Reden

Beitrag anlässlich der Eröffnung des Workshops zum Thema: „Jugend ohne Arbeit – Welche Rezepte wirken?“ im Rahmen der 10. Open-Days im AdR


Beitrag von Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens sowie Vorsitzender der SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen bei der EU (AdR), anlässlich der Eröffnung des Workshops zum Thema: „Jugend ohne Arbeit – Welche Rezepte wirken?“ im Rahmen der 10. Open-Days im AdR

Brüssel, 11. Oktober 2012

Reden-2012-10-11-Beitrag KHL Workshop Jugendarbeitslosigkeit Im Rahmen Open Days (412.6 KiB)

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

zuallererst möchte ich Sie im Namen der SPE-Fraktion auf das Herzlichste zu diesem Workshop innerhalb der 10. Open-Days willkommen heißen. Es ist immer sehr schön, hier in den Gebäuden des Ausschusses der Regionen (AdR) vor einem vollbesetzten Saal zu sprechen. Ich entschuldige mich vorab bei den anwesenden Gästen, die stehen müssen. Ich hoffe aber, dass die Veranstaltung so spannend wird, dass Sie erst gar nicht merken, dass Sie keinen Sitzplatz gefunden haben.
Das Interesse an den Open-Days hat auch im 10. Jahr ihrer Existenz nicht nachgelassen. Es ist gerade in Zeiten der Krise interessant zu sehen, wie Menschen voller Erwartungen und europäischer Überzeugungen hier nach Brüssel kommen, um auf Einladung der EU-Kommission und des AdR Ideen auszutauschen und Erfahrungen anderer mit ihren eigenen zu vergleichen sowie vor allem auch um neue Kontakte zu knüpfen. Bei allem, was Sie in den unzähligen Workshops an Ideen mit nach Hause nehmen können, scheint mir der direkte Kontakt, die Möglichkeit andere Menschen aus anderen Regionen Europas kennenzulernen, das Wichtigste zu sein.

Das Interesse an den Open-Days kann natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass Europa sich in einer Krise befindet. Viele Menschen empfinden und erleben Europa zurzeit als eine Bedrohung aus dem fernen Brüssel; als etwas, was nichts mehr mit Hoffnung auf Verbesserung der Lebensbedingungen zu tun hat. Das darf nicht so bleiben, das muss anders werden. Trotz aller Kritik an Europa bin ich fest davon überzeugt, dass Europa nicht Teil des Problems, sondern vor allem Teil der Lösung ist. Allerdings können wir nur eine Lösung aus dieser Krise finden, wenn wir an der Konstruktion der Europäischen Union Änderungen vornehmen und wenn wir die in Europa geführte Politik neu orientieren. Das ist eine große Herausforderung. Das ist aber auch eine Notwendigkeit, denn sonst werden wir nicht so ohne weiteres aus der Krise herauskommen.

Wir brauchen politische Antworten auf schwierige Fragen. Wir brauchen politischen Mut in Europa, um Einiges zu verändern, was sich nicht so leicht verändern lässt. Wir brauchen ein Europa, mit dem die Menschen wieder die Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen verbinden, ein Europa, für das man sich begeistern kann – so wie das in der Vergangenheit der Fall war. Ich erinnere mich noch gerne an meine Jugend, als der Europagedanke so richtig in Mode war. Er mobilisierte hunderttausende junge Menschen überall in Europa. Das muss erneut so werden!

Wir brauchen ein Europa, das nicht nur Banken rettet und Haushalte saniert, sondern ein Europa, das für nachhaltiges Wachstum und soziale Gerechtigkeit sorgt. Wir brauchen ein Europa, in dem die Gemeinden, Städte und Regionen sich einbezogen fühlen, wo man auf ihre Stärken setzt. Das scheint mir besonders wichtig. Europa erleben die Menschen zuallererst zuhause in ihren Gebietskörperschaften. Wenn da der Bezug zu Europa nicht zustande kommt, ist es um Europa schlecht bestellt. Deshalb brauchen wir vor allem ein Europa, wo die Bürgerinnen und Bürger davon überzeugt sind, dass Europa einen wirklichen Mehrwert für sie selbst, für ihre Freunde, für ihre Familien, für ihre Regionen hat. Dazu gehört natürlich ganz besonders die Herausforderung, dafür zu sorgen, dass junge Menschen in Europa eine berufliche Zukunft haben. Zu den dringendsten Problemen in Europa gehört zweifellos die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Deshalb haben wir diesem Workshop dieses Thema gewidmet. Jugendarbeitslosigkeit hat mittlerweile in gewissen Staaten eine katastrophale Dimension angenommen. Jugendarbeitslosigkeit ist stets ein schreckliches Zeichen für ein fürchterliches Versagen der Politik. Wenn junge Menschen keine Arbeit finden, dann kann man sich nur sehr schwer vorstellen, wie sie mit der Gesellschaft, in der sie leben, zufrieden sein können und wie sie sich in diese Gesellschaft integrieren können. Wir kennen die verheerenden Zahlen aus gewissen Staaten. Wir erleben, wie dort Hoffnungslosigkeit entsteht. Wir erleben, dass viele Menschen das Weglaufen als einzige Lösung für ihre Probleme sehen, weil sie irgendwo anders, auf bessere Chancen hoffen. Das kann natürlich nicht die Lösung sein. Jugendarbeitslosigkeit betrifft heute nicht nur diejenigen, die aus dem einen oder anderen Grund ungenügend qualifiziert sind. Diese sind natürlich ganz besonders hart betroffen. Viele, die hervorragende Abschlüsse in der beruflichen Ausbildung erzielt oder ein Universitätsstudium erfolgreich abgeschlossen haben, stehen heute vor der Situation, dass sie keinen Job finden. Es ist frustrierend, sich hundertmal ohne irgendeine Aussicht auf Erfolg zu bewerben. Für junge Menschen gehört das sicherlich zu den frustrierendsten Erlebnissen überhaupt.

