Reden

Rede anlässlich des Herbstkongresses 2011 der Sozialistischen Partei Ostbelgiens (SP)


Rede von Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft, anlässlich des Herbstkongresses 2011 der Sozialistischen Partei Ostbelgiens (SP)

Eupen, 1. Oktober 2011

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Liebe Freundinnen,
Liebe Freunde,

als ich die Rede von heute vorbereitete, habe ich mich gefragt: Was haben eigentlich der belgische Bundesstaat und die SP gemeinsam? Wenn man ein bisschen nachdenkt, kommt man sehr schnell darauf: Beide stehen augenblicklich vor einem Generationswechsel. Das gilt sicherlich für die SP, die heute einen neuen Präsidenten gewählt hat – ich kenne sogar schon das Resultat, aber ich darf es noch nicht sagen, das steht nämlich auf dem Papier von Berni – und auch für Belgien. Auch Belgien steht vor einem Generationswechsel – und zwar vor einem sehr gewaltigen. Wenn es in den nächsten Stunden, Tagen oder Wochen zu einer Einigung kommt, dann ist Eines völlig klar: Das Belgien von morgen wird ganz anders aussehen, als das Belgien von heute! Ich weiß jetzt nicht, ob die SP von morgen ebenfalls ganz anders aussehen wird als die von jetzt, aber ich weiß sicherlich, dass es Entwicklungen geben wird, sowohl in der SP als auch in Belgien. Das nennt man Generationswechsel. Das ist etwas, was die Menschheit braucht, wenn sie weiter bestehen und überleben will.

Man kann durchaus die Geschichte der ostbelgischen SP in einem sehr engen Zusammenhang zur belgischen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg stellen, zumindest zu dem Teil der Geschichte Belgiens, der etwas mit dem Umwandeln unseres Staates in einen Bundesstaat zu tun hat. Ohne diese Umwandlung – das glaube ich sehr deutlich sagen zu können – gäbe es keine eigenständige Föderation der Sozialistischen Partei in Ostbelgien.

Jedes Mal, wenn sich Belgien etwas weiter entwickelt hat, haben sich auch die Rolle und Bedeutung der SP ebenfalls verändert. Wenn man genau hinschaut, wird man übrigens feststellen, dass die großen Etappen der Veränderung Belgiens in den letzten vierzig Jahren mehr oder weniger übereinstimmen mit den Änderungen an der Spitze der ostbelgischen SP.

Wir werden heute den fünften Präsidenten unserer Partei wählen; Belgien steht kurz vor der sechsten Etappe seiner Umwandlung. Irgendwo hat diese Umwandlung immer so in Phasen von in einem Jahrzehnt stattgefunden, mehr oder weniger seit 1970. Unsere Präsidenten haben es alle, mehr oder weniger, manchmal ein knappes, manchmal ein längeres Jahrzehnt, an der Spitze dieser Partei „ausgehalten“ oder sagen wir besser „aushalten müssen dürfen“! Ein Jahrzehnt ist eigentlich eine schöne Zeit, um etwas in Bewegung zu bringen, zu verändern und dann in jüngere Hände zu übergeben. Die einzige Ausnahme davon ist die Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft.

Die Entwicklung, die wir gekannt haben, wäre ohne das, was sich in unserem Land verändert hat, nie so eingetreten. Das hat angefangen, in den 70er Jahren, beim damaligen bisher letzten belgischen Premierminister, der der SP angehörte, Edmond Leburton, als dort eine junge Generation ostbelgischer Politiker, die lange mit ihren Vorgängern darüber haben streiten müssen, ob es überhaupt Sinn macht für die Autonomie Ostbelgiens einzutreten, wenn man Sozialist ist, als sie damals dorthin gegangen sind und mit dazu beigetragen haben, dass es zu dem ersten Gesetz über das, was man damals den Rat der deutschen Kulturgemeinschaft genannt, kommen konnte.

Dann sind die Dinge weitergegangen… dann ist die eigentliche Veränderung gekommen, von der wir auch heute noch sagen können, dass es die eigentliche Geburt unserer jetzigen Autonomie ist, nämlich das Gesetz von 1983. Ein Gesetz durch das der Rat der Deutschsprachigen Gemeinschaft (damals Kulturgemeinschaft) geschaffen, wo es später die entscheidende Entwicklung gab und wir ein Parlament bekamen, das Gesetze machen durfte und das eine Regierung wählen konnte, die vor diesem Parlament verantwortlich war.
Das ist heute noch die Situation. Es wird auch die sein, die für morgen und übermorgen gilt.

