch begleitet, reflektiert und artikuliert hat.

 In seiner Theaterarbeit hat er unserer Gemeinschaft immer wieder einen selbstkritischen Spiegel vorgehalten, sie mit ihren Grenzen konfrontiert und gleichzeitig aufgefordert, über sich hinaus zu wachsen.

 Wir sind ihm, der uns nach menschlichem Ermessen viel zu früh verlassen hat, wie vielen anderen verstorbenen Pionieren der Gemeinschaftsautonomie zu großem Dank verpflichtet.

 

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

 die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr bietet uns allen die Gelegenheit, um inne zu halten, auszuruhen und nachzudenken, um  freundschaftliche Kontakte zu pflegen, gute Vorsätze zu fassen und Kraft für neue Taten zu schöpfen.

 Ich hoffe, dass Sie alle dazu in den vergangenen Tagen in ausreichendem Maße Gelegenheit hatten und dabei die für Sie persönlich richtigen Schlussfolgerungen ziehen konnten.

 In diesem Sinne wünsche ich Ihnen im Namen der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft ein erfolgreiches und vor allem glückliches Jahr 2010.