Reden

Schlusswort anlässlich der offiziellen Vorstellung des Endberichtes der Arbeitsgruppe „Wohnungswesen“


Schlusswort von Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, anlässlich der offiziellen Vorstellung des Endberichtes der Arbeitsgruppe „Wohnungswesen“

St. Vith, 12. Oktober 2011

Reden-2011-10-12-Schlusswort Vorstellung Endbericht Wohnungswesen (387.2 KiB)

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich weiß nicht, wie aufnahmefähig und bereit Sie jetzt noch zu dieser Tageszeit sind. Dass Sie heute Abend hierhin gekommen sind, beweist, dass Sie dem Thema Wohnungsbau Bedeutung beimessen. Da können Sie sich mit Johann Wolfgang von Goethe eins sein, der einmal gesagt hat: „Eine schlechte Wohnung macht selbst brave Leute verächtlich“. Das stimmt. Wohnen ist nicht nur ein fundamentales Recht, das mittlerweile in unserer Verfassung festgeschrieben ist. Das Wohnen bestimmt auch einen wesentlichen Bereich der Lebensgestaltung der Menschen. Wir sind sehr froh, dass es uns gelungen ist, mit zwei aufeinander folgenden Arbeitsgruppen im Bereich Wohnungsbau die Weichen zu stellen für das, was wir hier zu übernehmen und zu gestalten „gewillt, bereit und in der Lage sind“ ab dem Zeitpunkt, wo die Zuständigkeit für den Wohnungsbau von der Wallonischen Region an die DG übertragen worden ist.

Dass wir gerade jetzt, wenige Stunden nach Abschluss einer historischen Vereinbarung zur Weiterentwicklung des belgischen Bundesstaates, mit einer so konkreten Vorgabe in Sachen Autonomiegestaltung in einem neuen Bereich vor die Öffentlichkeit treten können, das ist natürlich nicht – obschon es schön wäre – ein subtiler zeitlicher Schachzug der Regierung gewesen. Das ist wirklich Zufall, aber es passt natürlich hervorragend in unsere Zeit.

Ja, wenn wir den Wohnungsbau in eigene Verantwortung übernehmen können, wenn wir für die Raumordnung zuständig geworden sind, wenn wir die noch verbleibenden Zuständigkeiten bei den lokalen und provinzialen Behörden übernommen haben, dann ist die Deutschsprachige Gemeinschaft noch viel mehr als bisher in der Lage, hierzulande Chancen für die Zukunftsgestaltung der Menschen zu verwirklichen. Das wäre übrigens auch der Fall, wenn es überhaupt keine Staatsreform in Belgien gäbe. Diese Zuständigkeitserweiterung auf die wir uns systematisch vorbereitet haben, hat eigentlich direkt nichts mit den anstehenden Veränderungen in Belgien zu tun. Sie wird natürlich durch diese Veränderungen noch bedeutend wichtiger und gerät in einen völlig neuen und erweiterten Kontext.

Mein Ministerkollege Mollers hat Ihnen eben einleitend bereits gesagt, was wir beabsichtigen. Ich möchte jetzt auf den allgemeinen Rahmen etwas näher eingehen: Wenn wir uns hierzulande mit Wohnungsbau beschäftigen, dann geht es für die Menschen in der Tat um das Eingemachte, um ihre eigenen vier Wände. Dann packen wir einen Politikbereich an, der nicht nur von Ostbelgien bestimmt wird, sondern bei dem es auch eine europäische Dimension gibt.

Ich bin jetzt zwei Tage auf einer Plenarsitzung des Ausschusses der Regionen bei der EU (AdR) gewesen, wo zwei wichtige Stellungnahmen verabschiedet wurden, die sich beide in entscheidender Weise auf das Gestalten von Wohnungsbaupolitik in den europäischen Staaten und Regionen (speziell in Regionen mit Gesetzgebungshoheit, wie die DG) auswirken werden.