Damals hat sich die Deutschsprachige Gemeinschaft endgültig etablieren können. Dann ist es in den Jahren danach (in 1988, 1993 und 2001) zu Entwicklungen in Belgien gekommen, die immer in eine Richtung gingen, nämlich in die Richtung, dass man den Gemeinschaften und Regionen mehr Verantwortung übertragen hat. Jedes Mal, wenn das geschehen ist, hat auch die Deutschsprachige Gemeinschaft mehr Verantwortung bekommen. Jedes Mal, wenn es geschah, wurde irgendwann auch ein neuer Präsident der SP bestimmt.

Die vier, die bisher die Geschicke der Partei geleitet haben, haben somit jeweils an einer ganz besonders spannenden Entwicklung teilnehmen können. Das gilt für Marcel Lejoly, für mich selbst, für Jean-François Crucke und natürlich, und nicht zu letzt, für Edmund Stoffels.

Ich hoffe, dass es auch für den Nachfolger gilt. Ganz gewiss sind mit der anstehenden Reform eine Menge Veränderungen verbunden, aber auch die Gewissheit, dass es nach einer bestimmten Zeit wieder eine Reform geben wird; denn genau so wenig wie andere Bundesstaaten dieser Welt, ist Belgien ein Bundesstaat, von dem man jemals wird sagen können: „jetzt ist alles definitiv geregelt.“ Es geht immer weiter. Wir hoffen einmal, dass es eine Zeit lang Ruhe gibt.

In dieser ganzen Entwicklung hat die SP immer mitgestaltet und -verwaltet. Wir haben 1973 mitgestaltet, damals spielte Ferdi Dupont eine ganz besonders große Rolle im Kabinett von Premierminister Leburton. Wir haben 1983 mitgestaltet, damals haben wir übrigens als ostbelgische SP mit dafür gesorgt, dass die Sozialisten (die flämischen ebenso wie die frankophonen) aus der Opposition in Brüssel heraus, die Verfassung ändern konnten und dass wir diese Autonomie bekommen konnten. Wir haben 1988-89 an der Kompetenzübertragung des Schulwesens mitgearbeitet. Und 2001 – bei dem einen oder anderen noch bekannten Lambermont-Verhandlungen – haben wir in allererster Front mit dafür gesorgt, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft finanziell auf gesündere Füße zu stehen kam. Das haben wir nie alleine gemacht. Wir haben immer einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass diese Entwicklung zustande kommen konnte. Wir haben in dieser ganzen Zeit, seitdem es eine eigene Regierung gibt – von demnächst 30 Jahren – 26 Jahre lang die Geschicke hier mit gestaltet. Wir können also behaupten, dass diejenigen, die 1970 der Meinung waren, dass wenn es eine Autonomie für die DG gibt, die Sozialisten von der ostbelgischen politischen Landschaft verschwinden werden, sich völlig geirrt haben. Nicht das, sondern das genaue Gegenteil ist tatsächlich geschehen! Mit der wachsenden Autonomie der DG sind wir auch in Ostbelgien hier als Sozialisten und Sozialdemokraten immer bedeutender geworden, haben an Gewicht zugelegt, das meine ich jetzt nicht im wörtlichen, sondern im politischen Sinne und… wir sind mittlerweile die zweitstärkste Partei in Ostbelgien (bei Gemeinschaftswahlen) und bei den letzten Regionalwahlen (historisches Ergebnis übrigens!) zur stärksten Partei geworden.

Ich habe es bereits mehrmals gesagt, wir eröffnen gerne den Wettbewerb zwischen der CSP und uns, wer als erster von beiden den 6. Sitz erreicht (d.h. das wäre für uns einer mehr und für die CSP einer weniger). Wir haben aber auch nie die Autonomie als etwas angesehen, was einen Sinn an sich ausmacht, einen Selbstzweck bildet, sondern, wir haben immer für die Autonomie gekämpft, weil wir bessere Voraussetzungen haben wollten zum Gestalten der Lebensbedingungen der Menschen hier in Ostbelgien.