Als wir vor einigen Monaten diese Veranstaltung planten, haben wir sie unter das Motto gesetzt: „Auf die Plätze, fertig, los!“ Es geht tatsächlich um einen Start, um einen Aufbruch. Es geht um den Übergang von der Ausbildung zum beruflichen Leben. Damit das möglich wird, damit junge Menschen einen Arbeitsplatz finden oder einen Betrieb gründen können, müssen die Chancen dafür natürlich vorhanden sein. Wenn man die Sache, etwas kritisch betrachtet, könnte man das Motto: „Achtung, fertig, los!“ zum jetzigen Zeitpunkt als etwas Zynisches empfinden, denn für viele ist zwar der Start möglich, aber sie sehen kein Ziel vor Augen. Das wäre ein Aufbruch ins Ungewisse. Dennoch sind wir bei diesem Motto geblieben, denn wir glauben, dass etwas getan werden muss, dass auch etwas getan werden kann und dass da nicht zuletzt Europa gefordert ist!

Europa ist da genau wie die Staaten und Regionen gefordert, aber nicht nur um zu erklären, wie man es besser machen soll, sondern um selbst etwas zu tun. Wir brauchen natürlich vor allem Initiativen in den einzelnen Ländern, auf staatlicher, regionaler und lokaler Ebene. Wir brauchen europäische Initiativen, die uns dabei helfen, die Arbeitsplätze zu schaffen, die gebraucht werden, um diese Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Wir können natürlich heute hier an diesem Nachmittag keine Arbeitsplätze schaffen. Das wäre schön, ist aber nicht realistisch. Was können wir hier konkret tun? Wir können vor allem versuchen, voneinander zu lernen und darüber auszutauschen, wie es in den einzelnen Regionen aussieht und welche Erfahrungen gemacht wurden, sowohl positive als auch negative. Aus Erfahrungen kann man immer lernen. Man muss sogar aus Erfahrungen lernen. Ehe man das Rad zuhause neu erfinden will, sollte man sich zuvor genau anschauen, was denn andere anderswo in Europa auf die Beine gebracht haben. Es gibt viele gute Beispiele, die gerade in Sachen „Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ überall in Europa verwirklicht wurden. Europa muss die Erwartungen junger Menschen erfüllen und darf sie nicht enttäuschen. Europa kann nicht nur eine Frage von Sparen, Bankenrettung und Strukturwandel sein. Europa muss Dinge auf die Reihe bekommen, die konkret zu Verbesserungen führen und jungen Menschen eine konkrete Perspektive vermitteln. Darauf kommt es ganz entscheidend an!

Ich hoffe, dass die heutige Veranstaltung die eine oder andere Idee zustande bringt. Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Verlauf dieses Nachmittags. Wir haben uns bemüht, gute und kompetente Moderatoren und Diskussionspartner zu versammeln. Sie haben eine ganze Palette von Personen vor sich sitzen, die zum Besten gehören, was Europa zu bieten hat. Ich möchte Sie auffordern, sich aktiv zu beteiligen. Ich weiß, dass das nicht immer so einfach ist. Deshalb hege ich insbesondere die Hoffnung, dass Sie nachher beim Empfang die Möglichkeit haben werden, Networking zu betreiben und all die Kontakte zustande zu bringen, die hier bei dieser Sitzordnung nicht möglich sind. Vor allem hoffe ich, dass Sie auf jeden Fall von der heutigen Veranstaltung ein paar Dinge mit nach Hause nehmen können, die Ihnen bei Ihrer Arbeit dort konkret weiterhelfen.

Mit der heutigen Veranstaltung versucht die SPE-Fraktion im Ausschuss der Regionen, ihren inhaltlichen Beitrag zu den diesjährigen Open-Days zu leisten. Ich hoffe, dass es ein Betrag sein wird, mit dem Sie zufrieden sind.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!