Wir haben in Brüssel einerseits eine Stellungnahme verabschiedet, die deutlich macht, wie wichtig der Wohnungsbau beim Erreichen der europäischen Ziele im Bereich des Klimaschutzes und des Abbaus sozialer Ungerechtigkeit ist. Wir haben über viele technische Dinge geredet, die zu berücksichtigen sind. Der AdR hatte bereits Anfang Juli eine Stellungnahme zur Problematik der staatlichen Beihilfen für Dienstleistungen allgemeinen wirtschaftlichen Interesses verabschiedet, von der – wenn Sie das Kleingedruckte gelesen haben – auf den Seiten 39 bis 42 des heutigen Berichtes die Rede ist. Das ist sehr komplexer EU-Jargon. Gestern wurde im AdR auf meine Initiative hin mit einer großen Mehrheit eine zweite Stellungnahme zu diesem Thema verabschiedet, von der noch nicht im vorliegenden Dokument zum Wohnungswesen die Rede sein kann. Im Kern geht es darum, für lokale, regionale und nationale Behörden die Möglichkeit beizubehalten, überhaupt noch öffentliches Geld in den sozialen Wohnungsbau investieren zu dürfen. Je nachdem wie man das europäische Recht der öffentlichen Beihilfen interpretiert, könnte es da ganz entscheidende Einschränkungen geben. Gewisse Anregungen aus der Juli-Stellungnahme sind von der EU-Kommission in vier Gesetzesinitiativen teilweise aufgegriffen worden. Wir haben gestern die Punkte noch einmal in Erinnerung gerufen, die noch nicht übernommen worden sind, um auf die Europäische Kommission, aber auch auf das Europäische Parlament, das sich bereits in der übernächsten Woche mit dieser Thematik beschäftigt, konkreten Einfluss auszuüben.

Wenn wir hier und heute Politik gestalten wollen, müssen wir erstens zuständig sein, was wir ja noch nicht sind, aber sicherlich in absehbarer Zeit werden und dann müssen wir zweitens genau beobachten, was sich auf europäischer Ebene tut. Am besten sollten wir sogar versuchen, das gemeinsam mit Partnerregionen und mit allen anderen, die in Europa in diese Richtung arbeiten, zu beeinflussen. Das ist die erste Erweiterung der Thematik, die ich heute Abend vor allem deshalb hier vornehmen wollte, weil ich mich in den beiden letzten Tagen intensiv damit beschäftigt habe.

Ebenso intensiv habe ich mich natürlich mit der zweiten Erweiterung beschäftigt, die nun ansteht und die vielleicht morgen oder übermorgen Wirklichkeit wird. Ich teile die große Erleichterung vieler hierzulande und anderswo in Belgien darüber, dass es in Sachen Staatsreform endlich zu einem Durchbruch, zu einem Zerschlagen des Gordischen Knotens gekommen ist, der uns ein Jahrzehnt lang blockiert hat. Als jemand, der noch in seiner Jugend den Egmont-Pakt erlebt hat, weiß ich allerdings auch, dass das Abschließen einer politischen Vereinbarung nicht unbedingt heißt, dass das morgenfrüh schon alles geltendes Recht geworden ist. Da liegt noch ein langer und beschwerlicher Weg vor uns.

Für die DG steht nun eine ganz entscheidende Phase ins Haus, nämlich die, ausgehend von den mittlerweile bekannten Rahmenbedingungen auf den 70 Seiten des veröffentlichten Abkommens das für uns Richtige abzuleiten und gegebenenfalls in dem einen oder anderen Punkt noch eine Anpassung, eine Präzisierung oder eine maßgeschneiderte Lösung zu fordern und auszuhandeln. Das wird sich ebenfalls auf das Thema Wohnungsbau auswirken. Auch zu diesem Thema stehen einige, wenn auch nur wenige Dinge in diesem Dokument. Viel wichtiger ist natürlich, dass die gesamte Handlungspalette der DG, gerade in sozialpolitischen Angelegenheiten, wovon viele etwas mit Wohnen zu tun haben, etwa bei der Arbeit mit Behinderten oder mit älteren Menschen, aber auch mit jungen Familien bedeutend erweitert wird. Dies macht eine Übernahme der Zuständigkeit für Wohnungsbau genauso übrigens wie für Raumordnung noch aktueller, noch attraktiver, noch notwendiger.