Wir haben immer, auch als Partei, „bereit, gewillt und in der Lage“, mit dafür zu sorgen, dass es dieses Konstrukt „Deutschsprachige Gemeinschaft“ in dem Belgien der Regionen und Gemeinschaft gibt, dass es verankert wird und dass es weiter ausgebaut wird. Genau das steht auch jetzt wieder in einem vielleicht noch nie da gewesenen Ausmaße zur Diskussion.

Wo stehen wir heute? Hier in Eupen natürlich… aber was die Staatsreform angeht, spielt die Musik momentan in Brüssel. Es ist zu hoffen, dass die noch verbleibenden Probleme nach dem Durchbruch bei BHV, dem Finanzierungsgesetz und den ersten Entscheidungen zu den Zuständigkeiten, noch gelöst werden können und dass wir im Laufe dieses Wochenendes „den weißen Rauch“ emporsteigen stehen, der sagt, es gibt eine Einigung über die belgische Staatsreform!

Es wird diese Einigung geben. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Es wird nicht zu dem kommen, was viele befürchten, was gewisse in Flandern als offizielles Parteiprogramm verkünden, nämlich das Auseinanderbrechen Belgiens, mit dem Verschwinden unseres Staates. Das wird nicht das sein, was eintritt. Ganz im Gegenteil! Es wird ein Belgien geben, das weiterhin Gemeinschaften und Regionen kennt, in dem diese Gemeinschaften und Regionen eine noch viel größere Verantwortung zu tragen haben, als das heute bereits der Fall ist. Auch dieses „doppelte Gesicht der belgischen Bundesländer“ (wenn man einmal einen deutschen Begriff verwendet) – dass es einerseits Regionen und andererseits Gemeinschaften sind – das ist etwas, was wir in absehbarer Zukunft aus unserem Gedächtnis streichen können. Das wird irgendwann pure Geschichte Belgiens sein, weil nämlich alles darauf hinweist, die Entscheidungen der bereits gefällten Beschlüsse der letzten Tage gehen in diese Richtung, es wird immer mehr hingehen zu einem Belgien, wo es Regionen gibt: Flandern, die Wallonie, Brüssel (Brüssel ist ganz wichtig in diesem Konzept) und die Deutschsprachige Gemeinschaft. Das ist dann so ähnlich wie bei Magritte, bei diesem berühmten Maler, der ja einmal eine Pfeife gemalt hat und drunter geschrieben hat „Ceci n’est pas une pipe“, was übrigens stimmt, denn eine Pfeife, die gezeichnet ist, ist keine Pfeife, sondern das Bild einer Pfeife.

Egal, wie wir morgen heißen werden, wichtig ist, dass wir in diesem Belgien, was sich weiterentwickelt, einen definitiven Platz haben, d.h. dass wir genau wie Flandern, die Wallonie und Brüssel, das hier für unsere Gegend machen können, was diese Gebietskörperschaften für ihre jeweilige Gegend machen. Ganz perfekt wird das zum augenblicklichen Zeitpunkt noch nicht sein, aber auch wir werden diesem Ziel einen ganz großen Schritt näher kommen.

Was wird nun in Brüssel beschlossen? Um es einmal ganz einfach zusammenzufassen: Die Gemeinschaften und Regionen erhalten neue Verantwortungen in vielen Bereichen.

Ich nehme diejenigen, die sich für uns besonders als wichtig erweisen und uns betreffen. Wir sind bereits jetzt zum Teil in Gesundheitsangelegenheiten, in Behindertenfragen und in Fragen der Seniorenpolitik zuständig, morgen werden wir in diesen Bereichen noch bedeutend mehr Verantwortung haben. Dann wird vieles von dem, was bisher in diesen Bereichen noch in Brüssel entschieden wurde, hierhin übertragen werden. Das wird unsere Handlungsmöglichkeiten ganz gewaltig verbessern.

Ein zweites neues Paket von Verantwortung kommt auf uns zu, nämlich die Kinderzulagen, eine ganz wichtige Angelegenheit, wenn wir die Generationenfolge auch in den nächsten Jahrzehnten garantieren wollen. Kinderzulagen sind etwas, was für viele Menschen von großer Bedeutung ist. In diesem Bereich werden morgen nicht mehr der belgische Staat, sondern die Gemeinschaften das Sagen haben. Das wird uns erlauben, im Bereich der Familienförderung, der Kleinkindbetreuung z.B., neue Wege zu gehen und Angebote zu verbessern, die hier noch nicht zum jetzigen Zeitpunkt optimal sind. Das wiederum, kann uns entscheidend dabei helfen, mehr Menschen in Arbeit zu bringen als es jetzt der Fall ist.