Es wird in den nächsten Wochen, Monaten und vielleicht sogar Jahren eine Menge zu tun geben. Man kann das vergleichen mit der Zeit von vor 30 Jahren, als der Rat der Deutschsprachigen Gemeinschaft per Gesetz vom 31. Dezember 1983 geschaffen wurde und damals die Pionierleistung des Aufbaus einer autonomen belgischen gliedstaatlichen Körperschaft begonnen wurde. Man kann es auch vergleichen mit dem gewaltigen Plus an Zuständigkeiten, das wir mit der Übernahme des Schulwesens bekommen haben oder mit den drei bisher erfolgten Kompetenzerweiterungen auf dem Wege der Verhandlungen mit der Wallonischen Region, die sich 1994 auf den Denkmalschutz, 1999 auf die Beschäftigung und 2004 auf das Gemeindewesen bezogen. Das, was jetzt ansteht, ist in der Summe mit all dem vergleichbar, auch wenn es selbst dieses Mal, bei dieser riesigen Schwerpunkteverlagerung, keine Einzelzuständigkeit gibt, die größer ist als das, was wir übernommen haben, als wir für das Schulwesen zuständig geworden sind.

Warum sage ich das? Das sage ich deshalb, weil auch damals zu dieser Kompetenz, genau wie heute zu den neuen, Gewisse keine Begeisterung, sondern Skepsis, Kritik und Zweifel in den Vordergrund gestellt haben. Genauso erfolgreich, wie wir das Schulwesen übernommen haben, werden wir auch diese neuen Zuständigkeiten übernehmen. Ich rufe alle „Gewillten und Bereiten“ auf, tatkräftig mitzumachen. Jetzt ist nicht die Zeit des Zauderns. Jetzt ist die Zeit des konsequenten, überlegten und schrittweisen Handelns!

Die Regierung und das Parlament der DG sind dazu „bereit, gewillt und in der Lage“. Wir haben uns mit dem Regionalen Entwicklungskonzept (REK) ein starkes Instrument, einen hervorragenden Wegweiser oder – wie Ministerkollege Mollers immer gerne sagt – „ein GPS-System“ zugelegt, auf das wir uns verlassen können und das uns in die richtige Richtung führt.

Es geht natürlich auch ums Geld. Ich werde es hier noch einmal wiederholen, doch langsam geht es mir ein bisschen auf die Nerven. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass irgendjemand in Ostbelgien glaubt, ich selbst und die Kollegen in der Regierung oder in der Mehrheit seien so blöd, dass sie Kompetenzen nach hier nähmen, ohne dafür zu sorgen, dass auch die angepassten finanziellen Mittel mitkommen. Das ist eine Geschichte, über die man nicht all zu viel in der Öffentlichkeit reden, sondern geschickt, sachkundig und energisch da verhandeln sollte, wo die Dinge entschieden werden! Ich bin davon überzeugt, dass die Ergebnisse mindestens genauso positiv sein werden, wie es bisher immer der Fall war, wenn wir solche Angelegenheiten verhandelt haben. Ganz besonders intensiv haben wir verhandelt anlässlich der Lambermont-Abkommen in 2000 und 2001 und bei den Übertragungen der Kompetenzen in Sachen Beschäftigung und Gemeinden. Das ist keine leichte Aufgabe. Da genügt es nicht, hier in Ostbelgien zu fordern, um in Brüssel und Namur Beifall zu erhalten. Da muss man erstens genau wissen, worüber man spricht, und dann dafür sorgen, dass man diese Dinge umgesetzt bekommt.

So sehr ich Respekt vor Skepsis, vor Bedenkenträgern und vor wie auch immer gearteter Kritik habe, ich kann hier für mich selbst und für die Regierung sagen, dass wir uns nicht aufhalten lassen. Wir werden jetzt sehr konsequent und systematisch vorgehen und wir hoffen, dass wir da möglichst schnell die richtigen und vernünftigen Ergebnisse als Ernte einfahren können.

Mit dem, was nun auf dem Tisch liegt, sind wir unserem Ziel, ein vierter gleichberechtigter Gliedstaat im belgischen Bundesstaat zu werden, einen gewaltigen großen Schritt – und wenn man die Dinge genau liest – auch noch einige weniger große Schritte näher gekommen. Wir sind noch nicht am Ziel. Das sollte nicht beunruhigen. „Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden“, wenn wir heute schon über Wohnungsbau reden. Wichtig ist, dass die Entwicklung in die richtige Richtung läuft.