A propos Arbeit… das ist das andere ganz große Paket an neuer Verantwortung, was auf uns zukommt. Wir haben bereits die regionale Zuständigkeit Beschäftigung übernommen, im Jahre 2000, jetzt wird diese Beschäftigungszuständigkeit der Regionen weit mehr als verdoppelt, diese wird natürlich auch bei uns ankommen und auch unsere Möglichkeiten, hier eine angepasste Beschäftigungspolitik zu machen entscheidend verbessern können. Da ist der unmittelbare Handlungsbedarf vorhanden. Da werden wir uns mit sehr vielen interessanten Themen beschäftigen. In Zukunft werden wir hier selbst überprüfen, ob Arbeitslose wirklich arbeitswillig sind. Wir werden selbst entscheiden können, wie wir Beschäftigungsprogramme noch weiter entwickeln. Das sind nur zwei Dinge, auf die ich eingehen möchte.

Wir werden auch eine Reihe Sachen zu übernehmen haben, die im Umfeld der Justiz geschehen: Wir werden mehr Verantwortung für den Jugendschutz und das Jugendstrafrecht erhalten; wir werden bei der Betreuung von Opfern und Tätern zuständig, all das, was mittlerweile aufgebaut wurde, übernehmen. Was aufgebaut wurde, ist ziemlich unkoordiniert, ich hoffe, dass wir durch diese Übernahme etwas Kohärentes aufbauen können, was auch mit unseren bisherigen sozialpolitischen Verantwortungen optimal koordiniert werden wird.

Wir werden weiter sehr intensiv, in aller kürzester Frist schon (am 15. Dezember findet die nächste gemeinsame Regierungssitzung zwischen der Regierung der DG und der Wallonischen Region statt) über die Sachen weiter diskutieren, die wir von der Wallonie noch übertragen lassen wollen, wie etwa die Gesamtheit der Verantwortung für Gemeinden und Provinzen, Wohnungsbau und Raumordnung.

Wohnungsbau und Raumordnung sind zwei besonders wichtige Politikbereiche. Wir haben uns in den letzten Monaten intensiv darauf vorbereitet, wie wir mit diesen Angelegenheiten umgehen, wenn wir sie selbst übernommen haben. Die Ergebnisse dieser Arbeit werden, was die Wohnungsbaupolitik betrifft am 12. Dezember und was die Raumordnung betrifft, am 12. Januar nächsten Jahres, ausführlich vorgestellt.

Es wird auch Änderungen bei der Finanzierung der Gemeinschaften und Regionen geben.
Da wird das jetzige System, wo jeder einen Anteil aus dem allgemeinen Steueraufkommen bekam und die Regionen eine gewisse Anzahl eigener Steuern hatten, wie etwa die Immobilien- und Erbschaftssteuern oder die Radio- und Rundfunkgebühren, diese Situation wird ebenfalls verändert.

In Zukunft werden Regionen einen wichtigen Teil der Einkommenssteuer selbst erheben können, als Zuschlaghundertstel, so wie es die Gemeinden und die Provinz bereits tun. Das ist eine große Veränderung, die auf uns zukommt. All das muss auf die Deutschsprachige Gemeinschaft heruntergebrochen werden. Nicht ganz unwichtig ist eine bereits beschlossene Reform, nämlich die, dass es morgen den Senat, so wie wir ihn heute kennen, mit direkt gewählten Mitgliedern, nicht mehr geben wird. In Zukunft wird der Senat sich ausschließlich aus Vertretern zusammensetzen, die von den Gemeinschaften und Regionen dorthin entsandt werden. Wir werden da unser Mandat behalten, das ist eine wichtige Sache, obschon der Senat nochmals verkleinert wird. Das spielt im gesamten Reformkontext eine große Rolle. Mehr will ich zur Reform im Einzelnen nicht sagen. Das würde zu technisch werden. Wir werden noch Gelegenheit haben, uns darüber zu unterhalten, wenn die Texte vorliegen. Das, was sich da anbahnt, was da auf uns zukommt, das sind keine Peanuts, keine Details, das ist die größte je dagewesene Staatsreform in Belgien!

Was will nun die DG? Sie will zuallererst einmal weiter überleben. Deshalb plädieren wir dafür, dass – und das tun auch alle anderen anerkannten Fraktionen im Parlament, die einzige Ausnahme sind die Kollegen von Vivant – die Deutschsprachige Gemeinschaft einer der vier Partner wird, aus denen Belgien morgen besteht.

Wir sagen ganz deutlich: „Wir sind bereit, gewillt und in der Lage“ alle Zuständigkeiten zu übernehmen, die man den Gemeinschaften und Regionen übertragen hat. Was die Wallonen und Flamen für sich als gut erachten, das ist für uns recht und billig, eine einfache Formel, sie ist die grundsätzliche Haltung, die wir einnehmen.

Wir wollen das natürlich nicht einfach nur so, sondern mit den notwendigen angemessenen Finanzmitteln oder Finanzierungsmöglichkeiten. Das ist natürlich eine etwas kompliziertere Frage. Da müssen wir klar und deutlich sagen, wenn man uns die Zuständigkeiten gibt, werden wir diese wahrnehmen können, so wir das wollen und können. Bei den Finanzmitteln, die man dafür braucht, muss man natürlich schon etwas genauer hinschauen, denn da kommt die besondere Situation des Gebietes deutscher Sprache voll zum Tragen, insbesondere, wenn man mit dem Kriterium „Steueraufkommen“ arbeitet.

Deshalb haben wir nie gesagt, wir wollen in Zukunft so finanziert werden, wie die anderen Regionen, nein, wir wollen „angemessen“ finanziert werden! Um angemessen finanziert werden zu können, wird man eine sehr komplexe und schwierige Verhandlung zu führen haben, aber die muss auf redlicher Grundlage geschehen. Unser großes Handicap ist einerseits das, was Brüssel auch hat und wofür Brüssel in Zukunft jährlich 500 Millionen Euro mehr bekommt.

Was ist das Handicap? Es gibt mehr Menschen aus dem Inneren Belgiens, die hier arbeiten und anderswo wohnen und ihre Steuer bezahlen, als es Menschen gibt, die in Ostbelgien wohnen und im Inneren Belgiens arbeiten und hier unsere Steuern zahlen. Da ist die Refinanzierung von Brüssel kein Geschenk, das ist einfach nur Gerechtigkeit! Das gilt auch für uns. Es gibt 5.000 Menschen, die jeden Tag hierhin kommen, aus dem Inneren Belgiens und es gibt deren knapp 3.000, die rausgehen. Diese 2.000 Einkommen werden nicht hier besteuert, die die Unterschiede machen, dafür müssen wir natürlich finanzielle Berücksichtigung finden.

Was noch sehr viel wichtiger ist, wir als Grenzregion, sind natürlich ganz besonders von den Grenzgängerproblemen betroffen. Es gibt 16.000 Menschen, die hier in der Region als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte leben und arbeiten, aber daneben gibt es nochmals knapp 5.000, die hier leben und in Deutschland arbeiten, und 3.000, die hier leben und in Luxemburg arbeiten. Diese 8.000 Menschen bezahlen ihre Einkommenssteuer nicht hier in Belgien, sondern in Deutschland und Luxemburg. Wenn wir jetzt – ganz vereinfacht – eine Lösung akzeptierten oder bekämen, wo man sagt, ihr müsst mit dem hier erwirtschafteten Einkommenssteueraufkommen auskommen, ist das natürlich eine Milchmädchenrechnung! Auf diese lassen wir uns natürlich nicht ein. Denn wir sagen, wir wollen dieselben Kompetenzen mit angemessenen Finanzierungsmitteln, dann muss man natürlich diesen Besonderheiten ganz klar und deutlich Rechnung tragen. Das ist etwas, woran die Regierung schon seit vielen Jahren intensiv arbeitet, allerdings sehr vertraulich, das eignet sich nicht zu großen Deklarationen in der Öffentlichkeit. Ich habe das Thema zum ersten Mal 2008 bei einem vertraulichen Vortrag in der belgischen Nationalbank dargestellt und seitdem mich immer wieder aktenkundig gemacht. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in diesem Punkt ganz vernünftige Kompromisse finden werden.