Wir können auch deshalb diese Arbeit mit sehr viel Selbstbewusstsein und mit einem Gespür für das, was nötig und möglich ist, leisten, weil wir 40 Jahre Erfahrung haben. Wir werden im Jahr 2013, am 23. Oktober, 40 Jahre Rat der deutschen Kulturgemeinschaft feiern können. Wir können das auch deshalb schaffen, weil wir in der Zwischenzeit ein breites effizientes Netz an Kontakten, Partnerschaften und Beziehungen aufgebaut haben, die uns dabei helfen, bei der Übernahme einer neuen Kompetenz von den Erfahrungen anderer zu profitieren und zu sehen, wie die Dinge in unserer unmittelbaren Nachbarschaft oder weiter darüber hinaus angepackt worden sind.

Deshalb bin ich sehr froh, dass wir heute Abend einen kompetenten Redner aus dem Großherzogtum Luxemburg begrüßen können. Wir werden sicherlich dieses Thema vertiefen, wenn wir Anfang nächsten Jahres die Weltpremiere einer gemeinsamen Sitzung zwischen der Luxemburgischen Regierung und der Regierung der DG hier in St. Vith erleben.

Wir haben aber auch anderswo in Europa Partner, die sich in Sachen Wohnungsbau ganz originelle Dinge haben einfallen lassen. Ich selbst arbeite seit 1990, also seitdem ich Mitglied der Regierung bin, an diesem Thema. Ich habe mir in Frankreich, in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich, in Liechtenstein und in vielen anderen Ländern Europas angeschaut, wie man da mit den Problemen umgeht, die wir heute Abend besprochen haben. Ich habe nirgendwo eine Zauberformel gefunden, aber überall interessante Ansätze.

Eines der ganz kniffligen Probleme ist natürlich die Immobilien- und vor allem die Bodenspekulation rund um den Wohnungsbau. Da gibt es anderswo noch viel schwierigere Situationen als hierzulande oder in Luxemburg.

Wenn Sie durch die Hauptstraße des Kleinstaats Andorra gehen, werden Sie feststellen, dass dort ein Quadratmeter Baugelände über 20.000 Euro (!) kostet, in Vaduz, in der Hauptstadt von Liechtenstein, sind Sie bei 3.000 Euro, an vielen Stellen in der Schweiz übrigens auch. Dort hat man versucht, Lösungen zu finden, um mit dem Problem fertig zu werden, genau, wie man das rund um Paris in kommunistischen Gemeinden gemacht hat oder rund um München in CSU-Gemeinden, wo diese Partei über 80% der Sitze hat. Wenn man die Lösungen vergleicht, wird man feststellen, dass diese sich ziemlich ähneln. Da wird mit demselben Wasser gekocht, ganz unideologisch, aber im Interesse der Sache, damit die Menschen unter vertretbaren Bedingungen ein vernünftiges Dach über den Kopf haben.

Diesem Ziel sind wir mit dem heute vorgestellten Bericht hierzulande einen ganz schönen Schritt näher gekommen. Deshalb möchte ich mich am Ende meiner Ausführungen recht herzlich bedanken bei all denen, die dazu bisher beigetragen haben, und antizipativ auch schon bei all denen, die daran noch arbeiten werden.

Die beiden Arbeitsgruppen haben hervorragende Arbeit geleistet. Der vorliegende Bericht ist ein außerordentlich guter Bericht. Ich bin mit Lob eigentlich relativ sparsam. Deshalb bin ich umso erfreuter, hier wirklich sagen zu können, dass es sich um einen ganz hervorragenden Bericht handelt.

All jenen, die ihm mit ihrem intellektuellen und erfahrungsmäßigen Input angereichert haben, aber auch all denen, die ihn mit Fleiß und mit sehr viel Ausdauer geschrieben haben, gebührt unser Dank. Das ist gar nicht so einfach!

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir stehen in Sachen Wohnungsbau und Staatsreform vor sehr spannenden Zeiten. Ich persönlich freue mich darauf. Ich hoffe Sie auch.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!