Was bleibt uns als große Herausforderung? Es bleibt uns möglichst schnell dafür zu sorgen, dass jetzt, wenn sich die Sachen in Brüssel geklärt haben, wenn da die Wolken verzogen sind, dass unmittelbar für uns die Lösungen auf den Tisch kommen. Wir können nicht unsere Lösung vor denen der anderen haben, wir dürfen auch nicht all zu lange ihnen nachhinken.
Da wird das Finanzproblem natürlich ein ganz Wichtiges sein.

Wir werden aber auch – das ist ganz wichtig für die Arbeit hier vor Ort – uns damit beschäftigen müssen, wie wir mit diesen neuen Aufgaben klar kommen. Da haben viele Menschen die Sorge, ob wir nicht zu klein sind, um das Alles zu schaffen. Das ist eine sehr begründete Frage, die Antwort ist auch sehr klar. Ich habe sie schon mehrmals in den letzten zwei Jahren gegeben. Ich werde sie jetzt nicht im Detail wiederholen, die Antwort ist: „Wir sind in der Lage das zu machen, wenn wir es denn wirklich wollen!“.

Warum? Groß oder klein ist nicht das Entscheidende, das ist in anderen Staaten ebenso: Es gibt in der Schweiz kleine Kantone und größere; in Kanada gibt es große und kleine Provinzen; die Unterschiede sind viel größer als der Unterschied zwischen uns und Flandern, um das belgische Beispiel zu nehmen. Wir müssen nur angemessene Lösungen finden. Wir müssen etwas Maßgeschneidertes hier machen. Wir müssen vor allem einen Denkfehler unterlassen. Viele meinen, dass Autonomie automatisch hieße, man müsste alles selbst machen. Das ist völliger Blödsinn!

Autonom sein heißt, entscheiden zu können, was gemacht wird, wie es gemacht wird und das Sagen haben da drüber. Ob man alles selbst macht oder ob man es in Kooperation mit anderen macht, das ist eine ganz andere Frage. Gerade in unserer sehr interessanten Grenzregion, mit den Grenzen zu Flandern, Brüssel und Wallonie, denn Brüssel ist eigentlich nur ein Vorort entfernt, hat mir einmal in Kazan (Tatarstan/Russland) jemand gesagt, als ich ihm auf die Frage, wo ich denn herkäme, sagte, ich käme aus Eupen, daraufhin fragte er, wo ist das denn, das kann man ja verstehen dort, da sagte ich, ja hundert Kilometer von Brüssel entfernt, ah so, sagte er, ein Vorort von Brüssel. Das war für mich eine sehr wichtige Erkenntnis. Als ich vorige Woche in Moskau war, habe ich das auch noch einmal erlebt. In Moskau leben 13 Millionen Menschen, also mehr als in Belgien, wenn man von dem Bahnhof, wo ich mit dem Zug aus Kursk angekommen war, nach 8 Stunden russischer Nachtzugfahrt zum Flughafen wollte, wo ich hin musste, um nach Hause zu kommen, da habe ich 40 Minuten ohne eine einzige Zwischenstation, Zug gefahren. Da kann man schon sagen, wenn ich am Rande von Moskau lebe, bin ich viel weiter vom Zentrum entfernt als ich hier in Eupen von Brüssel bin, eine ganz wichtige Sache, die wir viel zu sehr unterschätzen.

Groß und Klein, das ist alles etwas, womit man fertig werden muss, das kann man.
Kooperation ist das Entscheidende. Da haben wir wahnsinnig viele Möglichkeiten mit unseren belgischen Partnern und mit unseren Partnern in Luxemburg, Deutschland und den Niederlanden.

Wir werden da ganz tolle Dinge machen können, in den nächsten Jahren, davon bin ich zutiefst überzeugt, deshalb macht Politik ja immer noch Spaß. Wir werden uns jetzt als SP, genau wie in der Vergangenheit, so aufzustellen haben, dass wir die Möglichkeiten haben, diese Politik zu beeinflussen, sie mit zu gestalten. Dass wir die Möglichkeiten haben, die wir in den letzten Jahren erkämpft haben, die wir uns in den letzten Jahrzehnten haben wirklich hier erobern können. Wir werden uns dafür einsetzen, dass wir die in Zukunft nicht nur erhalten, sondern sogar weiter ausbauen.

Das wünsche ich dem neuen Präsidenten, Dankeschön!